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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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SIND DIE HELDEN MÜDE GEWORDEN!, frag! das Wahlvolk 14 Tage vor der Wahl. „Tendenz lustlos’ registrieren derzeit die Parteibüros die Stimmung im Volk. Plakat- und Filmslogans „kommen nicht an”, sagen die Marktforscher. Kein Wunder, daß Parteiführer und Parteipresse verzweifelt bemüht sind, etwas Leben in die Bude zu bringen. So versuchte das sozialistische Zentralorgan, dem Außenminister Figl wegen des Südtirolzwischenfalls vor dem Europaraf eins auszuwischen, mußte aber sofort die Fühler zurückziehen, als sich ihr parieieigener Staatssekretär in vorbildlicher Loyalität öffentlich zur Mitarbeit an dem vieldiskutierfen Text bekannte. Vizekanzler Pittermann wieder versuchte nach dem Plakatspruch „Piftermann für jedermann, jedermann für Pittermann” seinen Wahlversammlungszuhörern eine kleine Sensation zu servieren, indem er indiskret und vorzeitig aus einer im Ministerrat beschlossenen Oesterreichnole an den Vatikan, betreffend Kirchenvermögen und Diözese Eisensfadt, etwas durchsickern lief), um in Vorarlberg sozialistische Konkordats-Konkordanzen zu unterstreichen. Ein sachlicheres Rekonfre der Volkspartei gab es um den „Stromkrieg” in Niederösterreich, dem eine sozialistische Attacke im Burgenland vorausgegangen war. Sonst herrscht Stille weitum, so große Stille, daß man in eingeweihten Kreisen von der Absicht hört, in die letzten Tage hüben und drüben noch einige Belebungsspritzen hineinzujagen. Davon kann man nur mit Besorgnis hören. Man kennt die Gifthältigkeit solcher Inzitanfien — da sind uns kühle, sachliche, leidenschaftslose Wähler denn doch noch lieber als aufgepufschfe „Gegner”!

SIEG UBER DEN „AUFBRUCH”! Mit dem Heft 2/3 hat der „Aufbruch”, das Organ des Institutes für Sozialpolitik und Sozialreform, sein Erscheinen eingestellt. Nicht aus Lesermangel. Im Gegenteil. Der Zeitschrift war es in den letzten Monaten ihres Bestehens gelungen, tausende von Beziehern zu gewinnen. Aber es waren ihrer doch zu wenige. Daher muhte der „Aufbruch”, wie fast alle sozialkritischen Monatsschriften, von Subventionen leben. Die Geber der Subventionen waren nun der Meinung, es sei das, was der „Aufbruch” publizistisch getan, zuviel des Guten, es sei in den Heften zuviel von Sozialreform gestanden und es seien zu wenig Kompromisse gemacht worden. Das war die Tragik des „Aufbruchs”! Seine Abneigung1 gegen Konzessionen- Der Triumph, . als mpn die Liquidation des „Aufbruchs” dekretierte, war groß, bei allen, die von den Redakteuren des „Aufbruchs” kritisch angesprochen worden waren, bei Parteileuten, aber auch bei den „Unpolitischen” und „Ueber- parteiischen”, die einen lästigen Kritiker losgeworden waren. Gleichzeitig wurde, wider besseres Wissen, von den Publizisten der „Sieger” behauptet, daß die Gewerkschaften, und die Arbeiferkammer und die Kirche und die Politiker und wer weiß, wer noch, den „Aufbruch” finanziert hätten. Gerade die Einstellung wegen Geldmangels war aber der schlagende Beweis dafür, dafj eben keine grofjen Geldgeber da waren, sondern nur kleine Spender. Große Geldgeber verlangen eben Gegenleistungen, die eine so kritische und in ihren sozialen Forderungen eindeutige Zeitschrift, wie es der „Aufbruch” gewesen ist, nur schwer erbringen konnte. In einem Beischreiben, das der letzten Nummer beigelegt wurde, wird angedeutet, daį die Herausgeber sich bemühen, in einer „billigeren” Form die Zeitschrift später herauszubringen. Wir wünschen der Redaktion des „Aufbruchs”, dafj es ihr gelingen möge, bald das begonnene Werk in irgendeiner Form fortzusetzen.

TIROLER WOCHEN! Die Europaseligkeit, in die wir uns haben hineinreden lassen, macht die grolje Welt vergessen, dalj Oesterreich in einer einmaligen Weise und in einer oft verwunderlichen, aber stets großzügigen Bedenkenlosigkeit der ganzen Welt gegenüber offen in des Wortes bester Bedeutung ist. Der Nationalismus in der Form des Chauvinismus ist uns fremdgeblieben. Wir scheuen uns nicht, jede Kultur in ihrer Weise zu uns sprechen zu lassen, so wie wir es vermocht haben, aus der Vielfalt der Kulturen des alten Oesterreich eine einmalige wahrhaft europäische Kultur zu gestalten, in der trotz des Gemeinsamen jeder seiner Art gemäß leben und Eigenes darstellen konnte. Wir haben auch nach dem zweiten Weltkrieg den Schülern unseres Landes wertvolle Anregungen aus fremden Kulturbereichen geboten und dafür beträchtliche Teile des Unterrichtes geopfert. Es gab beispielsweise französische und skandinavische Wochen, und noch andere „Wochen” sind avisiert. Nichts aber hören wir vorläufig von einer „Tiroler Woche” im Jahr des Gedenkens an 1809. Nichts hören wir davon, daß die Frage „Südtirol” an unseren Schulen zumindest besprochen wird, so offiziell und in der gleichen Nachhaltigkeit wie die verschiedenen „Wochen” im Interesse anderer Länder. Sollen unsere Schüler lediglich aus den Zeitungen und vielleicht gar aus den ausländischen Illustrierten erfahren, wie unser Land Tirol das Gedenken an seine Erhebung vor 150 Jahren feiert? Vielleicht wird aber in einem Ausschuß bereits an einer solchen Woche für den Herbst planend gearbeitet. Dann sei die Initiative bedankt und die diskrete Art, mit der man uns zum gegebenen Zeitpunkt überraschen will.

OST-ROM IN ROM. Seit Jahrhunderten, genauer, seit den Konzilsverhandlungen des 15. Jahrhunderts, ist dies nicht mehr Wirklichkeit geworden: ein offizieller Besuch eines hohen Würdenträgers der Ost-Kirche beim Papst in Rom. In diesen Tagen hat der Exarch der griechisch-orthodoxen Kirche in Amerika, Erzbischof Yacovos, der dem Oekumenischen Patriarchen untersteht, Papst Johannes XXIII. einen längeren Besuch abgestattet. Die griechische Presse, die naturgemäß diese Vorgänge mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt, nimmt an, daß Erzbischof Yacovos als Sonderbotschafter des Oekumenischen Patriarchen mit Papst Johannes über die Einheit der Christenheit sprach. In derselben Woche begann Erzbischof Testa, der Apostolische Delegat in der Türkei, „freundschaftliche Gespräche” mit dem Oekumenischen Patriarchen Athenagoras in Istanbul, die fortgesetzt werden sollen. Anfang Mai wird der neugewählte serbische Patriarch German dem Oekumenischen Patriarchen mit einer Beratergruppe einen Besuch abstatten. Auf der Tagesordnung steht unter anderem: „Die kirchenpolitische Lage nach der Ankündigung eines Oekumenischen Konzils.” — Der Weg von Ost-Rom nach Rom, vom Morgenland der Chri-, stenheit ins Abendland der Kirche, ist weit: er ist mehr als tausend Jahre „lang” und befrachtet mit vielen Lasten und Gegensätzen. Rüstig beginnt Papst Johannes XXIII. ihn neu zu begehen, im Vertrauen auf die johanneische Aufgabe der Kirche: sich einer in Haß und Streit zerklüfteten Welt in der Kraft der Liebe, des Geistes, der Einheit zu präsentieren.

ZWEI NEUE WIRTSCHAFTSMASSNAHMEN FRANKREICHS zeigen, daß der bisher schwächste Partner innerhalb der „Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft” (EWG) der Sechs auf dem besten Weg ist, seine bis vor kurzem noch heillos scheinende Finanz- und Wirtschaftslage in Ordnung zu bringen. Die Bank von Frankreich senkte ihren Diskontsatz um % Prozent, und zwar auf 4 Prozent. Sie folgte damit dem Zug der Notenbanken in den anderen westlichen Ländern, „billigeres Geld” zu schaffen, um so einer Rezession’, dei .Wirtschaft entgegenzuwirken. :(Die österreichische Natidnöibank setzte kürzlich den Diskontsatz um yi Prozent herab.) Zu gleicher Zeit stellt diese Handlung einen Vertrauensbeweis in die Stabilität des Franc dar, und man scheint an der Seine seit der Währungsabwertung zu Ende vorigen Jahres eine Inflationsgefahr für überwunden zu halten. Ferner wurde eine weitere Liberalisierung des Handels im Rahmen der „Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit” (OEEC) angekündigt. Ein erstaunliches Ereignis! Hat doch Frankreich erst kürzlich — zugleich mit der Währungsabwertung — seinen Liberalisierungsprozentsatz auf das vom Rat der OEEC geforderte Maß von 90 Prozent erhöht. Es war damit einer lange Zeit nicht für erfüllbar erklärten Verpflichtung nachgekommen. Damit ist ein Schritt Frankreichs zur Entspannung zwischen den Angehörigen der EWG und den „Außenseitern”, den übrigen Mitgliedern der OEEC, getan, der in Verbindung mit der Nachricht, daß im vergangenen Monat die französischen Exporte erstmals seif vielen Jahren die Importe überstiegen, Beachtung verdient. Eine weitere Erholung der französischen Wirtschaft wird vielleicht die französischen Politiker veranlassen, ihre ablehnende Haltung gegenüber der Europäischen Freihandelszone, oder wie immer man eine Assoziierung der „Außenseiter” an die EWG nennen will, zu revidieren.

PRÜGELSTRAFE AUCH FÜR KINDER. Nachdem vor kurzem erst durch eine parlamentarische Anfrage der Opposition die Summe der im letzten Jahre über Neger, Inder und Mischlinge verhängten Prügelstrafen und Auspeitschungen bekannt wurde — eine erschreckend hohe Summe —, mußte nunmehr der Justizminister der Südafrikanischen Union, Charles Swart, bestätigen, daß auch gegen Kinder über sieben Jahre Prügelstrafen bis zu zehn Stockschlägen von den Jugendgerichten verhängt werden. Innerhalb eines Jahres wurden rund 39.000 Kinder, darunter mehr als 37.000 Kinder von Negern, Mischlingen und Indern, zu Prügelstrafen verurteilt. Die öffentliche Diskussion in Südafrika über die Prügelstrafe für Kinder wurde durch einen Vorfall ausgelösf: Drei Söhne eines holländischen Einwanderers zwischen acht und dreizehn Jahren mußten sich nach der Vollstreckung der gegen sie verhängten Prügelstrafe in ärztliche Behandlung begeben. — Prügel für weiße, gelbe, schwarze, farbige Kinder: Ganz Afrika sieht auf diese Prügel. Wartet darauf, daß diese Prügel über „die verdammte weiße Rasse” kommen, wie es eben ein schwarzer Führer bei einer Zusammenkunft in Akra gesagt hat. Gibt es kein Departement der UNO oder UNESCO, das sich mit diesen Zuständen einer vorzeitlichen Justiz befassen will?

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