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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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SIE TASTEN SICH ERST AB. So heiFjt es in der Boxersprache, wenn zwei in den Ring gestiegene Kämpfer in den ersten Runden „in Tuchfühlung” treten. Sie tasten sich erst ab… Dieser Kommentar trifft auch die Situation der Gesprächspartner in den erst in diesen Tagen mif vollem Ernst aufgenommenen Regierungsverhandlungen. Eine Binsenweisheit: Sie werden nicht leicht sein. Manche Finfen und Manöver dürfen wir erwarten. Einige Versuchsballone können in die Luft steigen. Sie mögen bei jenen, deren Geschäft es ist, dem Augenblick nachzujagen, über Gebühr gewertet werden. Wir aber wollen sie als das auffassen, was sie sind: erlaubte Finten und Winkelzüge im großen Spiel. Was Jefzfen Endes herauskommen wird — herauskommen muß, da für jeden verantwortungsvollen Politiker keine andere Alternative sich abzeichnet —, ist eine Erneuerung der Zusammenarbeit der beiden großen Parteien am Regierungstisch. Die Regierungsverhandlungen werden nicht leicht sein und sie können sich in die Länge ziehen. Warum auch nicht? Lieber jetzt eine gründliche Aussprache über Wesen und Ziel der zu erneuernden Zusammenarbeit, als späterhin Unklarheiten und alle paar Monate die Diskussion der „Koalitionsfrage”. Konzilianz mit Festigkeit gepaart, wird die Unterhändler der Volkspartei in die Verhandlungen wohl begleiten müssen. Realismus und Mäßigung werden gute Berater der Sozialisten sein.

WAS WILL PRAGI Der heftige Angriff des tschechoslowakischen Staatspräsidenten Nowotny bei einem offiziellen Empfang in Prag gegen Oesterreich wurde sofort durch den österreichischen Gesandten Dr. Ender beantwortet: er verlief; unter Protest den Empfang. Ein zweites Mal hatte Bundeskanzler Raab im Rundfunk kurz Stellung genommen: „Wer die Leute hier gesehen hat, die sich in erster Linie freuten, ihre Freunde und Verwandten wiederzusehen und wieder einmal in Wien zu sein, der kann nicht verstehen, daß dieses Treffen in unserem nördlichen Nachbarstaat so große Aufregung verursachte. Die Menschen, die hierher kamen, dachten weder an Aggression noch an Rache.” Jetzf wird sich der Balihausplatz mif diesem neuerlichen tschechischen Affront zu befassen haben, — Was will Prag? Was sollen diese Unfreundlichkeiten an die Adresse Oester- re chs, das sich seinerseits frotz allem, was in den letzten vierzig Jahren geschehen ist, vieler alter Bande gern erinnert? Das tschechische Volk hegt, wie wir aus manchen Besuchen gerädef der lefzfen Zeit wissen keinen Groll gegen Wien, im Gegenteil:j’rechf off erscheint ihm Wien als ein heimliches Prag, als ein Forfleben der Heiterkeit des Lebens, das einst im goldenen Prag zu Hause war, und die selbst die finsfere Art der neuen Hussiten nicht aus- roffen konnte. Isf es vielleicht eine traurige Eifersucht offizieller Machthaber im heutigen Prag, die sehr gut wissen, daß das Volk in Böhmen, Mähren und der Slowakei über die Grenze sieht, in ein Leben in Freiheit, in Oesterreich? In diesem Sinne sind daher Nowotnys Worte in den Wind gesprochen; von diesem Ostwind haben sie wohl ihren Tonfall bekommen, in ihm werden sie wieder verwehen.

ARTIKEL 73. Dem Präsidenten des Regionalstes Südfirol-Trentino wurde vorige Woche das Dekret des Ministerpräsidenten Segni zugestellt, das die Regionalbilanz 1959 „lauf Artikel 73” billigt. Das Autonomiestatut schreibt bekanntlich vor, daß über den Haushalf getrennt nach Landtagen abgestimmt werden muß. Für den Fall, dafj nicht beide Landtage mehrheitlich den Haushalt bejahen, gilt die Bilanz als abgelehnt. Dieser Fall ist heuer eingetreten. Von den 29 Mitgliedern des Südfiroler Landtages haben 19 gegen und nur drei für die Bilanz gestimmt. Der Trienfer Landtag stimmte mit 18 „Jd” gegen sechs „Nein”. Lehnt nun ein Landtag die Bilanz ab, genehmigt sie nach dem Artikel 73 des Autonomiestatuts der Ministerpräsident. Der zitierte Artikel war aber als Schutzklausel gegen ein® Majorisierung der Provinz Bozen, als eine Maßnahme zur Sicherung der finanziellen Autonomie gedacht. Wie man nun sieht, isf das Aufonomiestatut ein juristisches Gummiband und erweist in diesem Beispiel deutlich die Notwendigkeit einer völligen Revision, die aber erheblich besser durchdacht werden mufj, als die bisherigen Artikel. Vorausgesetzt, dafj sich eine Revision überhaupt lohnt, wenn die Gesinnungen unrevidiert bleiben, welche Statuten nicht nur den Buchstaben, sondern auch dem Geiste nach durchzuführen haben.

ZEHN JAHRE BONN. Am 23. Mai 1949 wurde in der Schlußsitzung des Parlamentarischen Rates in Bonn das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verkündet. Bewußt verzichtete man auf die Bezeichnung „Verfassung”, da dieses Grundgesetz als Grundlage eines staatlichen Provisoriums gedacht war, das sein Ende durch die Wiedervereinigung finden sollte. Bonn wurde zum „vorläufigen Sitz der leitenden Bundesorgane” gewählt. „Das Provisorium aus Befon und Stahl” ist zu einem „hoffnungsvollen Jubilar” in diesen Tagen geworden: die Bundesrepublik Deutschland hat sich als Wirfschaffsmqcht Welfrang und Weltruf erobert, sie wird als politischer und militärischer Partner von ihren Verbündeten umworben und geachtet, von ihren Gegnern gefurchte). Zehn Jahre Bonn bedeuten einen wirtschaftlichen Aufstieg und eine Prosperität, wie sie der überwiegende Teil des deutschen Volkes in seiner ganzen Geschichte nicht gekannt hat. Dennoch hat Bonn, das einiges Recht zum Feiern hätte, auf Festreden und Feiern verzichtet; auch dies aus guten Gründen. Die harten Verhandlungen der Großen Vier in Genf zeigen, wie umstritten weltpolitisch die Bundesrepublik ist, die Kluft zwischen den beiden stärksten Parteien, zwischen CDU und SPD zeigt, wie sehr der innere Aufbau noch zurückgeblieben ist. Die beiden Männer, auf denen so sichtbar dieser Bonner Sfaat in seinen ersten zehn Jahren ruhfe, Heuss und Adenauer, treten in diesem Jahr von ihren Führungssfellen zurück, wobei der Konflikt um den „Kanzler E. — Erhard oder Etzel — bestürzend offen zeigt, wie sehr bisher die Führung dieses Staates auf einen Mann hin eingerichtet war, beziehungsweise ist. Dr. Adenauer hat bekanntlich unverhohlen sein Mißtrauen gegen Erhard zum Ausdruck gebracht. Dieser Mann isf ihm als Nachfolger zu stark. Der Bonner Kanzler hatte nicht davor zurückgescheut, den überaus populären Erhard, hinter den sich die Mehrheit der Bundes- tagsfrakfion der CDU/CSU stellt, zu verdächtigen, nach seinem Rücktritt die außenpolitische Linie der Bundesrepublik zu verändern und, wie aus Bonn verlautet, damit gedroht, seine Kandidatur für die Bundespräsidentschaft zurückzuziehen. Dieser Streif weist eindrucksvoll auf das hin, was die Bundesrepublik Deutschland in der Zukunft braucht: die konkrete Verwirklichung eben jener Demokratie, die in ihrem Grundgesetz so schön dargestellt wird.

DIE DRITTE WOCHE IN GENF. Die zweite Woche der Genfer AußenminisferVonferenz diente im wesentlichen der Diskussion über die in der ersten Woche von West und Ost vorgelegten Deutschlandpläne. Der US-Außenmini- ster Herter hatte bekanntlich eine Wiedervereinigung Deutschlands in vier Phasen vorgeschlagen und den Sowjets ein „Paket” von Plänen und Angeboten offeriert. Gromyko lehnte, verstärkt durch das Echo der Ostblockstaaten, den Plan des Westens entschieden ab und schlug seinerseits vor, mit den beiden deutschen Staaten einen Friedensvertrag gemäß dem Entwurf abzuschließen, den der Kreml im Jänner veröffentlicht hafte, der aber von den Westmächten und Bonn bereits obgelehnt worden war.- Die öffentliche Debatte der zweiten Woche in Genf brachte, wie zu erwarten, keine Annäherung; ebensowenig private Beratungen. Da gleichzeitig in Genf die russi schen und westlichen Atomfachleufe über eine kontrollierte Einstellung der Experimente mif Kernwaffen verhandeln, unterhielten sich Herter, Gromyko und Lloyd mit ihnen über die Atomkontrolle, da Chruschtschow zuvor in einem Schreiben an Eisenhower und MacMillan ein sowjetisches Entgegenkommen in der Frage der Inspektionen angedeutet hatte. Was wird die dritte Woche in Genf bringen? Vielleicht nur die theoretische und diplomatische Vorbereitung der Gipfelkonferenz, die im August in Genf oder Wien stattfinden soll, wobei Eisenhowers Vorbehalt wichtig ist. Der amerikanische Präsident hat erklärt, nicht an einer Gipfelkonferenz teilzunehmen, wenn die Sowjets einen separaten Friedensvertrag mif der DDR abschließen oder in ultimativer Form eine Klärung der Berlinfrage verlangen. Eben damit hat Chruschtschow in den letzten Tagen wieder gedroht und gleichzeitig die Heranziehung Polens und der CSR zur Genfer Konferenz verlangt. Hier sollte endlich, vor Torschluß in Genf, der Westen einhaken und, an die Adresse aller nichfrussischen Völker Osteuropas gerichtet, eine Erklärung darüber aibgeben, wie er sich ein künftiges Zusammenleben, politisch und wirtschaftlich, mif Osteuropa vorsfellf.

JOHN FOSTER DULLES f. Am 24. Mai ist John Foster Dulles für immer abgetreten. Der schwer leidende Mann hatte mit Energie bis zuletzt gekämpft und gearbeitet. Achtzehn Stunden täglich pflegte er in den sechs Jahren seiner Amtszeit als US-Außenminisfer zu arbeiten, auch’ Sonntags. 47 Länder hat er dienstlich besucht, 25ma| die Erde umkreist. Im Gesicht des Todkranken wurde, zuletzt immer klarer, etwas Alf- römisches sichtbar: die Größe eines Recht denkers und eines Moralisten, der sich sein Leben lang mit hoher Sorgfalt auf sein hohes Amt als Friedensfinder vorbereitet hafte und es als selbstverständlich empfand, sich in diesem Dienst zu verzehren. Dulles stellte seine reiche völkerrechtliche Erfahrung, seinen scharfen Verstand in den Dienst seiner Nation, als deren Hauptaufgabe er die Abwehr des Weltkommunismus sah. Die freie Welt hat John Foster Dulles viel zu verdanken. Wenn es, wie er selbst im letzten Jahr seines Lebens mehrfach zuversichtlich sagte, doch zu einer Ost- West-Bewegung in Frieden und Freiheit komme, dann wird seine Vorarbeit sie mitermöglicht haben: Dulles hat der freien Welt ein gesundes Vertrauen in die eigenen Kräfte vermittelt. Das ist vielleicht das wichtigste Erbe.

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