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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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DAS ZWEITE EUROPAGESPRXCH IN WIEN. In Anwesenheit des Präsidenten des Europarates in Straßburg, John Edwards (England), nahm das Zweite Europagespräch im Wiener Rathaus im Rahmen der Wiener Festwochen einen positiven Verlauf. „Der Westen und der Osten, mit Wien in der Mitte — das ist unsere Idee von Europa". Dieses Leitmotiv eines Leitartikels der Wiener „Arbeiter-Zeitung” zu dem Thema „Wien — europäische Tribüne" verdient auch dort gehört zu werden, wo man sich mit Recht über die sozialistischen innenpolitischen Forderungen sorgt. Die verschiedenen europäischen Delegierten waren sich dabei einig: kein Klein-Europa, sondern ein freies Europa, das seinen Lebenswillen nicht zuletzt durch seine Hilfe für die unterentwickelten Länder wie durch seine aktive Sorge für die europäische Jugend unter Beweis stellt. Europa muß seine geistigen und materiellen Hilfsquellen noch viel stärker entwickeln, um dem Kommunismus gegenüber überlegen zu sein. Einen wichtigen Beitrag leistete Unfer- richtsminister Dr. Drimmel, der ausführfe: Im Europa von heute hat vielleicht die größte Bedeutung die Erziehung der Erzieher. Diese wissen von der gemeinsamen Heimat Europa oft noch viel zuwenig.

DER JAMMER UNSERER FAMILIENPOLITIK datiert daher, daß die Verfassung der Republik Oesterreich zum Unterschied von vielen anderen zivilisierten Staaten die Familie nicht kennt. So bleibt alle Familienpolitik Flickwerk, und verzettelt sich in milden Gaben, Prämien und Förderungsbeträgen von seifen des Staates — oder zu Lasten der Wirtschaft: daher auch die Unpopularität aller familienfreundlichen Maßnahmen in diesen Kreisen. Das einzig mögliche, bisher leider unerreichte Ziel dagegen ist der voll wirksame Ausgleich der Familienlasten zwischen denjenigen (wie es der Motivenbericht zum Familienlastenausgleichsgesetz formuliert), „die diese Lasten im Interesse der gesamten Gesellschaft fragen, und jenen, die solche Lasten nicht zu tragen haben, jedoch bewußt oder unbewußt daraus Nutzen ziehen, daß es andere für sie tun”. Diese und andere Gedanken brachte wieder einmal die Generalversammlung des Oesfer- reichischen Familienbundes in Erinnerung, die darüber hinaus auch noch andere Fern- und Nahziele aufwarf: Einführung der vollen 13. Kinderbeihilfe, Erhöhung der Steuerermäßigung für Kinder, Freibetrag auch für die nicht berufstätige Hausfrau und Mutter, Kinderermäßigung auf Lebensdauer, Bevorzugung der Familien mit Kindern bei Wohnungsvergebungen, Förderung des Jugendwohnsparens, endlich Konstituierung des Familienbeirates und anderes. — Der Appell richtet sich vorzüglich an die Abgeordneten zum Nationalrat. Sie mögen sich in der bevorstehenden Legislaturperiode dieser Dinge besonders annehmen, zumal im kommenden Herbst zum erstenmal in Oesterreich die Internationale Konferenz der alle Kontinente umfassenden internationalen Familienorganisation (UIOF) tagt, und es nicht eben günstigen Eindruck machen würde, wenn wir als Gastland den Experten aus aller Welf jene unentschiedene und halbe Familien- gesefzespolitik präsentieren müßten, wie sie augenblicklich bei uns Hausbrauch ist.

DIE KRISE IN DER LABOUR PARTY. Wird de Gaulle zum Zerstörer der Labour Party? Diese Frage wird nicht nur in England gestellt. Durch die von de Gaulle erzwungene Verlegung amerikanischer Afombomber aus Frankreich nach England ist der alte Streif in der Labour Party wieder heftig offen ausgebrochen. Die Gewerkschaften und der linke Flügel der Partei fordern offen einseitige englische Afomabrüstung und propagieren Englands Führung im „atomfreien Welfclub", wobei nicht zuletzt an eine gewisse Allianz mit dem Indien Nehrus gedacht wird. Seinerzeit haften Führer der Labour Party, wie Attlee und Bevin, den Grundstein zur NATO und zur atomaren Rüstung Englands gelegt. Jetzt hat die Parteiführung unter Gaitskell, Bevan und Brown einen immer schwerer werdenden Kampf gegen die Linke der Partei und ihre Verbündeten zu führen. Dies kann unter Umständen die Partei spalten, wobei nicht ausgeschlossen ist, daß die Linke zusammen mit ihren Verbündeten in der Partei die Oberhand gewinnt, stimuliert durch Macmillans zumindest innenpolitische Erfolge als Vermittler zwischen Washington und Moskau.

EINE „GIPFELKONFERENZ FÜR IDEOLOGISCHE STRATEGIE"wird die in Mackinac Island in Michigan, USA, sfafffindende diesjährige Jahrestagung der „Moralischen Aufrüstung" genannt. Der eben 81 Jahre all gewordene Gründer dieser Bewegung, Frank Buchman, führte in seiner Eröffnungsansprache unter anderem aus: „Ein weltweiter Kampf um Gesinnung und Charakter ist heute im Gange. Ein neuer Geist vermag allein die schweren internationalen Spannungen zu überwinden: eine radikale innere Wandlung des Menschen. Dds Ziel dieser Konferenz ist, die Völker von unten bis oben zu reinigen. Das ist es: die Verpflichtung aus ganzem Herzen, auf ein Ziel gerichtet und völlig hingegeben, damit unsere Völker Führer bekommen, die frei sind von Furcht, Haß und Gier; Männer und Frauen, die die Strategie, die Kraft und Einigkeit kennen, die dann kommt, wenn der Wille völlig Gott hingegeben ist für den Neubau der Welt.” Die diesjährige Welfkonferenz der „Moralischen Aufrüstung”, an der die Teilnehmer aus Asien, Japan, Afrika im Vordergrund stehen, behandelt unter anderem folgende Ziele: Asiens Millionen eine wirtschaftliche, politische, soziale und moralische Dynamik zu geben, die jeder Form des Materialismus überlegen ist. Man kann von verschiedenen Seiten, nicht zuletzt vom katholisch-dogmatischen Standpunk her, der „Moralischen Aufrüstung” kritisch gegenüberstehen — sie bezieht ihre wirklich bedeutende Dynamik im letzten aus einem Geist, der den großen Erweckungsbewegungen in England und Amerika im 18. Jahrhundert verwandt ist, wobei nicht zu bestreiten ist: sie ist eine der ganz wenigen Bewegungen, die, von den Weißen ausgehend, heute bedeutende Menschen und auch breite Schichten in den anderen Kontinenten zu ergreifen, mifzureißen vermag. In ihr lebt etwas vom Schwung und der jugendlichen Glaubenskraft, von der Dynamik der großen Puritaner, modifiziert heute durch die herzhafte Mitarbeit gläubiger Freunde, die so ziemlich allen Religionen der Erde angehören.

PRÜFSTEIN KERALA. Für Indien werden die politischen Kämpfe in Kerala zum Prüfstein für die Chancen der Demokratie. Durch die Schuld der in sich uneinigen nichfkommunistischen Parteien errangen die Kommunisten in diesem Teilstaat Indiens vor 26 Monaten durch freie Wahlen die Macht. Sie nützten sie rücksichtslos aus, sickerten in Polizei und Bürokratie ein, schalteten das Schulwesen gleich. Da in Kerala nahezu die Hälfte aller indischen Katholiken lebt, wurde das blühende katholische Schulwesen ins Mark getroffen. Nunmehr haf sich die Kongreßparfei Nehrus mit den Katholiken und anderen Opposifionsgruppen verbunden, um die kommunistische Regierung zu stürzen. Leider ist die Opposition ganz uneinig. Was geschähe, wenn tatsächlich auf außerparlamentarischem Wege Keralas gegenwärtige Regierung gestürzt würde? Schlügen nicht bald infolge der Uneinigkeit der Opposition die Kommunisten verstärkt und siegreich zurück? Dem Kommunismus ist, wie der Fall Keralas zeigt, nicht durch Reaktion, sondern nur durch Fortschritt beizukommen.

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