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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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DROHT DER MAULKORB! In seltener Einmütigkeit hat die gesamte österreichische Presse gegen ein Urteil in einem Presseprozeß Stellung genommen, der als ein leidiges Nachspiel zu einem Kriminalprozeß sechs Tage nach der Urteilsverkündung sfaftfand. Der Chefreporter einer Wiener Miifagszeitung wurde wegen Beleidigung des Staatsanwaltes zu zwei Wochen Arrest, unbedingt, verurteilt. Wir identifizieren uns nicht mit besagtem Blatt und seinem Stil. Wohl aber ist eines zu bedenken: so sehr jede Zeitung und jede periodische Publikation ihrerseits verpflichtet ist, den guten Ton zu wahren, so sehr sind ihrerseits der Staat und seine Organe verpflichtet, die Freiheit der Presse nicht durch Schreckmaßnahmen abzuwürgen. Die vom Kläger hier inkriminierten Punkte (so ein Vergleich des Plädoyers des Staatsanwaltes mit einem Courths- Mahler-Roman und einem Schulaufsafz) sind, objektiv gesehen, keine Beleidigungen, die gerichtlich verfolgt werden müßten. Wenn das so weiter geht, dann ist es in absehbarer Zeit in Oesterreich nicht mehr möglich, über diesen und jenen „starken" oder repräsentativen Mann zu berichten. Wer die „Fälle" der letzten Jahre studiert, weif , daf) sehr oft nur durch die Presse hier und dort ein Verfahren erzwungen wurde, wo gute Freunde links und rechts und in der Mitte die „Sache" zudecken wollten. Die Republik Oesterreich kann es sich nicht leisten, an jenen Praktiken feilzunehmen, die eben Tradition in Diktaturen sind. „Es ist etwas faul im Staate Dänemark": das muf nach wie vor die Maxime der Nachrichtenpolifik und Pressepolifik in einem Staate sein, der sich vor Fäulnis schützen will. Durch die Verflechtung großer Inferessenver- bände und nicht zuletzt der Parteien erscheint der Raum des freien, des offenen Wortes an die Adresse mancher Männer und Mächte bereits bedenklich genug eingeengt.

SALZBURG UND DIE MUSEN. Der Staat hat seinerzeit selbst in einem Anfall von Kunstbegeisterung die Formel aufgeslellf, daß bei öffentlichen Bauten rund 2 Prozent der Bausumme für die künstlerische Ausschmückung des Baues verwendet werden sollen. Diesbezüglich ist es leider nie zu einem Bundesgesetz gekommen, den einzelnen Landesregierungen wurde nur nahegelegt, so zu verfahren. Nur einige wenige haben sich hierzu wirklich bereitgefunden. Der Bund selbst, der diesen Grundsatz aufstellfe — ohne ihn allerdings durch ein Gesetz zu sanktionieren —, ist nun, da er Gelegenheit hätte, an einem ganz prominenten Beispiel, seinen eigenen Vorschlag durchzuführen, gar nicht so weit gekommen. — Beim Neubau des Salzburger Festspielhauses denkt man nicht daran, 2 Prozent der Bausumme für die künstlerische Ausschmückung zu verwenden! Bei einem Haus also, das „von Haus aus’ für die Kunst und nur für die Kunst wirken und werben sollte, hat man es nicht der Mühe wert gefunden, österreichischen Künstlern die Möglichkeit zu geben, diesen Bau auch künstlerisch zu gestalten. — Möge doch der Handel und der Wiederaufbau nicht die Kunst vergessen.

DIE „KLEINE” FREIHANDELSZONE dürfte unter keinem viel glücklicheren Stern stehen als ihre „große" Vorgängerin; bewegt sie sich ja auch in den gleichen Bahnen wie diese. Es zeigt sich, daß nun nicht einmal zwischen den von der „Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft’ ausgeschlossenen sieben Staaten (England, die drei skandinavischen Länder, Schweiz, Portugal und Oesterreich) über eine Integration Einigung zu erzielen ist. Dies bewies wieder die Konferenz der Indusfrieverbände der Sieben in Kopenhagen, die dieser Tage zu Ende ging. Eindeutig für die Kleine Freihandelszone sprachen sich wohl lediglich die Engländer aus. Begreiflich, ist doch die Idee einer wirtschaftlichen Einigung auf dieser Basis ein britisches Kind. Auch die Schweizer verhielten sich noch positiv. Alle übrigen Länder hatten Vorbehalte oder Bedenken, die den am 20. Juli in Stockholm zusammentretenden Regierungsverfretern der Sieben schwer zu schaffen geben werden. Dänemark, das seif langem mit einem Anschh ß an die „Europäische Wirtschaftsgemeinschaft’ liebäugelt (Absatz landwirtschaftlicher Produkte), und Schweden konnten sich mit der „kleinen Lösung" gar nicht befreunden. Auch die österreichischen Indusfrieverfrefer ließen in wohlgesetzten Worten erkennen, daß ihnen ein gutes Verhältnis mit dem Markt der „Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft", mit dem sich zirka 50 Prozent des österreichischen Handels abwickelt, sehr am Herzen liegt. Der Vorschlag, die Außenzölle der Sieben zu harmonisieren, um den Brückenschlag zur „Europäischen Wirt schaftsgemeinschaft" zu finden, bedeutet eine versteckte Absage an die Kleine Freihandelszone, deren wesentlichstes Merkmal ja gerade die verschiedenen Außenzölle gegenüber Drittländern wäre. Es mag diplomatisch sein, auf diese Weise das Stockholmer Projekt zu bremsen (Frankreich zeigte bei der großen Lösung, wie man so etwas macht), deswegen sollte die Diskussion über die in diesem Blatt schon wiederholt angedeutefe Lösung eines österreichischen Assoziierungsvertrages — nicht zu verwechseln mit dem, trotz der Agitation einiger Kreise, nicht in Frage kommenden Beitritt — mit der „Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft" nicht aufgeschoben werden.

DER TAG X IST VORBEI. Seit Monaten, in den letzten Wochen fast fieberhaft, wartete das Saarland auf den Tag X, auf die wirtschaftliche Eingliederung in die Bundesrepublik Deutschland, der die Saar politisch seit dem 1. Jänner 1957 wieder angehört. Um Geldspekulationen zu verhindern, war dieser Termin geheimgehalfen worden. Am 4. Juli gab ein gemeinsames deutschfranzösisches Kommunique bekannt, daß am 5. Juli, Schlag Mitternacht, die Zollschranken an die saarländsisch-französische Grenze verlegt werden. Wirtschaftlich bedeutet die Rückgliederung für viele Saarländer zunächst eine harte Belastung: die bisher nach französischem Muster gewährten Familienzulagen fallen fort. Zahlreiche Arbeitnehmer müssen ihr Entgelt neu aushandeln. Die Bahnfrachten werden erhöht, was allein für Bergbau, Industrie und Handel eine jährliche Mehrbelastung von etwa 70 Millionen D-Mark ausmacht. Die saarländische Industrie muß sich den Markt in der Bundesrepublik erst erobern. Diesen und einigen anderen Passiven steht als Haupfaktivposten wirtschaftlich die Chance gegenüber, am deutschen Markt und Arbeitsmarkt voll und ganz feilnehmen zu können. Politisch noch beachtenswerter ist die Tatsache, dafj dieser friedliche Vergleich zwischen Frankreich und Deutschland einzigartig bisher, sowohl in West-, wie in Osteuropa dasfeht. Nach der Verwerfung eines europäischen Statuts in der Volksabstimmung 1955 entschloß sich Frankreich, der Rückgliederung des Saarlandes an die Bundesrepublik keinen Widerstand entgegenzu-- sefzen. Diese rasche Entschließung schuf die heute bereits breite und gesicherte BasisJür,fdie politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich. Oesterreicher und andere Europäer denken angesichts dieser kordialen Lösung an die vielen Grenzland- und Inlandprobleme, die in unserem Europa noch nicht gelöst sind, sowohl in seiner freieren, wie in seiner unfreieren Hälfte… Offizielle westdeutsche Kreise haben der französischen Regierung gedankt für die so positive Mitarbeit bei der Lösung der Saar-Frage. Zu weit aber dürften die Hoffnungen einer deutschen Partei gehen, die eben jetzt verlautbart: die Heimkehr der Saar werde ihren Eindruck auch im Osten nicht verfehlen und ziehe da Rückwirkungen nach sich. Hier irrt man sehr: ein Versuch, die Saar-Lösung nach Osten weiterzutragen, könnte nur zu einer Politik der Illusionen und Zusammenbrüche führen. Für die Lösung der deutschen Osfprobleme bildet die Saar kein Modell.

BROSAMEN FÜR FLÜCHTLINGE. Kürzlich kam in London ein Gemälde von Rubens, „Die Anbetung der Magier”, zur Versteigerung. Die britische Regierung gedachte das Bild um etwa 100.000 Pfund für ein staatliches Museum zu erwerben, aber diese Preisgrenze war bald überschritten, und schließlich erfolgte der Zuschlag bei 275.000 Pfund an einen privaten Käufer. Den verantwortlichen Herren in Whitehall sollte diese sensationelle Auktion Anlaß zu einigem Nachdenken geben. Von demselben Boden, auf dem sich vor bald zwei Jahrtausenden das von

Rubens dargestellfe Ereignis zugetragen hat, sind nach dem britischen Abzug aus Palästina

Und von den Briten preisgegeben Hundert tausende von Arabern, Männer, Frauen und Kinder, verjagt worden, um einem bis heute ungelinderfen Elend überlassen zu bleiben. Ihnen und den ungezählten Scharen anderer Heimatvertriebener aus der Kriegs- und Nachkriegszeit, die, zur Schande der sogenannten freien Welt, noch immer zu einer menschenunwürdigen Existenz verurteilt sind, sollte nun endlich, in dem als solches proklamierten Flüchflingsjahr, durch eine gemeinsame, großzügige Aktion aller Staaten des Westens zu einer ausreichenden und gesicherten Lebensgrundlage verholten werden. Wenn nun die britische Regierung, bei einem Jahresbudget von rund 5,4 Milliarden Pfund, nicht gewillt ist, wie erklärt wurde, zu einem solchen Zweck mehr als 200.000 Pfund beizusfeuern, also gerade nur das Doppelte des Betrages, den sie für den Ankauf eines Gemäldes auszugeben bereif war, so kommt damit zum Ausdruck, daß sie für die Flüchflingsnot nur ein Achselzucken übrig hat.

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