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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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MERK'S, WIEN! „Die Tat des 20. Juli 1944, eine Tat gegen das Unrecht und gegen die Unfreiheit, ist ein Lichtblick in der dunkelsten Zeit Deutschlands. Die tragische Wahrscheinlichkeit des Scheiterns vor Augen, entschlossen sich freiheitlich gesinnte Kräfte aus allen Lagern, n vorderster Front Männer aus den Reihen der Soldaten, zum Sturz des Tyrannen. Das christlich-humanistische Verantwortungsbewußtsein, das diesen Entschlufj bestimmte, gab ihrem Märtyrertum- die Weihe.” Dieser Aufruf an die deutsche Bundeswehr zum 15. Jahrestag der Tat, unterzeichnet von General Heusinger, ihrem Generalinspektor, schließt mit den Worten: „Wir Soldaten der Bundeswehr stehen in Ehrfurcht vor dem Opfer jener Männer, deren Gewissen durch ihr Wissen aufgerufen war. Sie sind die vornehmsten Zeugen gegen die Kollektivschuld des deutschen Volkes. Ihr Geist und ihre Haltung sind uns Vorbild.” Merk's, Wien, beherzige es, Dominikanerbastei: wann wird man hierzulande von höchster ziviler und militärischer Stelle so eindeutige Bekenntnisse zum Widerstand gegen das Regime des „Tyrannen” wagen? Es ist hoch an der Zeit. Jahr für Jahr kommen junge Oesterreicher in die Schule, in das Heer — oft, ohne ein einziges klares Wort zu hören, was wirklich geschah. Der Ton offizieller Reden bei soldatischen Feiern liegt bei uns auf sehr anderer Ebene. Man nehme sich doch hier einmal ein Beispiel am deutschen Vorbild, dem man sonst gerne unklug und unbedacht nachjagt…

SCHAFFT ÖSTERREICHER INS AUSLAND!

Getreu dieser Devise, wurde aus Oesterreich in' den letzten Jahren und Jahrzehnten eine kostbare Ware exportiert. Universitäfsprofessoren aus Oesterreich halfen die Spitze in Amerika und Deutschland, es gibt kein Land der Welt, das in so hohem Außmaße eine Elite von geistigen Arbeitern, Künstlern und Intellektuellen großzügig auf den Weltmarkt wirft. Warum eben jetzt wieder einmal kurz von dieser beschämenden Tatsache unseres mit vielen Fassaden verkleideten Kulfurbetriebs die Rede sein muß? Zwei kurze Zeifungsmeldungen: Otto Brunner wurde soeben zum Rektor der Hamburger Universität gewählt, Ingeborg Bachmann erhält eine Gastdozenfur für Poetik an der Frankfurter Universität. Aus Animosität gegen den Wiener Historiker Otfo Brunner, eine der bedeutendsten Kapazitäten seines Faches in der ganzen Welf, wollte vor einigen ’ Jahren eine Wiener Hochschule sogar einen Lehrstuhl aufheben, weil Gefahr bestand, daß dieser Gelehrte ihn erhalte. Dieser Mann, der fast sein ganzes Lebenswerk der österreichischen Geschichte gewidmet hat, sitzt also in Hamburg. In Wien hat eben Heinz Politzer die Koffer gepackt, um nach Amerika zurückzukehren: es war hier nicht „möglich", diesem bedeutenden und international anerkannten Germanisten in seiner Heimat eine Gastprofessor zu verschaffen. Die junge Ingeborg Bachmann, vor Jahren in Rom wohnhaft, ist nun wieder, wie so viele vor ihr, in Deutschland gelandet. Dabei würde gerade unsere Germanistik dringend eine Blutauffrischung brauchen, um aus ihrer Provinzialität herauszukommen. Unsere Hohen Schulen beklagen sich, daß sie zuwenig Mittel vom Staat her erhalten. Es wäre an der Zeit, vor der eigenen Türe und im eigenen Haus zu kehren: in einem Hohen Haus, das sich so erfolgreich gegen jede Renovierung wehrt,

GEHEIM. Vor einigen Jahren waren etliche jugoslawische Flüchtlinge nach Wien gekommen. Warum sie ihre Heimat verliehen, auf welchem Weg, kraft welcher Unterstützung — das blieb geheim. Geheim nach dem Willen des Gerichtes, das sich in Wien mit der Anklage wegen Geheimbündelei gegen vier der Ausländer zu befassen hatte. Ein Geheimnis ist des anderen wert. Es ging, wie der Vorsitzende in der Urteilsverkündung erwähnte, darum, daß die Männer auf ausländischen Auftrag hin hier eine halbmilitärische kroatische Organisation gründeten. Welche, das blieb geheim. Siehe oben. Nicht geheim war es laut Anklage, daß die vier Angeklagten mehrfache Aktionen gegen die hiesige Botschaft Jugoslawiens unternommen hatten, wobei unter anderem auch Pneus der Diplomatenwagen durchschnitten wurden. Aktionen zweifellos, die man zuerst in gewissen ausländischen Kreisen österreichischen Urhebern zuschob, was mit Hinblick auf die vorübergehenden Spannungen wegen der Kärntner Schulfrage psychologische Bedeutung hatte. Hier hätte man hineinleuchfen sollen, warum . .. doch, geheim! Siehe oben. Weil der Verteidiger bei Verhandlungsbeginn behauptete, es würden Dinge zur Sprache kommen, welche die öffentliche Sicherheit gefährden könnten, wurde der Prozeß bis zur Urteilsverkündung geheim geführt. Die öffentliche Sicherheit… in Wien „. geheim…

SOZIALISMUS IN GÄRUNG. 150 führende Sozialisten aus vierzig Ländern haben sich in Hamburg in dieser Woche zum 6. Kongreß der Sozialistischen Internationale eingefunden. Der Kongreß soll der Prinzipienerklärung des demokratischen Sozialismus von 1951 eine konkretere Fassung geben. In ihr soll jede Zusammenarbeit mit dem Kommunismus abgelehnt, gleichzeitig aber auch die nichtsozialistischen Regierungsformen in der westlichen Welt für unfähig erklärt werden, einen dauerhaften Frieden zu sichern. Viel Beachtung, weit über sozialistische Kreise hinaus, fanden Berichte der Exilsozialisten aus den Satellitenländern über die sowjetrussische Einflußnahme in Bulgarien, Rumänien, den baltischen Ländern. Die sozialistischen Exilparteien fordern die Befreiung ihrer Länder von der sowjetischen Herrschaft: „Alle diese Nationen sind im Zustand ideologischer Gärung und leben buchstäblich am Rande einer Explosion gegen den sowjetischen Herrschaftsanspruch. Westliche Sozialisten haben andere brennende Sorgen. Die Engländer unter Führung Gaitskells suchen vor allem eine französische Unterstützung für einen afomwaffenfreien Klub und wollen anschließend daran in Moskau verhandeln. Die deutschen Sozialisten sind eben mit der Reorganisierung ihrer Führung beschäftigt, nachdem Ollenhauer verzichtet hat, sich bei den nächsten Wahlen als Führer eines sozialistischen Kabinetts den Wählern zu präsentieren. Wie der interne Zweikampf zwischen den Männern des Apparats unter Wehner und der repräsentativen Gruppe unter Carlo Schmid, Brandt und Mom- mer ausgehen wird, kann gegenwärtig noch nicht beurteilt werden. In Frankreich haben sich die Sozialisten unter Mollet soeben wieder hinter de Gaulle gestellt. So bieten gerade die bedeutendsten sozialistischen Parteien Europas heute ein Bild, das die Krisen und Umschichtungsprozesse unserer Gesellschaft und unserer politischen Verhältnisse sehr deutlich auf seine . Weise reflektiert. Der demokratische Sozialismus nimmt in vollem Umfang an den Krisen der westlichen Welf teil: was kein Trost ist für seine demokratischen Gegner.

GENF II UND FORMOSA: Nach dreiwöchiger Pause hat die Genfer Außenministerkonferenz ihre Tätigkeit wiederaufgenommen. Da die Sowjets sahen, daß der Westen sich in der Berliner Frage nicht aus der Ruhe bringen ließ, haben sie mit ihren chinesischen Freunden wieder einmal an einem anderen Hitzepol der Weltpolitik scharf gemacht. Formosa erwartet einen neuen chinesischen Angriff, möglicherweise mit russischen Fernraketen, wie Chruschtschow Harriman gegenüber andeutete. Wer dabei den Primat hat, ist von hier aus nicht festzustellen: benützen die Chinesen, die in die UNO und die Weltpolitik drängen, die Tage der Genfer Konferenz, um sich nachdrücklich in Erinnerung zu bringen, oder unterstreichen die Russen durch den Aufmarsch des gelben Bruders ihre Bemühungen in Genf? In Afrika und Asien haben inzwischen Sukarno in Indonesien, und Kassem im Irak den Kommunisten sehr deutliche Absagen erteilt. Moskau beobachtet seit längerem, wie sehr der Weltkommunismus in Afrika und Asien innerhalb des letzten Jahres an Gesicht verloren hat. Der überschwengliche Empfang für den Negus und der bevorstehende Besuch Chruschtschows in Addis Abeba, sein erster Staatsbesuch auf afrikanischem Boden, sollen hier heikles Terrain sondieren und die Rückkehr Moskaus nach Afrika vorbereiten. Das alles, die Schatten Asiens und Afrikas fallen über die eben, erst etwas abgekühlten Genfer Konferenzräume, in denen das große Spiel weitergeht.

„ZUM SCHUTZ DER ÖFFENTLICHEN SICHERHEIT": Das ist' der Titel des neuen spanischen Polizeigesefzes, das eben jetzt herausgekommen ist, nachdem Spanien als letztes westeuropäisches Land den Visumzwang aufgehoben haf. Rund drei Millionen Touristen jährlich und einige zehntausend ständig im Lande weilende Amerikaner bringen Bewegung in das vorher ziemlich isolierte Land. Das Polizeigesetz unterscheidet den normalen Zustand, den Ausnahmezustand und den Kriegszustand. Als Verbrechen gegen die Staatssicherheit gelten nicht nur Meuterei und Sfra- ßentumult, sondern auch Streik und Betriebsschließung. Die staatlichen Sicherheifsorgane dürfen schon bei versuchten Störungen der öffentlichen Ordnung und bei „Ungehorsam” zur Verhaftung schreiten. Ohne Gerichtsverfahren dürfen der Innenminister, die Provinzgouverneure und die örtlichen Bürgermeister Geldstrafen verhängen. Straßenansammlungen sind verboten. Ueber die seit 20 Jahren geltenden Zensurbestimmungen hinaus kann die Polizei nach Verkündigung des Ausnahmezustandes eine Vorzensur über die Presse verhängen und mit Genehmigung des Innenministers Zeitungen verbieten. — Ausführliche Bestimmungen gelten für die Ausnahmezustände: Verhaftungen können ohne richterlichen Haftbefehl vorgenommen werden. Jeder Wohnungswechsel bedarf einer behördlichen Genehmigung, die mindestens zwei Tage vorher eingeholt werden muß. Der Kriegszustand wird erklärt, wenn die Unruhen, die zur Verhängung des Ausnahmezustandes geführt hatten, nicht mehr von den zivilen Behörden unterdrückt werden können. — Dieses neue Polizeigesefz sieht also wirklich „für alle Fälle” vor. Es zeigt, wie ernst das Regime das spanische Volk und die Zukunft nimmt…

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