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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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STAATSRÄSON. Ei ne Pressemeldung: „Beim Fesfabend der sowjetischen Festivaldelegation im Großen Konzerthaussaal erschien Bundeskanzler Raab zusammen mit Staatssekretär Grubhofer." Verwundert, vielleicht sogar verwirrt oder gar erbost legte mancher Leser die Zeitung aus der Hand. Machen Kanzler und Staatssekretär Fleißaufgaben? Kaum. Aber es gibt wohl Pflichten einer verantwortungsvollen Staatsführung, wenn die Einladung die einer Signatarmacht des Staatsverfrages ist, die nicht ausgeschlagen werden kann. Nicht zuletzt deswegen, damit jene, die sich darüber mokieren, in Freiheit und Frieden in Oesterreich leben können.

FAST VIER MILLIARDEN SCHILLING sind für den Wohnhauswiederaufbau noch aufzubripgen — und das elf Jahre nach Erlassung des Aufbaugesetzes! Der Bundesminister für Handelj und Wiederaufbau bemerkte dazu in einer Pressekonferenz, man hoffe, in vier bis fünf Jahren alle Ansuchen, welche an die Fondsverwaltung herangefragen wurden — Wien führt dabei mit 746 Ansuchen im Gesamtbetrag von 2,7 Milliarden Schilling —, zu erledigen. Eine der größten Sorgen stellen der Wiederaufbau und die Instandhaltung bundeseigener ziviler Gebäude dar. Das Ministerium für Handel und Wiederaufbau hat in ganz Oesterreich rund 14.000 Einzelobjekte mit Hilfe der ihm nachgeordneten Bundesgebäudeverwaltung zu betreuen. Infolge einer starken Kürzung der Geldmittel für die Instandhaltung konnten heuer keine neuen Bauvorhaben realisiert werden. Die verfügbaren Gelder genügen kaum zur Durchführung der dringendsten Arbeiten. 600 ausgearbeitete Anträge mit einem Erfordernis von 250 Millionen Schilling liegen vor. Es kann nicht verschwiegen werden, daß Sonderausgaben, wie der Neubau des Salzburger Festspielhauses, der weitere Ausbau der ungarischen Flüchtlingslager sowie vor allem Schulbauten, strengste Kalkulation erfordern werden.

DEUTSCHLAND UND DIE KLEINE FREIHANDELSZONE. „Seit einem Monat bildet der Plan einer Kleinen Freihandelszone das wirtschaftspolitische Thema in der öffentlichen Diskussion Deutschlands." So beginnt die „Neue Zürcher Zeitung" den Artikel „Deutsches Unbehagen über die Kleine Freihandelszone”. — Ueber- raschend für westdeutsche Wirtschaftskreise ist der Plan der „Aeußeren Sieben" viel schneller herangereift, als man erwartet und befürchtet hafte. Bonn fürchtet nun offen Rückwirkungen der Kleinen Freihandelszone auf den deutschen Außenhandel und hat sich zu einigen Geständnissen bequemt: während zuvor strikt geleugnet wurde, daß die Länder außerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft durch den Gemeinsamen Markt diskriminiert würden, gibt man dies jetzt zu und meint, eine Spaltung Europas in zwei Blöcke, die sich gegenseitig diskriminierten, müsse vermieden werden. Für Oesterreich ist diese deutsche Entwicklung deshalb beachtenswert, weil sie zeigt, wie Minister Erhard neu an Gewicht gewinnt. Erhard hat nämlich, im Gegensatz zu Dr. Adenauer, unverdrossen seiner Lieberzeugung Ausdruck gegeben, daß die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, als ein Westblock unter Führung Deutschlands, Italiens und Frankreichs, auf die Dauer keine perfekte Lösung darsfelle. Erhard tritt seit geraumer Zeit für eine Oeffnung ein. Der Widerwille deutscher Großindustrieller gegen Erhard, die von ihrem Gemeinsamen Markt gern noch reichlich zu profitieren hoffen, ist verständlich. Ebenso plausibel ist, daß sowohl in der CDU wie anderswo die für ein offenes Europa eintretenden Politiker sich um Erhard scharen.

KEIN AUSSCHLUSS AUS EUROPA. Wir glossierten an dieser Stelle („Furche" Nr. 24) den Ausschluß des Gründers der Paneuropaunion aus der Schweizerischen Europaunion. Dazu teilt uns nun Richard Graf Coudenhove-Kalergi mit, die 1924 von ihm gegründete Paneuropaunion habe mit dem auf die Schweiz beschränkten Verein der Schweizerischen Europaunion, der seif 1933 besteht, keinerlei Beziehungen. Um ein Beispiel europäischer Solidarität zu geben, ist Graf Coudenhove-Kalergi vor fünf Jahren der Schweizerischen Europdunion als einfaches Mitglied beigetreten. Sein Ausschluß erfolgte als Protest der Schweizerischen Europaunion gegen ein von ihm verfaßtes Memorandum „Freiheit oder Einheit", das folgende Richtlinien enthält: „Die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit und im europäischen Rahmen bleibt das Ziel jeder Europapolifi'k; solange diese beiden Vorbedingungen infolge der russischen Politik unerfüllbar sind, muß die Wiedervereinigung vertagt werden; jede Wiedervereinigung durch eine von Moskau ferngesteuerte deutsche Konföderation führt zwangsläufig zur Bolschewisierung Deutschlands und Europas; die Vereinigten Nationen sollen die Freiheit West-Berlins garantieren; zur Sicherung der Freiheit dieser Stadt sind diplomatische Beziehungen zwischen Bonn und Pankow unerläßlich!" — Wir drucken gern diese Mitteilung ab und empfehlen unseren Lesern die Lektüre dieser Erwägungen eines Mannes, der seif 40 Jahren Mut und Klugheit, Kühnheit und Vorsicht in der Beurteilung der europäischen Probleme bewiesen hat. Graf Coudenhove-Kalergi isf nach wie vor Präsidentder Paneuropaunion und Ehrenpräsident der Europabewegung.

NIXON VOR DEN TOREN POLENS. Einstimmiges Urteil des Westens über das Auftreten des amerikanischen Vizepräsidenten Nixon in Moskau: prächtig. Nixon hat in Südamerika und Afrika viel gelernt, im Hinnehmen von Tiefschlägen und in der Rückgabe von harten Bällen. Chruschtschow sowie einzelne russische Anfrager haben mit harten Attacken den langen Amerikaner auf Herz und Nieren geprüft. Nixon wurde weder „weich" noch überhart. Mit großer Geduld setzt er sich mit den Russen auseinander, die über die Herrlichkeiten der Amerika- Ausstellung in Moskau ihre Bewunderung und Kritik, Abwehr und Anerkennung schwer auf einen ausgewogenen Nenner bringen können. Diese Ausstellung ist übrigens sehr geschickt gemacht, sie legt das Schwergewicht weder auf die Schwerindustrie noch Luxusartikel, sondern auf Konsumgüter und technische Hilfen des täglichen Lebens. Verständlich, daß die 80 fließend, russisch sprechenden amerikanischen Führer in der Ausstellung überbeschäftigt sind. Endlich haben die Amerikaner hier wirklich überzeugungskräftige Argumente für ihre Welt gefunden, nicht zuletzt sprachkundige US-Neger- sfudenten, die den Russen offen über die komplexe Situation der Farbigen in Amerika Rede und Antwort stehen. Auf Chruschtschow macht das alles eher einen aufreizenden Eindruck. Die stärkste Wirkung hat aber Nixon auf ihn mit seiner frohgemuten Ankündigung, von Moskau aus Polen zu besuchen, gemacht. Nichts ist für Chruschtschow heikler als dies: die Russen kennen sehr genau die Sympathien Polens für Amerika. Wenn Amerika etwas stärker in Polen Fufj faßte, wäre das ein Einbruch in den Ostblock. Wenn die Amerikaner dergestalt Pankow überfliegen, wird die DDR im gegenwärtigen großen Handel entwertet. Der Besuch Herte.s in Berlin, stürmisch aufgenommen von der Bevölkerung, ist also mit Nixons scharmanter Ankündigung einer Warschau-Visite zusammenzusehen. Noch wäre es voreilig, in die Zukunft zu sehen. Erfreulich ist es aber doch, wie die Amerikaner allmählich lernen, elastischer zu fechten.

NYASSALAND UND MACMILLAN. Die Unter- hausdebafte über die Afrikapolitik der englischen Regierung hat der Opposition die Cfeance gegeben, zu einem schweren Angriff gegen MacMillan anzusetzen. Der Bericht der richterlichen Untersuchungskommission stellt fest, daß in Kenia elf Gefangene zu Tode geprügelt wurden und in Nyassaland Polizei und Militär unnötige Gewaltanwendung übten. „Nyassaland ist heute — zweifelsohne nur vorübergehend — ein Polizeistaat… wo es unklug ist, auch nur die vorsichtigste Kritik an der Regierungspolifik zu üben." Die Labouropposifion fordert den Rücktritt des Kolonialministers und des Gouverneurs von Nyassaland. MacMillan und seine Regierung wollen beide Männer halten. Der Premier ist in einer schwierigen Lage, er bestritt die Feststellungen dieses von der Regierung und Parlament eingesetzten unabhängigen Ausschusses, Es ist politisch, über die englische Auseinandersetzung hinaus, interessant, wie hier die sozialistische Opposition in ihrem Kampf gegen eine konservative Regierung auf „schwarz" gegen „rot" setzt: MacMillan hat sich nämlich in sozialistischen Wählerkreisen durch seinen Interventionsversuch zwischen Moskau und Washington Sympathie erworben. Die Labour-Führung fürchtet aus wahlpolitischen Gründen die „rosa-rote" außenpolitische Linie des Führers der Konservativen. Als Gegenschlag präsentiert sie jetzt ihre „Schwarzen" und versucht damit der Regierung eine moralische Niederlage zu bereifen.

UM DIE DEMOKRATIE IN INDIEN. Der südwestindische Staat Kerala befindet sich in einer Krise, die von Tag zu Tag bedrohlicher wird. Die Kommunisten, die dort auf demokratischem Weg zur Macht gekommen sind, nicht weil sie die Mehrheit der Wähler auf ihrer Seite gehabt hätten, sondern weil die Mehrheit zersplittert war, scheuen sich nicht, die Mittel einer brutalen Diktatur einzusetzen, um sich, entgegen dem Willen der Bevölkerung, an der Macht zu erhalten. Bisher hat Jawarhalal Nehru, Premierminister der Indischen Union, nichts getan, um diesen der Menschlichkeit und den Grundprinzipien einer demokratischen Ordnung hohnsprechenden Zuständen ein Ende zu setzen. Vielleicht widerstrebt es ihm, einem überzeugten Liberalen englischer Schulung, die in der Verfassung vorgesehenen Maßnahmen gegen die Regierung eines Teilsfaates zu ergreifen, die ihre Macht gröblich mißbraucht; vielleicht auch fürchtet er, durch ein Vorgehen gegen die in Kerala herrschende kommunistische Clique seine sorgsam gepflegten Beziehungen mit Moskau und Peking zu belasten. Er wird aber einer Entscheidung für Gesetz und Ordnung und für die Rechte des gepeinigten Volkes von Kerala nicht mehr lange aufschieben dürfen, wenn er nicht die Gefahr heraufbeschwören will, daß die Demokratie in ganz Indien diskreditiert und der Weg jenen geebnet wird, die von der Errichtung einer allindischen Diktatur träumen

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