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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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GERADE ZUR RECHTEN ZEIT hat der Rechnungshof den Parlamentariern und allen zuständigen Stellen eine wichtige Grundlage für die kommenden Budgetberatungen im Nationalrat geliefert. Der Rechnungshof hat nun den Bundesrechnungsabschluß für das Jahr 1958 vorgelegt, so daß die Abgeordneten bei ihren Bud- getberafungen nicht nur auf die geschätzten Ziffern der Einnahmen und Ausgaben des laufenden Jahres, sondern auf die tatsächliche Gebarung des Jahres 1958 zurückgreifen können. Laut Bundesrechnungsabschluß schloß die ordentliche Gebarung des Jahres 1958 mit einem Abgang von rund 3780 Millionen Schilling, die außerordentliche Gebarung mit einem Abgang von rund 1990 Millionen Schilling. Der Gesamtabgang des Bundeshaushaltes betrug demnach rund 5770 Millionen Schilling! Dieses Defizit mußte durch Kreditoperationen bedeckt werden. Infolge dieser Kreditoperationen betrug der Stand der Finanzschulden der Republik Oesterreich mit 31. Dezember 1958 rund 15.635 Millionen Schilling, das sind fast 40 Prozent des Budgetrahmens. Im Vergleich zu den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich erscheint dieser Schuldenstand zwar gering, doch müßte vor allem in Zeiten aufsteigender Konjunkturentwicklung mit der Verschuldung besonders vorsichtig umgegangen werden. Ueber- blickt man die Budgetgebarungen der letzten Jahre, so stellt sich heraus, daß die sogenannte „Anrizyklische Budgetpolitik — also das Streben, daß der Staat zur Ankurbelung der Wirtschaft unter Umständen auch mehr ausgibt, als er in einem Finanzjahr einnimmf, hingegen in Zeiten der Hochkonjunktur Ueberschüsse in der Budgefgebarung zu erzielen trachtet, um seine Kassen zu füllen — in Oesterreich auch nicht annähernd verwirklicht werden konnte. Beispielsweise schloß die Gesamtgebarung des Bundes in den Jahren 1953 und 1954 aktiv; 1955 und 1956 war zwar die ordentliche Gebarung noch aktiv, die Gesamtgebarung aber durch große Ausgaben der außerordentlichen Gebarung bereits passiv, und seit 1957 ist sowohl die ordentliche Gebarung als auch die Gesamtgebarung des Bundes defizitär!

EIN GUTER RAT VON LINKS! Als einzigartige geniale Lösung sei die innere Organisation der OeVP zu bezeichnen, die mit ihren drei Bünden ein internes Forum für die natürlichen Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitern, Bauern und Unternehmern geschaffen habe. Diese geniale Lösung weise nur einen , Nachteil aufs Sie funktioniere nicht Solche Erkenntnis stammt von Georg Mautner Markhof, einem jüngeren Mitglied einer alten österreichischen Unterneh- merdynastie. Was soll man nun aber tun, wenn eine Lösung zwar genial ist, aber den einen Fehler habe, daß sie nicht funktioniere? Georg Mautner Markhof sieht die Ursache dieses Nicht- funktionierens im Fehlen einer geistigen Verbindung und meint, eine solche könne nur in einem klaren, bürgerlich-konservativen Bekenntnis liegen. Mit diesen Gedankengängen eines Sprosses einer österreichischen Unternehmerfamilie machte vor kurzem ein Artikel in der „Arbeiter-Zeitung bekannt, der von Nationalrat Karl Czernetz stammt. Nun sollte man meinen, daß Karl Czernetz, der doch zu den profilierten Linken der SPOe gehört, diese Ausführungen von Georg Mautner Markhof zum Anlaß nehmen würde, um mit aller Schärfe des Ausdrucks, über die er verfügt, gegen eine solche Lösung der inneren Schwierigkeiten der OeVP zu Felde zu ziehen. Wie gesagt, man sollte, aber eine solche Annahme wäre, wie der Artikel zeigt, weit gefehlt. Karl Czernetz verbreitert sich ausführlich über die notwendige gesellschaftliche Funktion, die der Konservativismus habe, da er ja die Bremse an dem Wagen sei, dessen Motor — wie sollte es anders sein — der Sozialismus darstellt. Es ist nicht schwer, zu erkennen, daß Karl Czernetz und mit ihm sicherlich sehr bedeutende Kreise der österreichischen Sozialisten der Meinung sind, die OeVP würde am besten tun, wenn sie auf einem bürgerlich-konservativen Konzept verharre bzw. sich noch eindeutiger als bisher dazu bekenne. Mit Sozialdemagogie, worunter Czernetz alle Versuche versteht, die Volksparfei wirklich zu einer Partei des Volkes, das heißt auch der kleinen Leute zu machen, sei nichts zu erreichen. Der Hinweis auf die Verhältnisse in Schweden enthüllt klar den Wunsch der Sozialisten: Die Volksparfei möge eine bürgerlichkonservative Unternehmerpartei bleiben oder werden. Sie hätte dann eines Tages mit vielleicht einem Drittel der Abgeordneten wichtige sozialpolitische Funktionen zu erfüllen. Die dominierende Rolle würde dann natürlich die Sozialistischen Partei spielen. Wie in Schweden. Fürwahr ein guter Rat! Peinlich nur, daß er sich auch auf einige Propagandisten der Volkspartei stützen kann.

NOBELPREIS UND POLITIK. Nach der Verleihung des Nobelpreises für Literatur gibt es fast immer Diskussionen. In diesem Jahr, da die Schwedische Akademie den Sizilianer Salvadore Quasimodo ausgezeichnet hat, wurden sie heftiger also sonst, und, wie uns scheint, mit gutem Grund geführt. Bedenkt man, daß der Preis ursprünglich für ein Lebenswerk oder auch für ein einzelnes Opus von Weltrang bestimmt war, so wird man hinter diese letzte Entscheidung des Preiskomitees wohl ein dickes Fragezeichen setzen müssen, besonders in Oesterreich. Doch davon später. — Der 1901 in Syrakus geborene Sizilianer hat seit 1930 in einer literarischen Zeitschrift („Solaria") Gedichte erscheinen lassen, trat 1938 als Rezensent in die Redaktion der Mailänder Zeitschrift „Tempo" ein und ist gegenwärtig als Literaturprofessor tätig. Vor dem zweiten Weltkrieg gründete er die lyrische Schule des „Hermetismus . Weniger „hermetisch" sind Quasimodos politische Neigungen und Ambitionen. Im Organ der italienischen KP „Unitä" begrüßte er 1957 den ersten Sputnik mit dem Gedicht „Auf, zum neuen Mond" und staffele zu Beginn dieses Jahres der Sowjetunion einen Besuch ab. Jenes Gedicht charakterisiert der „Osservatore Romano” als „die Quintessenz aller charakteristischen Elemente der italienischen Lyrik, up to date gebracht von der Zeit an, da Quasimodo Mitarbeiter einer Zeitschrift der faschistischen Intellektuellenvereinigung war, bis auf den heutigen Tag." — Die Stockholmer Zeitung „Aftonbladet"erinnert daran, daß etwa Pablo Neruda, Saint John Perse, Samuel Beckett und Eugene Jonesco noch am Leben seien, die des Preises wohl würdiger gewesen wären. — Wir, von Oesterreich aus, müssen daran erinnern, daß weder Rilke noch Hofmannsthal, weder Werfel, Kassner oder Karl Kraus, weder Kafka, Musil, Broch oder Joseph Rofh den Nobelpreis für Literatur erhalten haben. Aber Heimifo von Doderer zum Beispiel lebt noch — und so mancher andere im deutschen Sprachraum, der längst an der Reihe gewesen wäre…

GIPFELSTÜRMER. London ist bestürzt, und Washington sehr ärgerlich über die geringe Begeisterung, die General de Gaulle für die sofortige Abhaltung einer west-östlichen Konferenz auf höchster Ebene an den Tag legt. Da wie dort war man so überzeugt davon, daß auch der französische Staatspräsident es gar nicht erwarten könne, sich an den Verhandlungstisch der „großen Vier" zu setzen, daß man es offenbar für überflüssig hielt, sich seines Einverständnisses hinsichtlich des Dezembertermins, den man vorgeschlagen hatte, zu vergewissern. Nun stellt sich aber heraus, daß der eigenwillige General nicht daran denkt, den durch das Drängen Chruschtschows ausgelösten „Gipfelsturm" der angelsächsischen Verbündeten Hals über Kopf mifzumachen. Zunächst will er den sowjetischen Verhandlungspartner noch vor der geplanten Konferenz persönlich kęnnen- lerhen; zu welchem1 Zweck es ihn, und zwar erst für Februar, nach Paris eingeladen hat. Ob diese Einladung ratsam war, mag fraglich sein. Aber unbestreitbar vernünftig und berechtigt ist de Gaulles Verlangen, den Akfionsplan der drei Westmächte völlig klargestellt zu sehen, ehe das Gespräch zu viert beginnt; ein Standpunkt, den der „unsichtbare Fünfte”, Bundeskanzler Adenauer, unzweideutig unterstützt. Wenn von dem geplanten west-östlichen Treffen ein irgendwie günstiges Ergebnis erhofft werden darf, dann doch nur unter der Voraussetzung, daß die Repräsentanten des Westens gründlich vorbereitet und eines Sinnes sind über das Konzept, welches sie, was immer die Gegenseite vorbringen mag, gemeinsam vertreten wollen.

KENNAN MAHNT. Weit über Washington hinaus hat die letzte große Rede George F. Kennens, des bekannten Rußland-Experten, früheren Botschafters in Moskau und Leiters der Planungsabteilung des State Departements, Eindruck gemacht. Kennan führte in Washington aus: Die westliche Position gegenüber dem Osten sei stets „verkrampft und unbeweglich’ gewesen; man habe daher nie herausfinden können, was die Sowjetunion tun würde, wenn es um die Entscheidung ginge und über ein wirkliches Kompromiß verhandelt werden könnte. Die Ausrüstung der NATO mit Atomwaffen hat nach Kennans Ansicht jede Chance für ein Disengagement ausgelöscht. In der Sowjetunion hätten sich große Veränderungen abgespielt, denen Rechnung getragen werden müsse. Chruschtschow müsse für seine Taten Rechenschaft ablegen, er sehe sich einer „fast parlamentarischen Situation gegenüber. Am wichtigsten sei eine Einigung mit dem Osten über die Vernichtung der Atomwaffen. Das sei der Schlüssel zu allen Ost-West-Vereinbarungen. Ebenso sehr Aufsehen wie diese Rede erregte die Tatsache, daß sich Kennan mit den Mitgliedern des Planungsstabes des State Departements traf. Kennan ante portas? Vor dieser Möglichkeit einer Rückkehr Kennans in den Staatsdienst erschrecken vor allem jene amerikanischen und europäischen Kreise, die bereits durch die Rückkehr des „verbannten” Rußlandexperten Bohlen in Unruhe versetzt wurden.

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