6606765-1954_23_13.jpg
Digital In Arbeit

Randbemerkungen zur wochs

Werbung
Werbung
Werbung

AUF EINE PARLAMENTARISCHE INTERPELLATION mehrerer Abgeordneter, die die angeordnete Verviellachung der Stempelgebühren für Familienpässe zum Gegenstand hatte (siehe Nummer 7154 der „Furche"), antwortete vor kurzem der Innenminister, diese Anordnung sei auf eine Beanstandung des Rechnungshofes und des Finanzministeriums hin zustande gekommen. Für den Innenminister ist die Sache damit erledigt, nicht aber für jene, die sich nicht gegen den Minister, sondern für die Familien und — für das Recht zu ihrem Anwalt machten. Gebühren sind Leistungen des Staatsbürgers, denen eine Leistung des Staates gegenübersteht. In diesem Fall besteht die Leistung des Staates einerseits in der Behandlung des gestempelten Ansuchens, anderseits in der gebührenpilich- tigen Ausstellung des Reisepasses. Das Paßgesetz kennt den Reisepaß in einer zweifachen Form: als Einzel- lind als Familienpaß. Beide sind Reisepässe im Sinne des Gesetzes. Mit welchem Recht erklärt man also, daß ein Ansuchen um einen Familienpaß mehrere Ansuchen sind? Mit welchem Recht verlangt man für die einmalige Leistung der Paßausstellung, die § 14 Tariipost 9 a des Gebührengesetzes ohne Unterscheidung zwischen Einzel- und Familienpaß mit sechs Schilling Stempelgebühr belegt, diese Gebühr mehrfach? Selbst wenn man annehmen wollte, daß der mitreisenden Ehegattin mit dem Paß die gleiche Berechtigung wie dem Mann erteilt wird (was gar nicht richtig ist, wie schon die Nichtanerkennung durch das britische Empire beweist), so kann man das aui keinen Fall iür die eingetragenen Kinder gelten lassen, die überhaupt keine Reise allein, auch nicht in Begleitung einer anderen Person, machen können. Bei Anwendung des gleichen Prinzips müßten auch die Sichtvermerksgebühren pro Person entrichtet werden. Von dieser Vorschrift hat man wohl deswegen abgesehen, weil die Ungeheuerlichkeit infolge der höheren Gebührensätze sofort auf der Hand liegt.’ Bei Anwendung des gleichen Prinzips hätte die Anordnung des Innenministeriums, auch die Verwaltungsabgabe mehrfach einzuheben, nicht widerruten werden dürien. Bei Anwendung des gleichen Prinzips müßte auch ein Ansuchen um einen Sammelreisepaß für eine Vergnügungsreise von 30 Personen (hier Ausstellung eines Sammelreisepasses, dort Ausstellung e i n e s Familienpasses) mit 30 mal sechs Schilling gestempelt und für die Ausstellung 30 mal sechs Schilling Stempelgebühr verlangt ., werden. Hier müssen sich die Familienorganisationen einschalten. Es geht, wenn auch in einer untergeordneten Angelegenheit, um das Recht der Familien.

DIE PARTEI DER UNGARISCHEN WERKTÄTIGEN hielt soeben in Budapest ihren dritten Parteikongreß ab. Der Zeitpunkt ist bedeutend: drei Jahre nach dem letzten Kongreß, am Ende des ersten Fünljahresplanes und beinahe ein ganzes Jahr nach der überraschenden Ankündigung des „neuen Kurses". Die Kongreßrede des Parteisekretärs Räkosi (nach wie vor Nr. 1 in Ungarn) trug all diesen wichtigen Wendepunkten Rechnung. Denn Rakosi sprach diesmal mit einer bei ihm besonders verblüffenden Oilenheit und Präzision, und es lohnte sich, seinen Verbeugungen, Gedankensprüngen wie auch seinen Mahnungen und Beteuerungen aufmerksam zu Folgen. Räkosi hielt diesmal mit der Kritik an seinem früheren Regierungssystem, das, wie man weiß, allgemein mit dem Namen Stalin verknüptt wird, um so weniger zurück, da es ihm während eines knappen Jahres gelang, seine Führerstellung in Ungarn trotz „kollektiver Führung" beizubehalten. Obwohl er nun in seiner Rede die „Staatsmacht der Arbeiterklasse" in auffallender Weise betonte, legte er dennoch Wert aui die Feststellung, daß „die Haltung und die Stimmung der Arbeiterklasse und der technischen Intelligenz sich nunmehr merklich verbesserte“, das heißt bi. slang alles andere als gut war. Räkosis größte Sorge scheint aber die „mangelnde Disziplin in den Betrieben" zu sein, und er gesteht es ein: „ln unserer Volkswirtschaft konnten wir das unmittelbare materielle Interesse der Werktätigen noch nicht zum Hebelarm der Entwicklung machenAut die Bauernirage übergehend, mit Räkosi in Erinnerung, daß bis jetzt zwar bloß lßVo des bebauten Landes sich in Händen der landwirtschaitlichen Produktionsgenossenschaften befinden und hier keine Gewalt angewendet werden dar!, aber „früher oder später sich jeder Bauer" von diesem einzig richtigen Weg und wirtschaitlichen Grundgesetz des Sozialismus „überzeugen lassen wird". Den Funktionären von Partei und Staat wart Räkosi mangelnde Wachsamkeit gegenüber dem „Einfluß kapitalistischen Denkens" vor, der nach seiner Meinung zweifellos noch lange Jahre anhalten wird. Er erwähnte das teilweise Versagen des aui das Dreifache des Vorkriegsstandes emporgewachsenen Unterrichtswesens sowie die man: gelnde Initiative der ungarischen Philosophen, den „Vertretern der reaktionären, imperialistischen Philosophie, den Vertretern der reaktionären Weltanschauungen unter den Historikern" wirksam entgegenzutreten: Zwischenbemerkungen in einer Rede, die über die Wirtschalt und die Parteibürokratie wohl vidi bemerkenswertes, an sich aber wenig Neues sagte. Räkosi war beredter dort, wo er schwieg: über die Jugend, Religion, öffentliche Meinung, über eine wahre Bilanz der fünf Jahre Sozialisierung. Hier gab es höchstens Streiflichter. Zum Kongreß trai aus Moskau Marschall Woroschilow ein, einstens in ent scheidender Stunde Vorsitzender der Alliierten-Kom- mission in Budapest, nunmehr Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Rates der Sowjet union: gemäß dem Protokoll der Staatschel dieser Weltmacht! Und von seiner Ankunft t: berichtete im Budapester „Magyar Nemzet“ bloß eine Notiz aui Seite 6. Fleißaufgabe — diesmal, gemäß der neuen Richtlinie („kollek- r tive Führung"), in verkehrter Richtung-.

DIE POLITISCHE KUNST DER ENGLÄNDER oileiibarte sich kürzlich wieder einmal in klassischer Vollendung. Der „Fall Bevan" ist ein Schulbeispiel, wie mail überschüssige politische Energie mit klugem Instinkt auilängt und in kontrollierte Bahnen lenkt. Bevan rebellierte, da er die Stellungnahme des. Füh--. rers der Opposition, Clement Attlee, zu dem- yon Duiles vorgeschlagenen Südostasiatischen Sicherheitspakt als unklar ablehnte und seinerseits sowohl vor einer „Einkreisungspolitik": Chinas und vor einer VJiederbewatlnung Deutschlands warnte. Er trat hierauf aus dem’ „Schattenkabinett" der Partei aus und ver-: anlaßte damit wichtige Parteiorganisationen1 und Gewerkschaften, für seine Thesen Partei’ zu ergreilen. Seine Haltung der kaum wieder-- erstarkten Partei gegenüber entbehrte nicht- der Demagogie, da es ihm bekannt sein mußte,’ daß selbst die konservative Regierung sich’ bloß für ein späteres Studium des amerikanischen Planes bereit erklärt hatte. Nun also schrieben die englischen Zeitungen: De facto, gibt es künftighin zwei Labour-Partys in, Großbritannien. Man erwartete allgemein, daß, nunmehr Churchill diese neue Schwäche- f Periode der Opposition rasch zu Neuwahlen benützen würde. Englands Regierungschef , tat: jedoch etwas anderes — das die reinenv Parteitaktiker niemals verstehen werden:mit seiner unerwarteten Indochina- :

Erklärung baute er nicht bloß eine ihm heute -. besonders wertvoll erscheinende Brücke zu seinen Commonwealthpartnern, besonders Indien, sondern ermöglichte eine rasche Beruhigung in den Reihen seiner parlamentarischen i Gegner. Bevans Freund, Harold Wilson, trat, in das „Schattenkabinett" ein. Diese von Churchill inaugurierte Annäherung zwischen Links und Rechts innerhalb der Arbeiterpartei - sowie auch zwischen Regierung ulid Opposition selbst hat selbstverständlich ihre Grenzen. Einer drohenden Malaise in der öffentlichen ; Meinung des Landes wurde aber damit abgeholten. Was kann ein Staatsmann mehr wünschen?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung