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RANDBEMERKUNGEN zur wöche

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DIE „NEUE FRONT’ VERURTEILT. Dem Blatt der Freiheitlichen Partei Oesterreichs hat es vor einigen Wochen gefallen, die „Furche anzugehen. Nun, wir sind gegenüber Pressepolemiken, noch dazu aus so eindeutiger politischer Windrichtung, nicht zimperlich. Allein was hier geboten wurde, überstieg an unqualifizierbaren Aeußerungen das übliche Maß. So mußte das Gericht sprechen. Es hat inzwischen gesprochen und das bewufjte Blatt wegen Schmähung in allen Punkten im Sinne der Anklage verurteilt. Scheinbar war es notwendig, daran zu erinnern, dalj auch im politischen Meinungskampf die guten Sitten und der politische Anstand nicht zu beurlauben sind. Das ist hiermit geschehen.

IST HOPFEN UND MALZ VERLORENI Auch die Biererzeuger versuchen ihren Beitrag zur Minderung des Alkoholkonsums zu leisten. Zu diesem Zweck haben sie die Bierpreise erhöht. Wegen der hohen Gestehungskosten. Wie sie vorgeben. Und mit einwandfreien Kalkulationen belegen. Nun 1st die Bierpreissteigerung zu einem politischen Konflikt geworden. Nach dem Milchpreis. Nicht als ob der Bierpreis in Oesterreich wie in Bayern ein politischer Preis wäre. Was sich nach der „Anhebung’ des Bierpreises ergeben hat, sind aber drei Dinge: 1. Scheint die Gewerkschaft mit den Unternehmern auf Kosten des unvartrefenen dritten Sozialpartners, des Konsumenten (der aber meist auch Mitglied der Gewerkschaft ist), ein „Arrangement’ getroffen zu haben. 2. Ein nicht unbedeutender Erzeuger von Bier ist die Gemeinde Wien. Es wäre nun für das Brauhaus der Stadt Wien eine einmalige Gelegenheit vorhanden gewesen, bei der Preiserhöhung (die von den Sozialisten als ungerechtfertigt bezeichnet wird, welcher Meinung wir auch sind) nicht mitzumachen. Mitnichten: man ist bei der Gemeinde solidarisch. Nicht mit den Arbeitern, den Bierkonsumenten. Sondern mi den Herren von der Bierindustrie. Wir sind — wie die Sozialisten — der Ansicht, daß die sogenannte „Gemeinwirtschaff ‘ eine Aufgabe hat (und es isl eigentlich die einzige): preisregulierend zu wirken. Wenn sie dies nicht tut, ist sie funktionslos und ist genau so „kapitalistisch’ wie die anderen. Wobei uns die „anderen dann erheblich lieber sind, weil sie ehrlich sagen, was sie wollen. Außerdem mußten wir wieder einmal erkennen, welche volkswirtschaftlichen Gefahren in den Monopolen angelegt sind. Mit Rechl kämpft daher Minister Erhard mit einer leider in Oesterreich ungewohnten Vehemenz gegen jede Bedrohung der wirtschaftlichen Freiheit. Wenn nun der Preis einer Ware, die für die manuellen Arbeiter nufi einmal eine Bedeutung hat, so bedenkenlos hinaufgesefzt wird, wie dies nun beim Bier geschehen isi, stellt das eine eminente Bedrohnung der wirtschaftlichen Freiheit dar. Auch jener, die so gerne von dieser Freiheit sprechen, wahrer,d sie in der Tat nur den Profit meinen. Jedenfalls provoziert die Haltung des Kartells der Biererzeuger die „Massen ebenso, wie diese von der Haltung der Fachgewerkschaft, die mit der Bierpreisregelung Indirekt betraut war, enttäuscht sein werden. Die Entwicklung in manchen Bereichen der Wirtschaft zeigt überdies, daß unsere Wirtschaftspolitik zwar nicht konzeptlos ist, aber in der Frage der Preise jeden Ordnungswillen vermissen läßt. Würden jetzt die „Kracherl’-Erzeoger die Konjunktur sehen (soweit sie nicht ohnedies gleichzeitig wieder Bierhersteller sind), die ihnen durch den Preisbegradigungsexzefj der Bliererzeuger geschaffen wurde, hätten sie eine einmalige Chance, im Geschäft zu bleiben und viele neue Konsumentenschichten anzuziehen. So aber scheinen auch die Hersteller von Fruchtsäften, weil sie genau so „freiheitlich’ denken wie ihre Kollegen vom Bier, darauf zu bestehen, einen hohen Stück (Flaschen-) gewinn einem vergrößerten Umsatz vorzuziehen.

„WIEN SCHAUT BESORGT NACH BUDAPEST”: so die Schlagzeilen deutscher Blätter, welche die Ereignisse der letzten Wochen und Tage kommentieren. Nun, Oesterreich hat allen Grund dazu, das unqualifizierbare Verhallen der Regierung Kadar genau zu beobachten. Es begann, als Kadar eben erst in die Steigbügel gehoben wurde und die Macht über das unglücklich Nachbarland teilweise übertragen erhielt, sofort fortissimo mit heftigen Angriffen gegen Oesterreichs Verhalten den ungarischen Flüchtlingen gegenüber: ein Verhalten, das die einmütige Bewunderung und Billigung durch die freie Welt und alle Augenzeugen gefunden hafte. Rundfunk, Presse, Außenarm in Budapest wurden in den Dienst dieser antiösferreichischen Propaganda gestellt, die sichtlich auch den Zweck hat, von den harten Maßnahmen im Inneren abzulenken. Seltsamer Gegensatz zum vergangenen Frühling, in dem eine an sich nicht weniger kommunistische Regierung Ungarns freundschaftliche Beziehungen zu Oesterreich herstellen wollte und damit begann, die Stacheldrähte und Wachtürme abzubauen. Gegensatz auch zu dem Wunsch heutiger ungarischer Regierungsstellen nach Verstärkung des Handels mit Oesterreich. — In den letzten Tagen sind nun durch die Anhaltung und polizeiliche Untersuchung von Hunderten von Menschen, die sich bei der österreichischen Gesandtschaft in Budapest nach dem Schicksal ihrer Verwandten erkundigen wollten, nicht zuletzt durch wiederholte Belästigungen und Bedrohungen des österreichischen Gesandten selbst Tatsachen geschaffen worden, die eine entschiedene Antwort Oesterreichs verlangen. Hier sind nun allerdings über die Form der Antwort die Meinungen geteilt. Einige Politiker und Kreise der öffentlichen Meinung verlangen Gegenmaßnahmen gegen die ungarische Gesandtschaft in Wien. Anderer, und wie wir glauben, besserer Meinung, sind jene Männer ift unserer Regierung, die über zeugt sind, daß diese Entwicklung der österreichisch-ungarischen Beziehungen vor die Weltöffentlichkeit gehört. Der Ungarnausschuß der UNO soll sich nach Wien begeben, und alle objektiv urteilsfähigen und -willigen Beobachter aus der internationalen Welt sind herzlich geladen, unsere Grenze zu besehen. Wichtiger aber noch ist das andere: Oesterreich darf nicht ablassen, vor der UNO und bei allen Haupt- beleiligten in Ost und West seine Ueberzeugung ląjlj vertreten, ,do,ß nur eine Neutralįsipruąg Ungarns diesąs unglückliche Land befreien und ihm eine friedliche, positive Rolle in Europö und in der Welt zurückgeben kann. Während der Balkan heute relativ ruhig ist, droht hier, im Herzen Mitteleuropas, eine „Balkanisierung” sich auszubreiten, die für alle gefährlich isl. Die zunehmende Spannung zwischen Moskau und Belgrad zeigt, wie dringend dieses heikle Problem geworden ist.

DER KAMPF UM DEN SONNTAG ist im Hėrz- land der westdeutschen Industrie in voller Schärfe entbrannt. Kurz vor Weihnachten des vergangenen Jahres haben die Arbeitgeber und Arbeitnehmer der Stahlindustrie ein Abkommen über die Einführung der gleitenden Arbeitswoche unterzeichnet. Als Modell dienen die Hüttenwerke Oberhausen, die 1953 nach amerikanischem Muster diese einführten; jeder Arbeiter hat nach vier Schichten 48 Stunden frei; die Arbeitszeit beträgt da 42 Stunden in der Woche, neun völlig arbeitsfreie Sonntage und die Reduzierung der durch Nachtschichten ‘in- geschnittenen Sonntage von 34 auf 16 unterstützen diese Neuordnung. Nun haben die Kirchen, sowohl die katholische wie die evangelische Kirche, schärfsten Einspruch gegen die Einführung der gleitenden Arbeitswoche erhoben, sie befürchten deren Ausweitung auch auf andere Industrien und eine weitere Gefährdung der religiösen, Substanz ‘und der Familie durch diese Neuordnung des Lebens. Um nicht weniger geht es da ja! Eine Lösung ist noch nicht abzusehen. Kardinal Frings und die Bischöfe von Aachen, Münster und Paderborn beharren aus begreiflichen Gründen bei ihrem Protest, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer beharren bei ihrem Abschluß. Die Kirchen haben für viele ins Treffen geführte Argumente volles Verständnis, sind aber auch verpflichtet, hier weiter zu sehen: wird die Desintegration der Gesellschaft, ihr Zerfall in lauter einzelne nicht mächtig vorwärtsgetrieben? Kann eine Gesellschaft bestehen ohne gemeinsame, allverbindliche Freizeiten und Feierzeiten? Es sind ja nicht nur die Vereine, deren Zusammenkünfte durch diese Aufhebung des Sonntags gefährdet sind. Der Tag des Herrn hat tiefe innermenschlicha und göttliche Grundlagen. Er ist ein Bannwald gegen innere Versteppung und Verödung, Ist er gefällt, drohen Lawinen den ungeschützten Raum der Familie und Gesellschaft zu verheeren. — Nun liegt die nächste Entscheidung beim Bundesarbeitsminister Storch; die übernächste aber liegt unausweichlich bei uns allen, die wir der industriellen Großgesellschaft angehören und verpflichtet sind, ihre Versuchungen, und Chancen zu meistern.

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