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RANDBEMERKUNGEN zurwoche

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DIE ERSTEN SCHWALBEN. Nun hat er also begonnen: der Wahlkampf. Der erste .Kugelwechsel“ im grofjen Duell fand in der vergangenen Woche — nicht unerwartet — zwischen Bundeskanzler Raab und Minister Waldbrunner statt. Wie die ersten Schwalben den nahen Sommer, so künden die ersten politischen Plakate den bevorstehenden Urnengang an. Noch treten sie etwas schüchtern auf und wirken etwas verloren inmitten den Nachzüglern von Strumpffabriken, Waschmitteln und Frühlingsreisen. Bald aber werden sie das Feld beherrschen. Die Volkspartei schickt zunächst ein grofjes Schriffplakat ins Treffen, das die verwirklichten Wahlversprechen der Nationalratswahl 1953 einer allzu .vergeblichen Mitwelt in Erinnerung rufen soll. Zugleich soll es natürlich einladen, auch diesmal der ersten Regierungspartei zu vertrauen. Die SPOe kommt gleich massiv. Sie schickt gleich zur Ouvertüre den bösen schwarzen Mann, Marke Kohlenklau, aus, der mit dem Bohrturm über der Achsel das österreichische Volksvermögen davontragt. Massiver kann man den Gegner wohl kaum anrempeln und man darf nur gespannt sein, welcher Steigerungsform eine solche Propaganda noch fähig ist... Auch die Kommunisten variieren das Thema „Erdöl“ auf der Plakatwand. Vom Siegel des „Wiener Memorandums“, durch das die Koalitionsparteien — immer frei nach der kommunistischen Propagandawalze — das Erdöl verschachert haben, lächeln diesmal, allerdings als Januskopf, Raab-Schärf. Die eben aus der Taufe gehobene „Freiheitliche Partei“, als Nachfolgerin des VdU., ruft zunächst mit einfachen Schriftplaka*en zu ihren Wahlversammlungen. Interessant ist, dafj anscheinend „so ganz zufällig“ verschiedene staatliche Wirfschaftskörper „plötzlich“ die Plakatwand entdeckt haben. So singt hier zur Stunde auch die Bundesbahn ihr eigenes Lob. Böse Zungen behaupten, dafj dies nicht „so ganz zufällig“ und „plötzlich“ gerade in diesen Wochen geschieht.

UNBEIRRT DURCH GESCHICHTSKLITTERUNGEN und politische Hahgesänge hält die Kirche an der Tumba zu St. Stephan am Samstag nach dem Weihen Sonntag ihr feierliches Tofen-offizium für Rüdiger von Starhemberg. An der Kirchenpforte scheitert die hähliche Propaganda, die mit der Anschuldigung „Arbeitermörder“, „Hochverräter“ auch den Rufmord an einem wehrlosen Toten mit der Ehre der kommunistischen Sache vereinbar hielt. Es ist am Platze, bevor wieder einmal aus einem Ehrenraub eine Geschichtslüge wird, die sich in der politischen Zeitkritik einbürgert, die nüchterne Wahrheit festzustellen. So viele Widersacher der Tote im Leben gehabt hat, nicht einer von ihnen hat eine gerichtliche Anklage wegen Hochverrats zu begründen oder gar durchzuführen vermocht; die fragwürdige Lex Sfarhemberg, die eine Beschlagnahme der Starhembergschen Güter hätte ermöglichen sollen, war ein so tendenziöses Erzeugnis, dafj sie der Oberste Gerichtshof der Oesterreichischen Republik, der Verfassungsgerichtshof, als verfassungswidrig aufheben mufj'e. — In dem Gestrüpp der wilden Anklagen, die den traurigen Februargeschehnissen von 1934 entstiegen, entstand auch die Anschuldigung: „Arbeitermörder! * — Starhemberg hat seit Ende November 1930 bis 1. Mai 1934, also während der ganzen kritischen Februarperiode und der weiteren Umgebung ihrer Vor- und Nachgeschichfe keiner einzigen Regierung angehört und hatte daher keine wie immer geartete Verantwortung für die Februarereignisse zu fragen. Seine persönliche Rolle in den Kämpfen der Februarfage beschränkte sich darauf, dafj er sich wohl an die Spitze von Abteilungen des Wiener Heimaf-schutzes zur Unterstützung der bei Steyr eingesetzten Truppen des Bundesheeres stellte, aber seine Kraftwagenkolonne verspätete sich auf den vereisten Slrafjen, so dafj sie vor Steyr erst eintraf, als der Republikanische Schutzbund seinen Kampf gegen die Bundesfruppen bereits abgebrochen hafte. — Wird man die blutrünstige Verzerrung der Wahrheit weiter durch die parteipolitische Trakfätchen-Literafur der Linken schleppen? Die Geschichte der Republik ist schon übergenug belastet mit parteipolitischen Greuelmärchen und Räubergeschichten.

KASERNIERTE ABGEORDNETE. Nun hat bekanntlich auch die glorreiche Nation ihren „Führer“. Alles, was vor dem Auftreten des Monsieur Poujade in Frankreich gewesen, gehört zur „Elendszeit“. Die Ausgebeuteten, das sind jene ausgemergelten armen Teufel, die nicht mehr die Kraft haben, zu Fuh zu gehen, und die Versammlungen des Monsieur P. mit ihren Elends-Pkw. besuchen müssen, so dafj man die Versammlungen der Poujadisfen mit einem Autosalon verwechseln kann. Monsieur Adolphe Hitler hafte noch ein Programm von 25 Punkten. Wenn es auch nicht eingehalten wurde, war . es doch für die Machtergreifung von Nutzen, vor allem zur Gewinnung der — wie die Nordamerikaner sie nennen — „gutmütigen Idioten“. Die Poujadisten sind in Fragen des Programms für Kürze und haben nur einen Punkt, nämlich den, auf jeden Fall dagegen zu sein. Dies obwohl sie (nach „ewigen Gesetz“) für die Brechung der „Steuerknechtschaft“ angetreten sind. Aber das war einmal, wie bei den anderen die Sache mit der Zinsknechtschaft des Herrn Professor Gottfried Feder. Wenn nun die Poujadisfen auf jeden Fall gegen die Regierung und gegen alles sind, was geschieht, haben sie alle Argumente in der Hand. Man wird ihnen nie Irrtümer oder Unterstützung einer unpopulären Sache nachweisen können. Dah sie aber tatsächlich einmal an die Macht kämen, daran denken die wildgewordenen Spiefjer, die auf den Klang der Trillerpfeife ihres Chefs zusammenlaufen, nicht. Jetzt sind an die 50 P.-Genos-sen Mitglieder der Nationalversammlung. Es sind biedere Männer, denen die Abgeordnetendiäfen ganz gut bekommen. Diese Diäten stammen aus Steuergeldern, aus „sauer“ verdienten Centimes auch jener Leute, welche die Poujadisfen vertreten. Das Geld ist nun freilich keineswegs so sauer, dah es sich damit nicht in der Haupfsfadf gut leben liehe. So haben die Herren Poujadisfen die „heimgeholfen“ Steuern fröhlich verausgabt. Das aber war dem „Führer“ zuviel. Schnell lieh er ein Hotel kaufen und zwang seine Mannen, sich dort für die Dauer ihres Aufenthaltes in Paris einzuquartieren und — welche Wonne — auch die Mahlzeiten gemeinsam einzunehmen. Wenn die ' Poujade-Buben Ausgang haben, dann nur ins Parlament. Der Meister selbst sitzt, wie sein grofjes Vorbild aus Braunau, nicht in der „Quafschbude“. Wenn nun die Poujadisfen sich im Parlament betätigen, so weniger im Reden als im Schreien, und vor allem im Raufen. Wir können uns das in Oesterreich nicht mehr recht vorstellen. Das mit dem Raufen hat seine gute Seite. Die im politischen Pubertätssfadium befindlichen Abgeordneten des Monsieur Poujade brauchen, wenn sie nach Hause kommen und sich an ihrem Heimleiter vorbeidrücken müssen, schon einen ordentlichen Appetit, der ihnen sonst, angesichts der Kasernierung, vergehen könnte. Ob die Poujadisfen auch uniformiert werden, steht noch nicht fest. Der „Führer“ spricht meist im Hemd. Aber noch darf das Hemd von der jeweiligen Gattin ausgesucht werden . .. Der Versuch, Abgeordnete zu kasernieren, ist jedenfalls neu. Und ein Zeichen dafür, wie jene Freiheit aussehen würde, die Monsieur Poujade seinem Volk bringen will.

DIE FAHNE DES PROPHETEN IN MADRID. Dafj die Vorgänge in Französisch-Marokko, in Tunis und Algier, zwangsläufig auch auf die spanische Zone ihre Auswirkungen haben muhten, konnte von Anfang an als selbstverständlich angesehen werden. Dafj es auch zu Demonstrationen und Unruhen in Tetuan kam, ist lange schon bekannt. Eines steht fest, dafj Franco mit seinem spontanen Angebot, der spanischen Zone die Unabhängigkeit zu gewähren bzw. das Protektorats-verhältnis aufzuheben, einer unvermeidlichen Entwicklung rechtzeitig vorgegriffen hat. Die Einladung an den Sultan von Marokko, in dessen Namen auch der Kalif der spanischen Zone regiert, bildet einen Teil dieser politischen Voraussicht. Allerdings mufj festgestellt werden, dar} noch vor der Einladung und vor der Erklärung Francos der Kalif von Tetuan seinen Sohn zum Sultan von Rabat geschickt hatte, um Weisungen einzuholen. Ebenso steht fest, dafj es anscheinend langwieriger innermarokkanischer Verhandlungen bedurfte, bis der Besuch Mohammeds V. in Madrid mit entsprechenden Vorbereitungen in der vergangenen Woche stattfand. Im Verhältnis zwischen Spanien und Marokko spielen zwei Punkte der spanischen Zone eine entscheidende Rolle. Ceuta und Meli IIa liegen wohl jenseits des Mittelmeeres, gshören aber nicht zum Protektorat. Sie werden als nationalspanischer Besitz angesehen, und es besteht, wie heute die Dinge liegen, keinerlei Zweifel, dafj Spanien keinesfalls gewillt ist, in diesem Punkte auch nur einen Schritt nachzugeben. Ceuta ist nach Barcelona der zweitgrößte Hafen Spaniens. Das Bergmassiv hinfer der Stadt beherrscht das ganze Terrain. Es ist anzunehmen, dafj der Sultan von Marokko in Madrid genau wufjfe, wo die Grenzen der Konzessionsbereitschaff seines Gesprächspartners in Madrid zu finden waren — und dafj er diese respektierte. Tafsache ist, dafj die spanische Zone dem Sultanat von Marokko übergeben wird, wobei nach einer eventuellen Einigung zwischen Marokko, Tunis und Algier über Aegypten zu den anderen arabischen Staaten hinüber wohl der gröfjte arabisch-muselmanische Block entsteht, den es seif der mohammedanischen Erobererzeif je gegeben hat. Europa und die arabisch-muselmanische Welt wird sich zwangsläufig früher oder später am Miffelmeer geqenüberstehen. Dah die Einiguna Europas angesichts dieser Entwicklung notwendiger denn je ist, ergibt sich von selbst.

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