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RANDBEMERKUNGEN zurwoche

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DIE ZWEITE WELLE. Nun rollt die zweite Welle des Wahlkampfes heran. Zumindest auf den Piakaiwänden. Am ersten Tag der vergangenen Woche wurden der nicht gerade einfallsreiche „Oelklau“ der SPOe genau so abgelöst wie das erste Schrittplakat der Volkspartei. Und — Abwechslung muh sein — diesmal stellten sich die Sozialisten mit einem Schriftplakat ein, das erkennen läht, dafj die zweite Regierungspartei, wie zu erwarten war, dem 1. Mai eine besondere Rolle in ihrem Wahlfeldzug zugedacht hat. Es wird versucht werden, die alte Mystik des Arbeiterfeiertages in politisches Kleingeld umzuwechseln . . . Die Volkspartei ist diesmal mit einem Bild an der Reihe. Es erinnert daran, dafj die Kollegen von der andern Fakultät schon einmal den „schwarzen Mann“ an die Wand gemalt haben: damals war es der „Stempelraab“. Es ist nicht schwer, nach mehr als drei Jahren dieses demagogische Gespenst als durch die Tatsachen widerlegte Demagogie zu entlarven. Die Schlußfolgerung, dafj es sich auch mit den neuen Schreckgespenstern ähnlich verhält, liegt auf der Hand. Der erste wirkliche Einfall in dem reichlich konventionellen Wahlgeplänkel! Besondere Ideenarmut ist diesmal auf kommunistischer Seite zu verzeichnen, wo man einmal mit dem berühmten „Herzbubenplakat“ einen — warum dies nicht zugeben? — originellen Beitrag zur Plakatschlacht geliefert hatte. Nun kann man das nicht unbedingt werbende Profil von Herrn Erwin Scharf sehen, der angeblich „dem Sozialismus die Treue gehalfen hat“. Nun Trumpf-As ist Herr Scharf auf keinen Fall. Auch für mit ihrer Partei nichf oerade zufriedene sozialistische Wähler. Auch die neugeborene FPOe stellt sich mit ihrem ersten Plakat ein, in dem sie bildlich ihre Absicht verrät, einen Keil zwischen die von beiden grofjen Parteien gebildete Mauer der Koalition zu treiben. Nun war es aber gerade diese Mauer, die Oesterreich in dem vergangenen Jahrzehnt vor manchem Unheil bewahrt hat . .. Die erwarteten hölzernen Bohrtürme sind nun tatsächlich an allen belebten Plätzen der Bundeshauptstadt aufgetaucht. Mit rofweifjroten Fahnen auf der Spitze sollen sie die „vaterländische“ Note das sozialistischen Erdöloro-qramms unterstreichen. Kein schöner Anblick, diese Türme. . . Auf den ersten Blick könnte man sie für Wachttürme halfen. Die Wirkung auf die Bevölkerung ist gering. Ein Geheimfyp: das haben die sozialistischen Propagandastrategen von ihren Kollegen aus dem' VP-Haupfquartier, die seinerzeit diese „Mammuf-werbung“ aus Italien importiert hatten. Doch diese „Wunderwaffe“ hatte in Oesterreich nicht die gewünschte Wirkung. Deshalb verzichtete man in diesem Wahlgang mit Recht auf sie. *

GEWERKSCHAFTSTREFFEN — MIT GOTTESDIENST. Nicht in den USA. Sondern in Oesterreich. Mit Genugtuung kann man vermerken, dafj beim vierten gesamfösterreichischen Ge-werkschaftsfreffen im Salzkammergut für die Teilnehmer des Gewerkschaftstreffens, laut Ankündigung, am Pfingstsonnfag Festgotfesdienste gehalten werden, und zwar in allen Tagungsorten. Auch der musikalische Weckruf wird, wie es in der Programmvorschau vermerkt ist, am Pfingsfsonntag nur bis zum Beginn der Fest-goftesdienste gehen. Die bemerkenswerte Abfindung des Programms der Pfingsttagung der österreichischen Gewerkschaffen liegt auf der Linie einer begrüfjenswerien Annäherung von christlichen und sozialistischen Gewerkschaftern in aufjerpolitischen Fragen. Das Bemühen von Christen und Nichtchristen, auf dem Boden der Vertretung von Berufsinteressen das Gemeinsame als ersfwichtig herauszustellen, zeigt sich auch darin, dafj bei der gewerkschaffskundlichen Tagung des Institutes für Sozialpolitik und Sozialreform neben einem Vertreter der deutschen christlichen Gewerkschaften der neue ge-schäffsführende Generalsekretär des OeGB, Fritz Klenner, dessen bemerkenswert offenherziges Buch über „Das Unbehagen in der Demokrafie“ wir vor einigen Monaten besprochen haben, ein Referat erstatten wird. Wenn in Oesterreich eine unleidige Entwicklung wie in Westdeutschland vermieden werden soll, dann isf es nur so möglich, daf) man den Christen im Einheitsgewerk-schaffsbund ein Zuhause gibf, das Gefühl der vollen Gleichberechtigung auch in Fragen der Bildung und der Presse. Es kann nun einmal nicht an der Minderheit im OeGB liegen, dieses Gefühl zu erzeugen, sondern vor allem an der Mehrheit.

WEHRPFLICHT ODER BERUFSHEER! Die westdeutsche innenpolitische Auseinandersetzung kreist gegenwärtig um „Schäffers Milliarden“ und um die Frage: Allgemeine Wehrpflicht oder Berufsheer? Beide Fragen sind miteinander mehrfach verbunden; immer stärker fallen ja für Deutschlands Wirtschaff und Budget die Kosten der Aufrüstung ins Gewicht. Da mit Rücksicht auf die nächsten Wahlen alle Parteien Senkungen von Steuern, Entlastung dieser und jener Wählergruppe befürworten, ist der Finanzminister in eine Klemme geraten. Er spricht von den Gefahren einer Inflation und droht mit seinem Rücktritt, wenn die Parteien ihren Druck auf ihn fortsetzen. Das heifjf auf Deutsch: wenn die Regierung nicht selbst so uneinig in einigen der wichtiasten Fragen bleibf. Das gilt gerade auch für die Wehrfrage. Bis vor kurzem schien es, als würden die CDU und FDP in ich und untereinander einig sein bezüglich der ollgemeinen Wehrpflicht. Nach dem Ausfall und Abfall der FDP zeigen sich jetzt aber in der CDU selbst Tendenzen, die dem Berufsheer den Vorzug geben wollen. Dr. Jäger, Vizepräsident des deutschen Bundestages und einer der prominentesten Sprecher der CDU, argumentier für die allgemeine Wehrpflicht, indem er auf die Bedeutung der klassischen Waffen auch in einem kommenden Krieg verweist, darauf aufmerksam macht, dafj ein Volksheer leichter demokratisch zu erfassen sei als ein Berufsheer (ein sehr gewichtiges Argument), und meint: „Nur wenn die Bundesrepublik selbst möglichst rasch ihre militärischen Planungen realisiert, hat sie ein eigenes militärisches Gewicht, das sie bei Abrüstungsverhandlungen in die Waagschale werfen kann.“ Hier aber scheiden sich die Geister, jetzt, unter dem Eindruck der Abrüsfungs-gespräche, selbst in der CDU: das „eigene militärische Gewicht“ der Bundesrepublik isf doch eine fragwürdige Gröfje, die möglicherweise weder dem Osten noch dem Wesfen sehr zu imponieren vermag, abgesehen davon, daf? auch ein guter Teil des Westens von ihm nicht allzu sehr erbaut ist. Ebenso umstritten ist heute der Wert des „Raschen“: verbaut sich die Bundesrepublik hier nicht selbst Wege? Wege im Westen, Wege in den Osten hinein? Entspricht dieses Drängen nach rascher Erledigung und Liquidierung aller grofjen Fragen nichf allzusehr einer gewissen Nachkriegsosychose und Menfalifiät, als es fäalich hiefj: Wir haben keine Zeit, wir haben nichf viel Zeit mehr? — Die letzte Entscheidung in der Fraae: Allgemeine Wehrofüchf oder Berufsheer ist also noch nichf qefallen. Von ihr wird viel abhängen: die innere StruVfurierunq der deutschen Gesellschaff, die Stärkung oder Schwächung der freiheitlichen Elemente im deutschen Volke.

STAATSBESUCH IN LONDON. In seinem kurz vor der Englandreise des sowjetischen Führerpaares veröffentlichten Brief an Sir Anthony Eden hatte der Herzog von Norfolk, Adelsmarschall des Vereinigten Königreiches und erster Repräsentant der katholischen Laienwelt Englands, der Erwartung Ausdruck gegeben, daf} die Regierung es nicht verabsäumen werde, ihre sowjetischen Gäste nachdrücklichst darauf aufmerksam zu machen, dafj eine wirkliche Entspannung der wesf-östlichen Beziehungen und damit eine Sicherung des Weltfriedens nicht zu erreichen sei, solange in den von Moskau beherrschten osteuropäischen Ländern ungezählte Millionen gläubiger Menschen ihrer Gewissensfreiheit und ihres Rechtes auf freie Religionsausübung beraubt blieben. In seinem Antwortschreiben vermied es der Premier, auf das konkrete Anliegen des Herzogs einzugehen; er begnügte sich damit, zu erklären, dafj die Haltung der britischen Regierung nie einen Zweifel darüber offengelassen habe, dah sie jeden Gewissenszwang ablehne und verurteile, und nichf daran denke, von diesem Standpunkt abzugehen. Ob die Millionen um ihres Glaubens willen Verfolgter im Osten aus solchen Worten viel Trost schöpfen können und sie nicht vielmehr als bitteren Hohn empfinden, zumal im Zeitpunkt eines hochoffiziellen sowjetischen Staatsbesuches in der briti sehen Hauptstadt, ist eine Frage, die sich Sir Anthony kaum vorgelegt haben dürfte. Wenn er eine unerschütterliche Ueberzeugung besitzt, so ist es die, dafj es kein politisches Problem gibt, das nicht durch persönlichen Meinungsaustausch und Verhandlung am Konferenztisch, an dem er als Sprecher Großbritanniens Platz genommen hat, gelöst oder zumindest der Lösung nähergebracht werden kann. Von der englischen Oeffenflichkeit bis weit hinein in den inneren Kreis der Konservativen Partei wird ein solches Vertrauen in die unfehlbare Wirksamkeit der Edenschen Strategie, die den Mangel eines klaren und fest fundierten Konzepts mif faktischen Finessen zu ersetzen sucht, schon längst nicht mehr geteilt: ganz zu schweigen von den zehnfausenden in England lebenden Flüchtlingen aus der osteuropäischen Unfreiheit, denen es offenkundiger ist als manchem prominenten Vertreter westlicher Staatskunsf, dafj der grofje Konflikt unserer Zeit, viel tiefer reichend als irgendein politischer oder militari scher oder wirtschaftlicher Fragenkomplex, letzten Endes im Religiös-Weltanschaulichen wurzelt. Sollte die im Gang befindliche Debatte um das Für und Gegen der Londoner StaafsvisMe zu einer Verbreifung dieser Erkenntnis führen, dann allerdings könnte der unerwartet und sehr dringend benötigte Presfigegewinn, der den Sov/jetführern vom Chef der Regierung Ihrer Brifischen Majestät in den Schofj gelegt worden ist, durch eine Stärkung des moralischen Rüstzeugs des Westens ausaealichen werden.

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