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RANDBEMERKUNGEN zurwoche

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ÖSTERREICHS ANTWORT AN MOSKAU: Internationale Beobachter haben die österreichische Regierungserklärung, die Bundeskanzler Raab im Hohen Haus verlas, als „würdig“, „mutig“, „sehr herzlich im Ton“ und „sehr sachlich und klug“ angesprochen, Oesterreichs Regierung begrüfjf die Bemühungen, in emster Stunde zu einer Konterenz, die zur Entspannung der Weltlage führen soll, zu gelangen. Oesterreich ist sich infolge seiner Lage und Tradition bewufjt, seiner Verpflichtung, als Vermittler überall dort nachzukommen, wo dies möglich ist. Mit Nachdruck weist die Wiener Regierungserklärung darauf hin, dafj der Abschluß des österreichischen Staatsvertrages der einzige positive Beitrag zum Aufbau des Friedens in Europa in den Nachkriegsjahren war, genau so, wie anderseits die Bemühungen um Entspannung gefährdet wurden durch die Ereignisse in Ungarn. Oesterreich weist in eben diesem Sinne darauf hin, dafj eine Gipfelkonferenz nur Aussicht auf Erfolge hat, wenn diese in diplomatischer sachlicher Vorarbeit vorbereitet werden. Oesterreich hat sich, als neutrales Land und als Land ohne Atomwaffen, nicht in die Probleme einzumischen, die mit Raketenbasen in West- und Osteuropa und mit der Schaffung einer atomwaffenfreien Zone, also dem Rapacki-Plan, zusammenhängen. Diese Regierungserklärung entzieht allen, zumal im Ausland, verbreiteten Spekulationen über eine ausgedehnte österreichische Aktion für eine Gipfelkonferenz in Wien den Boden. Gute Absicht, Vorsicht und Zurückhaltung, Diskretion ist das Gebot der Stunde. Wien ist nicht der Versuchung Belgrads erlegen, wo Tito soeben mit seinem Experiment einer Konferenz der Neutralen, zu der auch Oesterreich zu laden gewesen wäre, gescheitert ist, nachdem er von Nehru eine deutliche Absage erhalten hat. Der indische Ministerpräsident hat sich nicht mit Tito über eine mögliche Vermittlung unterhalten, obwohl ihm Tito dies in einem Handschreiben nahelegte, sondern wandte sich an seinen japanischen Kollegen in Tokio. Titos Kredit ist nach den Vorgängen des letzten Jahres und auch infolge seiner langen, durch Krankheit bedingten Zurückgezogenheit international stark gesunken, der Kredit Japans allseitig gestiegen. Oesterreich wird guttun, in konstruktiver Entwicklung einer eigenständigen Friedenspolitik die asiatischen Neutralen sorgfältig zu beobachten, in dem, was jene tun und nicht tun.

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EIN KÖNIG MUSS SEIN — auch im Reiche der österreichischen Bundestheaterverwaltung. ■ Mufj er ein „Souverän“ sein, der die einzelnen Dii-e-k-tionen unter seinen Willen zwingt, oder soll er Beamter und getreuer Diener, servus servorum, sein? Der Tod Ernst Marboes hat vor einiger Zeit diese — und nicht nur diese — Fragen laut werden lassen. Im konzentrischen Feuer der Ratschläge, Bewerbungen und Empfehlungen mag es der Chef der Unterrichfsverwaltung nicht leicht gehabt haben, den kühlen Kopf zu bewahren. Vor einigen Tagen ist nun die Entscheidung gefallen. Habemus — „papam“ soll man nicht sagen, denn dem soeben zum Leiter der Bundestheaterverwaltung ernannten, heute 46jährigen Juristen Dr. Karl H a e r 11, gebürtigem Niederösterreicher, seit 1949 im heutigen Amte tätig und zuletzt als Stellvertreter Marboes dessen Posten betreuend, fallen nach Alfer und Ressort andere Aufgaben zu als würdige und ehrwürdige Repräsentanzen. Er wird, da man nunmehr auf die „Intendantenlösung“ verzichtet hat, nicht den Diktator bei der Entscheidung künstlerischer Fragen zu spielen hoben und, wie wir ihn kennen, auch nicht spielen, sondern „nur“ die Aufgabe haben, die drei Direktoren zu koordinieren und die Ausgaben der vier Häuser mit den nüchternen Konzepten des Staatshaushaltes abzustimmen. Keine kleine, keine leichte Aufgabe, wenn man weifj, dafj eine vom Minoriten-platz freiwillig beantragte Prüfung dieses Haushaltes durch den Rechnungshof vor der Türe steht und dafj in besagten Direktionen derzeit vieles in Bewegung geraten ist, was nach soliden, dauerhaften Lösungen ruft. Mit diesen Lösungen ist die Position und das Schicksal des neuen Mannes untrennbar verknüpft. Das weih er selbst, und das weifj die breiteste Oeffent-lichkeit in Oesterreich, diesem politischen Klein-und künstlerischen Grofjstaat, in dem Kultur Staatsraison und eine feste „Burg“ und Oper Herzenssache sind.

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MUNNICH STATT KADAR. Der Vorsitzende der revolutionären Arbeiter- und Bauernregierung — wie der offizielle Titel des ungarischen Ministerpräsidenten seif dem ominösen 4. November des Jahres 1956 lautet — trat zurück, der Sekretär der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei blieb. Beides hiefj seit dem 4. November Janos Kadar, ja man nannte ihn zuerst offiziell den „Vorsitzenden“ der Partei, und da er damit alle äuheren Zeichen einer Machtvollkommenheit zur Schau trug, muhte er sich gefallen lassen, dah man seinen Namen in aller Welt mit den Worfbrüchen und Racheakten nach der Niederwerfung der ungarischen Revolution identifizierte. In seinem Namen geschah aber seither auch etwas anderes: eine gewisse Konsolidie- . rung im schwergeprüften Land, besonders auf dem Gebiet der Wirfschaft, letzteres mit Hilfe der Sowjetunion und der „sozialistischen Staa- .

■ ten“. Diese Phase der Entwicklung ist jetzt obge-

■ schlössen. Die Kredite, welche die Sowjetunion i nunmehr Ungarn zu bieten gewillt ist, sind viel

geringer geworden, und die ungarische Führerschaft muf} jetzt zeigen, was sie kann. Kadars I Verzicht auf den Posten des Regierungschefs • bedeutet zunächst gewifj keine Aenderung der Machtverhältnisse, zumal er den in einem kommunistischen Staat allein maßgebenden Platz eines Parteisekretärs beibehielt. Auch war aus seiner langen Rede, die er vor dem Budapesfer Parlament am 27. Jänner hielt, keineswegs zu entnehmen, dah er an eine weitere Lockerung des Systems denkt, über die Maßnahmen besonders in der Landwirtschaft hinaus, die auch in Ungarn, nach Beispiel der Sowjetunion, eine gewisse Abkehr von den klassischen Prinzipien der marxistischen Wirtschaftspolitik — Verstaatlichung der Produktionsmittel — bedeuteten. Nein, es scheint vielmehr so, es bleibt auch in Ungarn bei den halben Lösungen. Vielleicht nur in einer Sparte nicht, in der der Aufjenpolitik, gemäh dem zunehmenden Dynamismus der Politik Moskaus, in dessen Dienst wahrscheinlich Ungarn jetzt darangehen wird, im Donauraum eine aktivere Aufjenpolitik zu forcieren. In diese Richtung weist vor allem dar Name des neuen Ministerpräsidenten. Dr. Ferenc Münnich galt seit jeher als besonderer Freund Jugoslawiens und als Befürworter der dort geübten politischen Praxis. Unter Rakosi war er Botschafter in Moskau und galt als besonderer Anhänger Mikojans. Von dort ging er nach Belgrad. Die Revolution fand ihn in der Nähe von Imre Nagy, aber er schwenkte bald in das verschwindend kleine Lager Kadars hinüber: mit diesem feilt er seither die Macht nach Willen der Mächtigen in Moskau. Seine zu erwartende politische Aktivität wird wahrscheinlich zunächst der weiteren Verbesserung des ungarisch-jugoslawischen Verhältnisses gelten.

DER STURZ DES GENERALS PEREZ JIMENEZ.

Warum verdient die Erhebung in Venezuela gegen den Diktator Perez Jimenez unsere besondere Aufmerksamkeit? Generale gibt es viele, gerade in Südamerika, wo es, wie ein Bonmot sagt, zu einem Duell zwischen zwei Generalen kommt, wenn ein Soldat fällt, da auf je einen Soldaten ein General komme... Diktatoren stürzen und erheben sich viele; sie wachsen wie Schwämme in schwüler Sommernacht, besonders im Klima subtropischer Länder, wo in überhitzter Atmosphäre viel Elend und viel Begehren aufeinanderstoßen. Die Erhebung gegen den Präsidenten Perez Jimenez verdient in Europa besonderes Augenmerk durch die Tät-scherdafj hier1,' zürn !Vweitehrnat,'TrftSth def .Beteiligung der Katholiken am Sturze Peror.s in Argentinien (den Perez Jimenez in „seinem“ Lande aufgenommen hatte), kirchliche Kreise sich politisch engagiert haben an der Erhebung gegen einen Diktator. Mehr als tausend Jahre hatten Kirchenführer am Bunde mit Kaisern, Königen, christlichen Fürsten und ihren Nachfolgern festgehalten. Schwerwiegende Gründe sind es, die hier zu einer neuen politischen Halfung führen: die Kirche kommf'gerade in Südamerika immer mehr zur Ueberzeugung, dafj ein starker Säbel, ein starker Mann nicht genügend Schutz bietet gegen die Erhebung von unten, gegen die Ausbreitung des Kommunismus, da eben diese starken Männer das Elend und die Unbildung, zwei Hauptquellen der Ausbreitung des Kommunismus in Lafeinamerika, nicht beseitigen, ja vermehren. Im Mai 1957 klagte der Erzbischof von Caracas das Regime des Perez Jimenez' in einem Hirtenbrief an: die riesigen Einnahmen aus den Erdölkonzessionen bleiben in den Händen einer kleinen, um den Präsidentenpalasf gescharten Clique, statt auch den unteren Schichten zugute zu kommen. Die von einem Priester herausgegebene Zeitung „La Religion“ wiederholte diese Anklage und wies darauf hin, dafj im reichsten Land der Welt das Analphabetentum, die unzureichende Ernährung und die sittliche und geistige Verwahrlosung akute soziale Probleme darstellen, und forderte, die Regierung solle ihre Hunderte von Dollarmillionen für soziale Programme verwenden, statt sie, wie einst die absoluten Monarchen, für einen kostspieligen Palasfbetrieb und Luxusbauten auszugeben. Die Erhebung kam dergestalt durch eine Zusammenarbeit sozialinteressierter Katholiken mit den Gewerkschaffen in Gang. Ein Hirtenbrief zum neuen Jahr forderte die Arbeiter auf, aus der Einheitsgewerkschaft des Diktators auszutreten. Das reiche und unglückliche Land Venezuela wird leider nicht so bald zur Ruhe kommen, wie die anhaltenden Kämpfe und Unruhen zeigen: es fehlen, als stabilisierende Elemente für eine friedliche Entwicklung, eben jene gebildeten Mittelschichten, deren Entstehung der Polizei-sfaat des Generals verhindert hat. Ein General ist geflohen, die Generale bleiben. Und kämpfen um die Macht. Ein Sieg der Freiheit würde voraussetzen, was erst eine längere freiheitliche Entwicklung schaffen kann: mifveranf-worfliche breite Gesellschaftsschichten von Arbeitern und Bürgern. Ein Dilemma, an dem nicht nur Venezuela, sondern viele Länder in vielen Kontinenten kranken...

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