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Randhemerhungen zur woche

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DIE ILLUSION DES ÜBERHÖHTEN LEBENSSTANDARDS IN OSTERREICH wurde vom Leiter des österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung auf die Grundlagen der Buchhaltung zurückgeführt. Wohl haben die Marshall-Zuschüsse — 600 Millionen Dollar in zwei Jahren — die Produktion erhöht und einen gewissen Einklang zwischen Produktion und Standard hergestellt, aber diese Zuschüsse sind nicht in unserem eigenen Garten gewachsen. Daran muß jetzt erinnert werden, denn das wohlbehütete Vnterstützungsdasein mit dem Leben über die eigenen Verhältnisse geht jetzt zu Ende. Das vierte Lohn- und Preisabkommen bringt dem Staat eine Mehrbelastung von rund einer Milliarde an Gehältern und Löhnen. Er wird um diese Summe weniger an produktiven Arbelten vergeben können. Die Wirtschaft erlitt eine Mehrbelastung von zwei Milliarden. Sie wird um diesen Betrag weniger Aufträge vergeben. Die Marshall-Hilfe nimmt ab und geht in knapp zwei Jahren zu Ende. Nach dem Aufhören der Zuschüsse von außen werden wir von dem leben müssen, was wir selbst erzeugen und erarbeiten. Ob wir uns dann noch den unerhört gestiegenen Genußmittelverbrauch und den Luxus einer gegenüber der ersten Republik fast verdoppelten Bürokratie werden leisten können, ist fraglich. Es werden vielmehr harte Anstrengungen nötig sein, um die Lage zu meistern. Ein langfristiges Sanierungsprogramm, wie es aus gleichen Ober-legungen in der letzten Ausgabe dieses Blattes gefordert wurde, wird nötig sein. Seine Durchfuhrung wird von allen Beteiligten Opfer verlangen: von der Wirtschaft Verzicht auf Ubergewinne, von den Arbeitenden Mehrleistungen, vom Staat eine Verringerung der1 Bürokratie. Es gilt trotz Technik und Fortschritt noch immer das Wort vom sauer verdienten Brot. Es wird immer gelten, denn es gibt keine irdischen Paradiese, und wer glaubt, den Mühen entrinnen zu können, muß eines Tages doppelt dafür zahlen.

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AM 24. OKTOBER IST DER „TAG DER VEREINTEN NATIONEN“ überall dort, wo man guten Willen ist, festlich gefeiert worden. Vierjährige Arbeit der UN hat bewiesen, daß es, wenn auch unter niemals endenden Schwierigkeiten, dennoch möglich ist, die Völker, Nationen und Regierungen der Welt zu erfolgreichen internationalen Bemühungen zusammenzubringen. Sie hat in Palästina einen Krieg zum Stillstand gebracht, es ist ihr geglückt, zwischen den Niederlanden und seinen früheren indonesischen Kolonien eine friedliche Schliclitung herbeizuführen, sie hat die Verhältnisse in Indien und im Vorderen Orient in friedliche Bahnen gelenkt, Millionen von Kindern, Heimatlosen und Flüchtlingen aus Kampf- und Hungergebieten gerettet. Und dank dieser Vereinten Nationen ist es, zum erstenmal in der Geschichte, gelungen, die halbe Welt zu einer gemeinsamen Aktion für den Frieden zu veranlassen — in einem Moment nämlich, in dem der Friede und die Schüsse der Nordkoreaner noch zwei sehr weit voneinander entfernte Angelegenheiten zu sein schienen; zum erstenmal vielleicht konnte das Übel des Unfriedens an seinen Wurzeln getroffen werden. In der Tat: diese internationale Solidarität läßt die Hoffnung auf die Lösung so vieler noch offener Probleme nicht versiegen. Es ist wenigstens nicht utopisch, heute zu sagen, daß die Frage der italienischen Kolonien, die chinesische Frage wirklich noch in friedlicher Auseinandersetzung bereinigt werden können, und daß die Vereinten Nationen, deren Dasein uns seit kurzem in neuem Licht erscheint, sogar das österreichische Problem noch zu einer gerechten Lösung bringen könnten... Der Jahrestag der UN weckte Erinnerungen. Unter ihnen befand sich — leider — auch immer noch jene an die Nichtzulassung unseres Landes zu der Arbeit der Vereinten Nationen.

DIE „OPERATION CICERO“. Die Geschichte darüber begann in nicht sehr angesehenen Wochenzeitungen des Auslandes, sickerte in Tagesblätter, tauchte an immer respektableren Stellen auf. .Etwa Wahres ist ja dran“, sagten die Zeitungfleute. .Nun ist in England ein Buch darüber erschienen, die „Operation Cicero“ läßt ich also nicht mehr übergehen. Es ist die seltsame Geschichte des sangesfreudigen albanischen Diener auf der britischen Botschaft in Ankara, wo er die geheimsten Dokumente der Alliierten pho-tographiert, um sie Herrn Moy-zisch von der deutschen Bot-schaff zuzuschanzen, damit sie schließlich von Au/Jenminister Ribbentrop in eine Lade geschoben und nicht weiter beachtet wurden. Ribbentrop war nämlich auf Herrn von Papen, dmnnls Botachafter in Ankara, eifersüchtig und wollte Herrn

Echtheit des Materials besaß? Lag also auf der Gestalt des albanischen Dieners, der seinen Spionagesold in Noten der Bank von England erhielt, die aber in der Abgeschlossenheit eines KZ.s gefälscht worden waren, jtrfclich leeltoeschichtiiches Reflex-licht? Man kann das weder bejahen noch mit Sicherheit verneinen. Um einen offenbar echten Kern gruppiert sich das Zweifelhafte, während albanische Diener, Sänger, Attachies, hunderttausende Pfundnoten, eine von ständiger Todesgefahr durchtränkte melodramatische Atmosphäre erzeugen. Man hat immer das Gefühl, es würde alles schließlich noch beim Singspiel enden. y •

WENN IDEALISMUS, NATIONALE LEIDENSCHAFT, jahrzehntelange propagandistische Vorbereitung, das Aufgebot internationaler Kapitalskraft und Weltmacht-prötektion eine Staatsgründung wie die des kleinen Staates Israel auf palästinensischem Boden hätten sichern können, so müßte das zionistische Unternehmen nach dem erfolgreichen Krieg mit den arabischen Nachbarn heute als gelungen bezeichnet werden. Es ist aber nicht so. Auf der kürzlich in Paris abgehaltenen großen Zionistenkonferenz aus Europa und Nordafrika schlug einer der Hauptsprecher, Dr. Nachum Goldmann — „unter heftigem Beifall“, wie die allgemeine zionistische Wochenschrift „Die Stimme“ vermerkt —, Töne an, die der trostlosen Lage des jungen, an einem strukturellen Handelsdefizit krankenden Staates ohne Rückhalt Ausdruck verliehen. Dem Staat drohe „ernste Gefahr“, wenn es nicht gelinge, „einen Staat von drei bis vier Millionen zu verwirklichen, mit einem Volk, das einen maßgeblichen politischen und materiellen Einfluß ausübt“, ... „sich mit Israel identifiziert, ohne dort zu leben... Man muß unter allen Umständen vermeiden, daß es zu einem Unglück oder zu einer Katastrophe kommt.“ Deutlich an die begüterten amerikanischen Stammesgenossen adressiert, wollen diese Sätze besagen, es sei ein außerhalb Israels wohnendes Staatsbürgertum zu schaffen, das aus seinen wohlversehenen Tresors „materiellen Einfluß“ durch Teilnahme an den sonst erdrückenden wirtschaftlichen Staatslasten nimmt. Das ist der sehr konkrete Plan: Zionisten, die nicht im Zionlande wohnen, sollen für Israel Steuer zahlen. Der eben erfolgte Rücktritt der Regierung des Ministerpräsidenten Ben Gurion ist eine Illustration der Lage: Am 6. Oktober 1950 hätte diese Regierung ihre außerordentlichen Vollmachten gegen den Schwarzen Markt, der am Leben von ein paar hundert-taujenden Neueinwanderern würgt, anwenden sollen. Aber an der Aufgabe ist sie zerschellt, weil die Gruppen der Religiösen Front, der Minderheit, den von der sozialistischen Mehrheit, der Mapat, geplanten Maßregeln die Gefolgschaft verweigerten; ein auf drei Tage befristetes Ultimatum sollte harte Polizeimaßregeln einleiten, wenn nicht sofort die verschwundenen Warenvorräte wieder auftauchen und zu alten Preisen erhältlidi sein würden. Das Ultimatum hat die erste Regierung des jungen kleinen Staates getroffen, und das wäre noch nicht das Schlimmste an der Lage, die erst der Anf ang einer vitalen Krise ist. von Papen und seiner Botschaft in Ankara den sensationellen Erfolg ihrer Spionage nicht gönnen. Und dies, nachdem vorher beinahe astronomische Summen, allerdings falschen Geldes, für die Dokumente bezahlt worden waren. Von seiner Eifersucht ins Persönliche abgelenkt, hat Ribbentrop die kostbaren Papiere wahrscheinlich nicht einmal ernstlich studiert. Das war also die „Operation Cicero“! Zweifellos liegt ihr ein realer Tatbestand zugrunde, hat doch Papen in einem P. S. zur englischen Buchausgabe erklärt, im großen und ganzen stimme es schon, nur mit einigen Details nicht. Offen bleibt die Frage, ob die deutseh Führung wirklich die echten Protokolle von Jalta und Teheran in Händen hatte, ob sie den Plan für die Invasion der Nor-mandie kannte, und einen Beweis für die

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