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Randhemerhungen zur woche

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EIN ÜBERRASCHENDER SCHLAG GEGEN DIE KINDERLOSE FAMILIE wurde im sozialistischen Zentralorgan geführt. Leser aus Arbeiterkreisen nahmen zur Frage „Sollen wir Kinder in die Welt setzen?“ Stellung. Zwar rangieren, alter Tradition getreu, die' Befürworter der Empfängnisverhütung an erster Stelle, und am Schluß tritt just eine Kindergärtnerin für das vage Kompromiß einer „vernünftigen“ Geburtenregelung ein. Dazwischen aber werden Stimmen kleiner Leute laut, die Besseres zu sagen haben. Rückhaltslos bekennt sich eine ohne ihre Schuld vom Gatten verlassene Frau auch jetzt noch, in ihrer bedrängten Lage mit 280 Schilling Monatseinkommen, zu ihrem Kind. Es empört sie um so mehr, „wenn eine Frau in geordnetem Familienleben, deren Mann verdient, Angst hat, daß die Kinder Hunger, haben werden. Das ist ein Armutszeugnis für die Frau.“ Ein Vater schreibt: „Darum kann ich nicht verstehen, daß die werdende Mutter das keimende Leben schon als Last empfindet. Mir und meiner Frau wäre nie der Gedanke gekommen, das Kind schon im Werden zu verurteilen.“ Das vielbemühte Argument der Angst vor dem Krieg entkräftet ein Einsender aus Niederösterreich: „Wer den Krieg für unvermeidlich hält, trägt schon mit dazu bei, die Gefahr eines solchen zu vergrößern. Außerdem dürfte man dann überhaupt nicht nur keine Kinder zeugen, sondern jegliche Aufbauarbeit, sei es im Staat oder in der einzelnen Hauswirtschaft, wäre ein sinnloses Unterfangen.“ Mit anerkennenswerter Offenheit stellt schließlich das Blatt selbst zu diesen Briefen fest, daß sich unter den Befürwortern des Kindersegens zum Teil Eltern in kleinen Verhältnissen befinden; es sei „bemerkenswert, daß sie alle das Aufziehen von Kindern leichter darstellen, als es sich kinderlose Frauen vorstellen. Sie finden sich durch die Freude, die ihnen die Kinder schenken, reichlich für die Mühen und Entbehrungen belohnt.“ Dem sei noch von uns aus hinzugefügt, daß in Arbeiterkreisen — ebenso wie in der Bauernschaft — nach bekannten Feststellungen nicht nur der Wille zum Kind überhaupt, sondern auch der Kinderreich-tum verbreiteter ist als sonstwo — eine Tatsache, die das ganze luftige Gebäude der sozialen Indikation ins Wanken bringt. *

DIE ERSCHRECKEND HOHE JUGENDKRIMINALITÄT der ersten Nachkriegsjahre ist gegenwärtig geringer als im Jahre 1935, stellte der Präsident des Wiener Jugendgerichtshofes fest. — Freilich erhält diese erfreuliche Nachricht schwere Schatten durch die angefügte Bemerkung, daß im Gegensatz zu den Gewaltdelikten die Sittlichkeitsvergehen stark im Steigen begriffen sind: im Jahre 1950 wurden vierzig Jugendliche gegen nur fünfundzwanzig im Jahre 1949 wegen Notzucht, Schändung und Homosexualität verurteilt, und gestiegen ist auch die Zahl der jungen Menschen, die wegen Gefährdung der körperlichen Sicherheit verurteilt wurden. Die Jugendrichter wissen die Ursachen dieser bedenklichen Erscheinungen mit klaren Worten anzugeben: sie sagen mit Nachdruck, und auf ihre Erfahrungen verweisend, daß die meisten dieser vor ihrem Richtertisch stehenden Jugendlichen den Antrieb aus Gangsterfilmen und blutrünstiger Schundliteratur erhalten — es gebe kaum einen unter diesen Angeklagten, der nicht regelmäßiger Leser der an allen Kolportageständen feilgebotenen Revolverliteratur oder leidenschaftlicher Besucher von Mörderfilmen sei! Aus den Statistiken der Jugendgerichtshöfe wird also mit erschreckender Deutlichkeit offensichtlich, was die „Furche“ — wäre sie doch ein falscher Prophet gewesen! — seit Jahr und Tag befürchtet, wovor sie unermüdlich und glücklicherweise nicht ohne Erfolg gewarnt hat. Niemand wird, nachdem er die Ziffern der Jugendkriminalitätsberichte gelesen hat, noch wagen, gegen die Notwendigkeit gesetzlicher Maßnahmen zur Unschädlichmachung der niedrigsten Asphaltpresse zu sprechen.

DER „FALL CLEMENTIS“ ist weit mehr als die Tragödie eines Mannes, der durch die Waffe umkommt, die er selbst schmieden half, der trotz seiner Zugehörigkeit zur KP seit seiner Jugend, trotz wiederholter Maßregelung infolge dieser Mitgliedschaft, trotz entscheidender Mitarbeit bei ihrer Organisation nicht verhindern konnte, schwerwiegender Abweichungen von der „Linie“ beschuldigt zu werden. Der Fall Clementis ist das Symptom: innere Unruhe und das gegenseitige Mißtrauen zehren am Kommunismus. Dabei offenbaren sich Zusammenhänge, mit einer bereits mehrere Monate zurückliegenden Krise angedeutet, die damals nicht sonderlich beachtet und inzwischen fast völlig vergessen wurden. Als im Mai 1950 auf dem 9. Kongreß der slowakischen Kommunistischen Partei der Vorstand neu bestellt wurde, konnten wohl Sirokf, burii und Rais wiedergewählt werden, ne Reihe bekannter Namen aber schien nicht mehr auf: vor allem Vlado Clementis, der schon im März aus dem Amt eines Außenministers geschieden war; es fehlte auch ' Karol 5 m i d k a, der Vorsitzende der KPS zur Zeit des slowakischen Aufstandes, Dr. Gustav H u s dk, der Vorsitzende des Rates der Beauftragten für die Slowakei, und Laco Novomesky, der Beauftragte für Schulwesen, Wissenschaft und Künste, einer der bekanntesten Dichter der Slowakei. Ihr Verschwinden vollzog sich. unter dramatischen Umständen. Schon in der Eröffnungsrede des Kongresses griff der neue Außenminister Sir oky außergewöhnlich scharf den „bourgeoisen Nationalismus“ eines Husäk und Novomesky und die schon 1939 zutage getretene westlerische Einstellung seines Vorgängers Clementis an. Husdk zögerte nicht, die von ihm verlangte „Selbstkritik“ in der gewünschten rücksichtslosen Form vor aller Öffentlichkeit abzulegen. Und Novomesky folgte mit größter Unterwürfigkeit nach. Im Gegensatz zu diesen beiden, die Gelegenheit erhielten, sich auf anderen Posten zu „bewähren“, mußten sich Clementis und Smidke sagen lassen, daß ihre Selbstkritik in keiner Weise befriedigt habe. An Clementis wurde insbesondere ausgesetzt, daß er die russische Politik zur Zeit des Molo-tow-Ribbentrop-Abkommens nicht gebilligt habe. Der heutigen Freundschaft zwischen Moskau und Ostdeutschland war er ebenso ablehnend gegenübergestanden. Noch konnte Clementis auf einem hohen Posten der Tschechoslowakischen Nationalb'ank' wieder auftauchen. Aber es war nur eine Gnadenfrist. Er ist heute „unbekannten Aufenthaltes“ ...

MONATELANGE DISKUSSIONEN ÜBER DIE WESTDEUTSCHE WIEDERAUF-. RÜSTUNG haben die Welt erfüllt. Da bedurfte es ausgerechnet des Deutschland-: besuchs des Generals Eisenhower, um festzustellen, daß die westdeutsch e B et teiligung an der Atl antik ar me e vorderhand noch nicht in Frage komme„ weil erst die politischen Voraussetzungen dafür geschaffen werden müßten. Kaum viel konsequenter und logischer aber sind die vom Osten her gestarteten Aktionen* Während die ostdeutsche „Volkskammer“ sanfte Sirenenklänge nach Bonn hinüber“ sendet und der unermüdliche Grotewohl sich sogar zum Zugeständnis angeblicher . „ge-heimer und freier Wahlen“. bereit erklärt, greift zum erstenmal in der Geschichte der Ostzone ein Parteibeschluß des Zentralkomitees der SED direkt in die Verwaltung ein und dekretiert die völlige Gleichschaltung aller ostdeutschen Universitäten. Daß man damit gerade im gegenwärtigen ungünstigsten Augenblick alle „Deutsche-Einheits“-Aktionen in den Augen der westdeutschen Bevölkerung und der ganzen Welt hoffnungslos diskreditiert, scheint die vor allem um die strengste Einhaltung der „Linie“ besorgten SED-Politiker nicht zu beunruhigen. Die schon unter dem Hitlerregime feststellbare Erscheinung, daß gerade in den straffsten Diktaturen die Koordination von Innen-und Außenpolitik höchst mangelhaft ist und radikale Maßnahmen im Innern immer wieder die außenpolitischen Bemühungen durchkreuzen, wiederholt sich hier in noch gesteigerter Form.

DIE WERBUNG DURCH DAS GEDRUCKTE WORT hat sich die kommunistische Propaganda nach Methoden zu eigen gemacht, die in allen Satellitenstaaten nach Moskauer Muster angewandt werden. Den Wochen- und Monatsschriften in englischer und deutscher Sprache, mit denen die europäische Gefolgschaft, vor allem Ungarn, Rumänien und Polen, sich vor der Außenwelt in Wort und Bild präsentieren, ist rasch auch die Pekinger Propaganda gefolgt. Die Post bringt uns auf den Redaktionsschreibtisch die Halbmonatsschrift „P e opl e's Chin a“, wohlgemerkt „pu-blished in Peking“, die jetzt schon im zweiten Jahrgang erscheint. Auch in diesen gut gedruckten und illustrierten Heften gesellt sich zu der parteipolitischen Auseinandersetzung und der Polemik gegen den „Imperialismus“ der selbstverständlich „konterrevolutionären Mächte“ die Vorführung der eigenen Leistung in Wirtschaft, Filmwesen, Literatur usw.; die Darstellung ist einigermaßen sachlicher als die in der Sowjetpresse übliche; merkbar stärkstes Zugmittel der Werbung ist die in 370 Dqrfbezirken (Hsiang) bereits begonnene „Landreform“, welche der kleinbäuerlichen Bevölkerung Befreiung von der „feudalen Grundeigentümerschaft“ verspricht. — Die weltweiten Anstrengungen dieser Pressepropaganda sollten in ihren Wirkungen nicht unterschätzt werden. Zweifellos entwickelt hier der Kommunismus eine seiner lautlosen V-Waffen.

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