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Randhemerhungen zur woche

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DIE WELTLAGE ZU WEIHNACHTEN 1953 bietet erfreulichere Aspekte als vor einem Jahr. Ein Jahr voll von Spannungen, aber auch von Hoffnungen geht zur Neige. In Korea ruhen die Waffen, die schleppenden, oft unterbrochenen Verhandlungen vermochten jedoch noch nicht den Weg zu einer Friedenskonferenz zu ebnen. Der Osten hat keine Eile. So scheint es zumindest. Wohl ließ vor kurzem der Führer der kommunistischen Vietnam-Truppen, Ho-Tschi-Minh, ein Friedensangebot an Frankreich verbreiten. Dieses wurde jedoch selbst von sehr ostlreundlichen Franzosen als ein Versuchsballon erkannt, der mehr zur Verwirrung als zur Bereinigung der Lage gedacht ist. Syngman Rhee, der südkoreanische Ministerpräsident, hat sich auf Formosa mit Marschall Tschiangkaischek getroffen, um eine Allianz gegen das Vordringen des Kommunismus in Asien zu begründen, wobei gleichzeitig dem überraschend schnellen Machtzuwachs Japans ein. Riegel vorgeschoben werden soll. Japan ist auch ein Sorgenkind der USA, die deshalb einen der energischesten Regierungsmänner, den Vizepräsidenten Nixon, in das Inselreich entsandt haben. Die antiamerikanische Welle wird in Indien und Persien, das nach dem Sturze Mossadeqs keine Ruhe mehr gefunden hat, teilweise überlagert durch eine antienglische Welle. Um Indien entgegenzukommen, stimmten die Vereinigten Staaten der Wahl von Frau Pandit zur Präsidentin der nun zu Ende gehenden Vollversammlung der UNO zu, konnten das indische Mißtrauen aber nicht ganz überwinden. Dieses erhielt neue Nahrung durch die in aller Welt in letzter Zeit verbreiteten Nachrichtengerüchte von einem bevorstehenden bilateralen Militärvertrag zwischen den USA und dem mohammedanischen kriegerischen Pakistan. Dementi folgte inzwischen auf Dementi. Da aber die amerikanische Außenpolitik eine entschiedene Tendenz zu zweiseitigen Stützpunktverträgen zeigt — nach dem Spanienpakt Washingtons drohte soeben John Foster Dulles in Paris mit einer Ausweitung solcher Verträge auf Europa — erhält sich in Asien das alte Mißtrauen gegen die „imperialistischen Westmächte“. Den Profit des Tages erhält der Nationalismus: das beweist Aegyptens Drängen nach dem „Anschluß“ des ägyptischen Sudans, in dem soeben, nachdrücklich unterstützt durch Kairo, die ägyptenfreundliche Partei einen Wahlsieg davongetragen hat, der in absehbarer Zeit zur Bildung eines großägyptischen Machtblocks führen kann, der geeignet erscheint, das Gesicht Afrikas zu verändern. Im Mittelmeerraum herrscht augenblicklich eine fast auflallende Ruhe. Der Kreml 'hat es für gut befunden, die stets besorgten Türken durch eine Note zu beruhigen, Griechenland geht an den Aulbau seiner durch lange Kriege und noch längere innenpolitische Unsicherheit zerschlagenen Wirtschalt und Agrarstruktur, und der Wetterwinke] in einem Winkel des Mittelmeeres, in Triest, scheint sich ebenfalls zu erhellen, nachdem Italien und Tito-Jugoslawien (soeben augenfällig geehrt durch die Wahl eines jugoslawischen . Sekretärs in die Donaukommission) ihre Truppen aus den Bereitstellungen an der Grenze zurückziehen. Lebhafter geht es im atlantiknahen Westeuropa zu. Die USA sind, nach der Bermuda-Konlerenz und Eisen-howers großer Atom-Rede vor den UNO, lest entschlossen, die Europäische Verteidigungsgemeinschaft unter Dach und Fach zu bringen, gegen den hinhaltenden Widerstand Frankreichs vor allem. Die Auswirkungen der Präsidentenwahl auf die Regierungsumbildung und den Ansatz der lange verschobenen inneren Reformen in Frankreich lassen sich heute noch nicht übersehen. Während Amerika Frankreich terminisieren will und auf die Ratitizierung der EVG drängt, häufen sich die Freundschaftsbezeigungen und die Einladungen aus Moskau auf den Tischen der Pariser Diplomaten und Politiker. Ein Land in Unruhe in einem Europa, das die wahre Ruhe noch nicht gefunden hat. Das spürt Italien besonders stark; die Regierung Pella ringt mit großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, Handhaben zu energischeren Maßnahmen bietet die gegenwärtige parlamentarische Konstellation nicht. Wer von außen her auf Europa sieht, sieht immer wieder auf Deutschland. Und auf Berlin. Dort soll im kommenden Jänner das erste Treuen des Westens mit Moskau nach Jahren stattfinden. Ueber Deutschland, über Oesterreich, über die Welt soll hier verhandelt werden: an diesem Orte, der Ost und West, den beiden Weltmächten, irgendwie unaufgebbar erscheint. Vielleicht ist er eben deshalb ein geeigneter Raum zur Begegnung von Realisten, die bereit sind, in dieser arg .zerschundenen Welt um erreichbare Nahziele zu kämpfen, ohne die großen Perspektiven der Zukunft aus dem Auge zu verlieren.

EIN MEILENSTEIN MIT SCHÖNHEITSFEHLERN ist das Einkommensteuergesetz 1953. Allen diesbezüglichen Beteuerungen zum Trotz hatte Nationalrat Oberhammer doch recht, als er im Parlament erklärte, auf dem Gebiet der Familienpolitik seien so ziemlich alle Wünsche an die Steuerreform unerfüllt geblieben. Die finanzpolitische Entwicklung seit Kriegsende war bekanntlich dadurch gekennzeichnet, daß die Familienerhalter bei jeder stillschweigenden Steuererhöhung trotz ihrer weitaus ge-

ringeren wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit weitaus mehr belastet wurden als die Kinderlosen. Es war daher nur eine Forderung der Gerechtigkeit — nicht einmal ein Wunsch nach Bevorzugung —, wenn seitens der Familienorganisationen und der katholischen Presse verlangt wurde, daß die Steuer derjenigen, die bisher verhältnismäßig am meisten belastet waren, nunmehr nicht wieder schlechter als die anderen abschneidet. Aber nicht einmal das geschah! Was erreicht wurde, bewirkt nur, daß diejenigen, die Kinder zu erhalten haben, monatlich um wenige Schilling mehr gewinnen als die kinderlos Verheirateten. Unter Berücksichtigung der linearen Erhöhung der absetzbaren Werbungskosten erreicht jedoch kein Arbeitnehmer, der eine Familie zu erhalten hat — und das sind die Familien mit zwei Dritteln aller Kinder —, auch nur annähernd den Betrag, um den die Steuer des Ledigen derselben Einkommensstuie gesenkt worden ist. Die bisherige Tendenz geht also weiter. Die stolze Behauptung, man habe im Rahmen einer generellen Steuersenkung die Steuer der Familien .auch' gesenkt, zeugt von einem mehr als bescheidenen familienpolitischen Konzept. Darüber hinaus wurde die an sich schon tiefe Grenze für die Kinderermäßigung welter gesenkt. Die bisherige Bevorzugung der Doppelverdiener wird fortgesetzt, in einzelnen Fällen sogar verstärkt. Und dann: die Herabsetzung der Altersgrenze für die Steuergruppe I auf 40 Jahre. Ein 41 jähriger Beamter, der mit monatlich 2200 S seine Frau und drei Kinder erhalten soll, und dem die Steuersenkung als zweite Etappe seiner Gehaltserhöhung versprochen worden war, wird am ersten Zahltag eine Erhöhung von 96.70 S feststellen können, sein gleichaltriger Kollege mit demselben Gehalt aber, der sein ganzes Gehalt für sich allein verwenden kann, eine Gehaltserhöhung von 210 S! Und diese Senkung war plötzlich ohne Gefährdung des Budgets möglich. Es bleibt jetzt noch die Hottnung auf die in Aussicht gestellte .organische“ Steuerreform — sie darf nicht mehr enttäuscht werden.

.POST — POSTEN — POSTMINISTER' ist die neueste Steigerungsform In Bonn. Der Streit um den dem neuen Kabinett Adenauer noch immer fehlenden Postminister ist jedenfalls zu Ende. Er wird also doch nicht Schuberth, sondern Balke heißen, und er wird evangelisch sein. Die Geburtswehen der Regierung sind vorüber. Die der Opposition scheinen erst zu beginnen. Carlo Schmid hält liberale Reden, aber Ollenhauer erklärt, es wäre undenkbar, daß die SPD auf die rote Fahne verzichte. Wieweit der Regenerationsprozeß in der SPD gehen wird, weiß man nicht. Es sieht so aus, als ob es nicht einmal die Sozialdemokraten selbst wüßten. Ein Berliner meinte dazu, die SPD sollte ein Programmtoto einführen (Unentschieden bringt die höchsten Quoten!). Aber hinter dieser bissigen Bemerkung verbirgt sich die Hoffnung, daß sich die SPD nicht in eine starre Opposition verbeißen wird. Optimisten hoffen sogar auf eine gemeinsame Außenpolitik. Man erkennt wohl auch in der SPD, daß man einen deutschen Verteidigungsbeitrag nicht wird verhindern können — daß aber eine weitere unnachgiebige Opposition eine Mitarbeit der SPD in den Behörden und Ueberwachungsorganen dieses Verteidigungsbeitrages ausschließen würde. Wie weit die Opposition in konkreten Fragen mit der Koalition zusammenarbeiten wird, läßt sich noch nicht übersehen. Der Bundestag trat nach der Debatte über die Regierungserklärung nur einmal zusammen. Die nächste Plenarsitzung wird erst im neuen Jahr sein. Uebrigens war die CDU bei der Benennung der Vorsitzenden in den Ausschüssen recht maßvoll. Sie • vertrieb zwar die SPD vom Vorsitz des Auswärtigen Ausschusses, beließ ihr aber den Vorsitz im gesamtdeutschen und einigen anderen Ausschüssen — obwohl sie nach parlamentarischem Recht hätte alle Vorsitzenden stellen können. Die Familiehrechtsreform („Gleichberechtigung der Frau') wird verschoben. Die FDP zeigt gegenüber diesem Vorschlag ihrer Koalitionspartner merkbare Zurückhaltung. Wie sie überhaupt schon jetzt angestrengte Versuche macht, aus dem „Adenauer-Sog“ herauszukommen. Ihr neuer Fraktionschef Dehler hat deutlich verkündet, daß die FDP eigentlich sehr viel Gemeinsames mit der SPD hat. Wenigstens moralisch war die Abschaffung des tnterzonenpasses ein Sieg des demokratischen Selbstvertrauens. Die Regierung in Pankow, die diese Frage durchaus mit der Bundesregierung „an einem Tiscli“ diskutieren wollte, wurde gezwungen, ohne diese Verhandlungen (die einer Anerkennung der kommunistischen Regierung gleichgekommen wäre) nachzugeben. Dies aber war nur möglich, weil die Bundesrepublik eine wohlbegründete Furcht vor dem Einsickern von Agenten zurückgestellt hat — im Vertrauen auf die Stärke des jungen Staates. Ein Vertrauen, das die Pankower Regierung nicht haben kann, weshalb sie folgerichtig an Stelle des Interzonenpasses eine Ueber-wachung durch Abgabe des Personalausweises einführte.

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