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Randhemerkungen zur woche

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Dos Sicherheitswesen unseres Landes ist nach dem Chaos, das der Krieg zurückgelassen hatte, in den letzten Jahren wieder nahezu auf das Niveau der Vorkriegszeit gebracht worden. Gewiß, nur nahezu, nicht ganz und das ist nicht unsere Schuld. Wohl haben die Erfolge der österreichischen Polizei im Kampf gegen das Verbrechen endlich wieder jene für die seelische Gesundheit des Gemeinwesens unerläßliche Überzeugung befestigt, daß jedes Verbrechen schließlich aufgeklärt wird. Aber gerade zwei Ereignisse der vergangenen Woche beleuchten zugleich mit der Leistung auch die Grenzen unseres Sicherheitswesen. Am selben Tag, an dem wohl die Person des Urhebers einer die Bevölkerung seit Wochen erregenden Bluttat, nicht aber die Hintergründe des Verbrechens, die in das Dunkel des Kampfes gegnerischer Geheimdienste zu weisen scheinen, festgestellt werden konnte, meldete der Nachrichtendienst einer Besatzungsmacht die Verhaftung einer Schmugglerbande, die als Gegenleistung für den im Auftrag einer anderen Besatzungsmacht durchgeführten Menschenraub von dieser Schutz bei ihrem dunklen Schmugglergewerbe erhalten habe. Ein Menschenschicksal gegen einen Monat Schmuggelfreiheit: ein grausiger Handel. Die durch die Veröffentlichung bloßgestellte Macht antwortete, wie dies in solchen Fällen üblich ist, mit heftigem Gegenangriff. Für den Österreicher aber zerriß an einem Tag plötzlich der Schleier der Alltagssorgen und Alltagssensationen von Sporttoto, Theaterstreik, Elefantenfleisch und Filmmisere. Schaudernd wurde er wieder einmal der Gefährdung seines Landes als Niemandsland des Kalten Krieges zwischen feindlichen Weltmächten gewahr.

Nach dem Dezemberbericht des Instituts für Wirtschaftsforschung steht die österreichische Wirtschaft einer Lage gegenüber, die „an einem entscheidenden Punkt“ angelangt ist. Die Nachholkonjunktur der Nachkriegsjahre besteht weiter, der Güterbedarf ist nirgends vermindert. Das Produktions- und Leistungsvolumen ist beträchtlich gestiegen, der Geldumlauf ist knapp geblieben. Die landwirtschaftliche Produktion konnte sich günstig entwickeln, die Industrie weist Rekordanstiege aus, die Reallöhne sind etwas gestiegen. Andererseits ist der Export unbefriedigend, die Spannung zwischen Löhnen und Preisen noch immer gefährlich hoch und der Bedarf „ungeduldig“, das heißt entweder durch zu hohe Preise oder durch Mangel an Gütern nicht in dem von den breiten Massen gewünschten Ausmaß zu decken. Im ganzen ist das Bild der Wirtschaftsentwicklung nicht schlecht, aber eine weitere Gesundung ist nur herbeizuführen, wenn der Export gründlich gefördert wird, denn das kleine Land kann sich nicht als bloßer Verbraucher wirtschaftlich halten.

Grundsätzlich bedeutet das, daß noch, immer in der Wirtschaft anzutreffende Preisideologien aus der Inflationszeit end-aültig abzubauen sind und daß andererseits mit Lohnforderungen einfach deswegen nichts gewonnen ist, weil sie im Mechanismus der Währungen automatisch zu einer Erhöhung der Preise, beziehungsweise Senkung der Exporte und damit zu einer schließlichen Verminderung der Inlandsproduktion führen müssen. Das erste Erfordernis ist eine sachliche Rationalisierung. Solange man bei uns zum Beispiel Altpapier einführt, weil man im eigenen Land dieses Rohmaterial nicht in genügendem Maß sammelt, solange sind in der Wirtschaft bei uns bedenkliche Fehlerquellen vorhanden. Man muß sich auch im klaren sein, daß man mit Klagen und dem Einander-die-Schuld-in-die-Schuhe-Schieben nicht weiterkommen kann. Wer vier Jahre nach dem größten Zerstörungswahn der Weltgeschichte und nach dreißig Jahren voll von wirtschaftlichen Katastrophen ein Paradies erwartet, der wird grausam enttäuscht werden und am Ende weniger als nichts in seinen Händen halten. Man sollte in Österreich mit Rücksicht darauf nicht ständig von „Wendepunkten“ und schwerwiegenden Entscheidungen reden, wo der ständige Fluß der Dinge einfach den stetigen Fortschritt der wirtschaftlichen Vernunft verlangt. Was das bedeutet, ist oft genug gesagt worden. Aber es kann noch einmal wiederholt werden: es heißt Befreiung von aller Hysterie.

Die Affäre, zu der das mißglückte Auftreten eines bekannten österreichischen Filmstars in Paris und der dortige Durchfall der „Walzerkönigin“-Operette geführt hat, gibt Anlaß zu einigen Anmerkungen. Sie beziehen sich kaum auf die kriminelle Seite der Sache — derlei Skandale hat es und wird es immer geben; das mag bedauerlich sein, aber die Reputation etwa des österreichischen Kulturlebens schädigen sie an sich noch nicht. Betrüblicher ist, wie uns scheint, daß man in Paris offenbar mit dem guten Ruf, den österreichische Kunst immer noch genießt, gewissenlose

Propaganda an falscher Stelle trieb: Geschäftstüchtigkeit sorgte dafür, daß die mittelmäßige „Walzerkönigin“ als glanzvolles Neubelebungswerk der klassischen Wiener Operette ausgeschrien wurde, während Frau Mayerhofer als „Sängerin der Wiener Oper“ angekündigt wurde, wozu keinerlei Legitimation vorhanden war. Dadurch wurde, was eigentlich ein finanzielles und moralisches Fiasko war, plötzlich zu einer Belastung des österreichischen Kultur kontos im Ausland. Wir fügen hinzu, daß es ähnlicher Vorfälle schon mehrere gegeben hat. Man wird in Hinkunft besser darauf zu achten haben — und unseren Auslandsvertretungen erwächst hiebei eine unangenehme, aber unvermeidliche Aufgabe —, daß Künstler, die auf privater Kunstreise außerhalb der Staatsgrenzen auftreten, dies unter der eigenen, nicht unter Flagge ihres Landes tun. Und den Künstlern selbst muß wohl größte Vorsicht und Verantwortung im Umgang mit den Arrangeuren solcher Veranstaltungen empfohlen werden. Sie wird den Künstlern selbst schwere Schädigungen ihres Rufes, ihrer Heimat aber ungerechtfertigte Beschämung ersparen.

I

„Ein bißchen Schwung in die klapprige Bude!“ Der Tonfall dünkt uns in seiner schnoddrigen Art irgendwie vertraut; es bleibe dahingestellt, ob er nicht in manchen Lesern Assoziationen an einen Kasernhof erweckt. Stammt vielleicht aus ihm dieses Zitat? Keineswegs. Es war der große Haupttitel, der „Aufmacher“ einer österreichischen Zeitung — sie gehört der im Parlament auf den Bänken ganz rechts sitzenden Partei — die mit ihm offensichtlich der Aufbauarbeit im Lande Österreich kräftigen Auftrieb verleihen wollte. Mag sein, daß der Wille gut ist, der zu solchem Anruf an den Leser veranlaßt hat. Nur — taktloser Ton macht keine gute Musik. •

Der Weg des westeuropäischen Sozialismus von heute führt durch viele Engpässe. Er hat die zweifache Gefahr zu vermeiden: einerseits einem linfeen Radikalismus zum Opfer zu fallen, andererseits in den ruhigeren Gewässern „bürgerlicher“ Reformpolitik die Unterstützung der Arbeitermassen einzubüßen. Die latenten und offenen Regierungskrisen in Frankreich und Italien während der letzten Monate haben dies deutlich zum Ausdruck gebracht. In Italien hat die labour-sozialistische Minderheitspartei Saragats, die vor dem Florenzer Einigungskongreß mit der anderen, aus der kommunistischen „Volksfront“ ausgeschiedenen Gruppe Romitas, die Koalitionsregierung De Gasperis verlassen. Nun kehrt sie nach ihrem eigenen Parteitag in Neapel, freilich geschwächt in die Regierung zurück.. Ihr von Silone geführter Parteiflügel hat sich der neuen Vereinigten Sozialistischen Partei angeschlossen, deren nächstes Ziel die Gewinnung der starken, noch im Lager Nennis stehenden gemäßigten Autonomisten unter der Führung Jacomettis ist. Über diesem Versuch schwebt in doppelter Hinsicht die nicht ganz klare Vorstellung von einer „dritten Kraft“, die zugleich innenpolitische Opposition gegen Togliatti und De Gasperi, außenpolitische Zurückhaltung gegenüber dem Atlantikpakt und aller amerikanisch inspirierten Westpolitik verkörpern will. Für sich betrachtet gemahnt so das äußerliche Bild des italienischen Sozialismus an die schon fast unübersehbar gewordenen Spaltungen der Linken in der spanischen Republik der dreißiger Jahre. Verglichen mit den Sozialisten Frankreichs, die sich, ähnlichen wirtschaftsbedingten sozialen Spannungen gegenüber, bisher für das Verbleiben in der Koalitionsregierung ausgesprochen haben, ist seine Lage gewiß prekärer. Der demokratische Sozialismus Italiens hat der äußersten Linken noch nicht wieder genug festen Boden abgewinnen können, um eine Aufgabe seiner Defensivtaktik zu wagen. Die gemachten und von internationaler Seite unterstützten Bemühungen, eine derartige Basis zu bilden, werden vollstes Verständnis finden. Leider weiß man in gleichen Kreisen Saragat dem Manne, der heute für die weitere konstruktive Zusammenarbeit mit den Kräften der christlichen Demokraten eintritt, nur toenig Dank und Verständnis. Er steht heute einsam und hoffnungslos „rechts“. Die Überzeugung, daß man um jeden Preis erst wieder in der Opposition stark werden müsse, um dann auf den Tisch zu klopfen, ist aber bestenfalls eine halbe Wahrheit.

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