6568736-1950_09_13.jpg
Digital In Arbeit

Randhemerkungen zur woche

Werbung
Werbung
Werbung

Der Bundesvoranschlag für 19 5 0 ging, mit ausführlichen Begründungen des Ressortchefs versehen, durch die Debatte des Nationalrats in die anschließenden Beratungen des Finarfz- und Budgetausschusses. Die laufende Budgetsumme ist mit 9,6 Milliarden Schilling beträchtlich — wm mehr als die Hälfte — größer als im Vorjahr, eine Folge der nachkriegsbeding-ten Investitionen, der wachsenden Soziallasten, der valutarischen Anpassungen und der Ergebnisse des dritten Lohn- und Preisabkommens. So erklärlich dieses Anwachsen-ist, so wenig kann übersehen werden, daß im Vordergrund der Ausgaben die Personallasten und die Soziallasten stehen. Rund 3,9 Milliarden entfallen allein auf den Personalaufwand und davon wiederum 1,3 Milliarden auf Pensionen. Von den 1,6 Milliarden für die Soziale Verwaltung entfallen 733 Millionen auf die Kriegsbeschädigtenfürsorge. Die Sachaufwände sind im Verhältnis zu den Personalaufwänden gering, in manchen Sparten, wie zum Beispiel im Unterrichtswesen, betragen sie nur einen Bruchteil der Personalkosten. Eine Milliarde für Investitionen — Elektrifizierung der Bahnen usw. — soll aus Freigaben der Erlöse für Marshall-Plan-Güter aufgebracht werden. Auf der Einnahmenseite stehen die Steuern mit einem Ertrag von rund sieben Milliarden. Von den Monopolen soll der Tabak S30 Millionen einbringen. Der Voranschlag sieht beträchtliche Mehreinnahmen gegenüber dem vorigen Jahr vor, da man mit weiterer Vollbeschäftigung rechnet. Zu unmittelbaren Sorgen gibt das Budget , keinen Anlaß, aber man darf die Augen auch nicht vor der Tatsache verschließen, daß eine Reihe der wirtschaftlichen Unternehmungen des Bundes — Bahnen, Post, Theater, Forste — defizitär sind und daß der Personalstand anioächst statt abzunehmen. Das ergibt eine gewisse LaJ bilität da das Budget nur auf dem einen Bein der wirtschaftlichen Vollbeschäftigung, nicht aber auch auf dem zweiten, einer sorgsam durchdachten Verwaltungs-ökonomie, steht. Man wird gut daran tun, im Laufe des Jahres auch das andere Bein auf den Boden der Tatsachen zu stellen.

Zur selben Zeit, da die Weltsensation des „Atomspions“ Fuchs die Anfälligkeit bestimmter intellektueller Kreise des Westens für den Kommunismus wieder einmal überdeutlich bewies, lenkte in Österreich der sogenannte „Friedensrat“ durch Austritte, Eintritte, Funktionsniederlegungen und ähnliche Gesten die Aufmerksamkeit auf sich. Der Beitritt von Persönlichkeiten, deren zwielichtige Haltung allerdings keine Neuigkeit mehr ist, zu einer Organisation des „Trojanischen Pferdes“ und die Funktionen, die sie in einer solchen Vereinigung ausüben, sind bestimmt keine weltbewegende Angelegenheit. Es ist aber doch seltsam, daß gerade jene Universitätsprofessoren, Vorstände von Schriftstellervereinigungen, die in den letzten Jahren unerbittlich über jene Berufskollegen richteten, welche den Versuchungen einer vergangenen totalitären Gewaltherrschaft erlegen waren, nun selbst einer anderen totalitären Gewaltherrschaft gegenüber so anfällig sind. Die das erste Mal vielleicht geltende Entschuldigung, man habe die Folgen und Auswirkungen nicht voraussehen können, dürfte für die heutigen Wegbereiter und Weggenossen des Totalitarismus jedenfalls nicht mehr Geltung haben. Es fällt nämlich nach allem, was wir erlebt haben, wirklich schwer, hier noch „guten Glauben“ und „irregeleiteten Idealismus“ anzunehmen.

Das Urteil, das ein Senat des Wiener Zivillandesgerichtes in der Streitsache Doktor Troll contra Republik Österreich fällte, bildet das Musterbeispiel einer rechtsstaatlichen Judikatur, die den Staatsbürger 'gegebenenfalls auch gegen seinen eigenen Staat in Schutz nimmt. In diesem Prozeß ging es um das berühmte Canaletto-Gemälde „Blick auf Pirna“, das den Wert eines kleinen Vermögens repräsentiert. Der Veterinärarzt Dr. Troll hatte dieses Bild dem Unterrichtsministerium in treuhändige Verwahrung gegeben. Als er dann eines Tages die Ausfolgung des Bildes begehrte, war es — in der Kanzleisprache ausgedrückt — „in Verstoß geraten“, das heißt nicht mehr aufzufinden. Begreiflicherweise genügte dem Eigentümer eine solch einfache behördliche Erklärung nicht, sondern er klagte auf Herausgabe beziehungsweise auf Schadenersatz. Das Recht des Klägers war so eindeutig zu erweisen, daß das Gericht nur die Verurteilung der beklagten Republik Österreich zu voller Gutmachung des Schadens aussprechen konnte. Jedes andere Urteil wäre ein Unrechtsspruch gewesen. Die Manifestation des Rechtsstaates kommt aber nicht so sehr im Inhalt des Urteils zum Ausdruck als darin, daß es sich die Republik Österreich gefallen lassen muß, von'einem einfachen Staatsbürger vor Gericht gezogen und beklagt zu werden. Solange der Österreicher den eigenen Staat, falls dieser durch seine Organe Unrecht getan hat, noch gerichtlich belangen und sogar seine Verurteilung erreichen kann, dürfen wir die beruhigende Gewißheit haben, daß das Recht in diesem Lande in guter Hut und nicht gefährdet ist, von der Macht erdrückt zu werden.

Die aufstrebende Entwicklung der Volksbildungsstätten in Österreich verdankte ihren Impuls einem natürlichen geistigen Verlangen gerade der manuell Tätigen. So schien der Gedanke des Volksbildungswerks nach Ende des ersten Weltkrieges seine neue Mittlerfunktion zwischen überkommener Kultur und den Massen lebendig zu erfüllen. Wer heute noch das gleiche behaupten wollte, geht leider fehl. Von einigen größere Kreise anziehenden Veranstaltungen in der Urania abgesehen, bleiben die Säle des Volksbildungswerks durchaus spärlich besetzt. Manche sind sogar erschreckend leer. So brachte es erst kürzlich von einigen Lesungen angesehener Schriftsteller die eine auf volle sechzehn, eine andere auf zehn, eine dritte gar nur auf sage und schreibe sechs Zuhörer! An gleicher Stätte findet ein Vortrag über Sexualprobleme immerhin seine 250 Hörer. Griechische Philosophie, eine Faust-Erklärung oder gar zeitgenössisch-literarisches Schaffen — haben sie wirklich heute nur mehr kleinen und kleinsten Kreisen etwas zu sagen oder liegt es vielleicht auch ein wenig an der Form, an der Art und Weise, in der sie vermittelt werden? Die Frage drängt sich auf, ob nicht der Einfluß, den die Sprache des Films und des Radios in den letzten Jahrzehnten immer stärker auf breite Schichten der Bevölkerung ausübt, zuwenig in den Dienst der guten Sache der Volksbildung gestellt wird. Den leeren Saal zu verdammen, wäre sinnlos, ihn zu übersehen, gleichfalls. Die stumme Mahnung des leeren Saales gilt den Abwesenden und den Einladenden zugleich.

Der Fasching des J ahr es 19 50 ist zu Ende; er ist ausgiebig und ausdauernd gefeiert worden. Auf vornehmen und prätentiösen, weniger konventionellen und ganz und gar unprätentiösen Bällen, Faschingsfeiern, Maskeraden, Narrenabenden und Gschnasfesten. Im Gegensatz zum vergangenen Jahr gab es wenig abgesagte Veranstaltungen, waren die Ballsäle gut besucht, ohne daß man sich in sie drängte. Beinahe überall herrschte gute Stimmung und fast nirgends verstieß man gegen den guten Ton oder trieb man die Ausgelassenheit ins Äußerste. Die österreichische Hauptstadt zeigte, daß sie wieder Feste zu feiern versteht — Feste, die nicht mehr im Zeichen eines übersteigerten Auslebens, eines krankhaften Vergessen-wollens stehen, die nicht mehr ein Tanz auf Gräbern und zwischen Ruinen sind. Es war ein angenehmer, ein sympathischer Fasching, den mitzubegehen nicht falsch angebrachter Luxus war. Game vale — jetzt wird es eine Zeitlang ohne Feste auch gehen müssen.

Nach zweimonatigen Verhandlungen haben die sowjetisch-chinesischen Besprechungen zum Abschluß eines Beistandspaktes Moskau — China geführt. Es ist vielleicht rätlich, aus dem Zustandekommen dieser Abmachungen vorerst nicht allzu weitgehende Schlüsse zu ziehen. Moskau hat sich zur Rückgabe von Port Arthur und der südmandschurischen Eisenbahn verstanden, Konzessionen, die allerdings erst im Jahre 1952 in Kraft treten sollen. Dagegen scheint es einen großen Teil des ausgedehnten Wüstenvorfeldes, das zwischen den beiden Vertragspartnern liegt und das bisher der chinesischen Oberhoheit unterstand, unter seine Kontrolle bekommen zu haben. Die Volksrepublik der Äußeren Mongolei ist nunmehr auch de - jure von China unabhängig geworden. Und wenn aus dem Kaschmir benachbarten Sinkiang, das schon seit langem unter sowjetischem Einfluß steht, eine Delegation nach Moskau unterwegs ist, zeichnen sich vielleicht auch vor den Toren Indiens wichtige staatsrechtliche Umformungen ab. Einen tieferen Einblick in alle Zusammenhänge wird wohl erst die künftige Entwicklung im mittel- und ostasiatischen Raum gewähren. Nicht zuletzt wird sie darüber Aufschluß geben, inwieweit die beiden Länder miteinander harmonieren werden können.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung