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Randhemerkungen zur woche

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Die Vorschläge, die in der Note der österreichischen Bundesregierung an die Besatzungsmächte enthalten sind, stellen ein Minimalprogramm dar, um das Leben in Österreich bis zum Abschluß des Staatsvertrages wenigstens einigermaßen zu normalisieren. Wie bescheiden wir doch geworden sind, daß diese Forderungen — Verzicht auf Besatzungskosten, Aufhebung der Zonenkontrollen, Abstandnahme von Eingriffen in die Gesetzesdurchführung usw. — uns bereits als erstrebenswerte Nahziele erscheinen, und daß wir auf einen baldigen Abschluß des Staatsvertrages schon kaum mehr zu hoffen wagen! Die Faustschläge gegen österreichische Gendarmeriebeamte haben am Tage nach der Bekanntgabe der österreichischen Note in drastischer Weise demonstriert, wie unerträglich das gegenwärtige Besatzungsregime ist. Und für all dies, für die ständigen Demütigungen, für Zustände die dem Ruf unseres Landes schaden, unserer Wirtschaft schwerste Hemmnisse auferlegen und durch das ständige Gefühl der Unsicherheit den Lebens- und Aufbauwillen unserer Bevölkerung schwer belasten, muß die österreichische Bevölkerung auch noch zahlen, während auf der anderen Seite auch die Besatzungsmächte von der Fortdauer dieser Verhältnisse keinen wirklichen Gewinn haben. Es fällt, wenn man den Widersinn dieses nun schon seit Jahren dauernden Zustandes bedenkt, wirklich schwer, an die menschliclie Einsicht zu glauben und nicht harte, heftige Worte zu gebrauchen.

Den Staatsbeamten geht es schlecht, und es ist hoch an der Zeit, daß ihnen nicht allein mit Worten, sondern auch durch Taten geholfen wird. Sie haben nicht nur den natürlichsten Anspruch darauf, sondern es hängt auch die Sauberkeit jeder öffentlichen Verwaltung letzten Endes davon ab, daß der Lebensunterhalt ihrer Mitarbeiter gesichert ist. Den Verhandlungen, die zum Ziele haben, den Beamten eine halbwegs sorgenfreie Existenz zu gewährleisten, ist daher ein guter Ausgang zu wünschen. Das Problem der Besoldung der Staatsangestellten ist aber untrennbar mit dem der Verwaltungsreform verknüpft, das dadurch noch dringlicher geworden ist. War es schon jetzt fast untragbar, dem Budget dreieinhalb Milliarden Schilling für Personalaufwand aufzubürden, so wird diese Frage mit dem Steigen der Besoldungen noch auswegloser. Die beabsichtigte Drosselung des Sachaufwandes ist ein peinliches und Wirtschaftsschädigendes Mittel, das nur ein vorübergehender Behelf sein kann und das dazu führen würde, daß sich das Land mit halbvollendeten Investitionsvorhaben bedeckt. Zu den Trümmern der Kriegs-zerstörvngen, verfallenden Bruchstücken der Reichsautobahnen würden so auch noch unfertig gebliebene Bahnhofs- und Schulbauten treten. Die zur Stopf ung dieses neuen Lecks geplante Luxussteuer bringt außerdem eine Reihe neuer Probleme mit, da sie bei dem durchschnittlich sehr tiefen Lebensstandard der Nachkriegszeit einen v;eiten Umkreis von Waren erfassen muß, wenn sie ein nennenswertes Ergebnis bringen soll. Ist aber etwa ein Rundfunkgerät oder ein Zimmerluster wirklich ein l.urrusgegenstand? Wie viele haben alle ihre Habe verloren und sind nun gezwungen, ihren Hausrat neu anzuschaffen. Eine Steuer auf Gegenstände solcher oder ähnlicher Art würde ihre Anschaffung noch erschweren und gleichzeitig die Absatzmöglichkeiten unserer Produktion vermindern. „Wenige, aber gut bezahlte Beamte“ — eins ist unlöslich mit dem andern verbunden, und die Erfüllung der letzteren Forderung hängt von jener der ersteren ab.

Vor einiger Zeit begann im Nervenzentrum des Wiener Lebensmittelhandels, in der Großmarkthalle, ein ebensolang erwarteter wie überraschend vollzogener Preissturz, der von den Fleischwaren seinen Ausgang nahm. Andere Lebensmittel haben rasch „nachgezogen“ — in diesem Fall einmal nach unten. Ein Ansturm der Käufer auf die Halle war die Folge und die Geschäfte in den Bezirken erlitten starken Kundenverlust. Das Gewerbe sah den Preissturz mit geteilten Gefühlen und versuchte „verzweifelt, die Preise zu halten“. Man erklärt, ein Gewinn von 5 bis 10 Schilling je Kilogramm Fleisch sei erforderlich, um die Regien zu decken. Man hat in der Bevölkerung keine Neigung, sich mit der Buchhaltung des Gewerbes zu befassen, man kauft dort, wo die Ware billiger ist. und faßt die billigen Preise als Indiz gegen die Behauptungen des Gewerbes auf. Volkswirtschaftlich gesehen ist der Preissturz der vorigen Woche — der nicht der einzige bleiben wird — eine Folne der freien Wirtschaft bei normalem Warenangebot. Die freie Konkurrenz erzwingt wieder größere Leistung bei niedrigerem Verdienst, der nur durch rationelles Niedrighalten der Unkosten und vermehrten Umsatz erhöht werden kann. In der einschläfernden Atmosphäre der reglementierten Kriegswirtschaft bestand keine Notwendigkeit zum Zerbrechen des eigenen Kopfes. In der Treibhausluft der Inflation meinte man, mit hohen Gewinnen die Sorglosigkeit erhalten zu können — womit man übrigens auch der Steuerschraube die Lust zu hemmungslosen Drehungen gab — aber diese Hoffnungen schmelzen im ersten Sonnenstrahl, der mit verderblicher Kraft auf den Schweinskopf in der Auslage scheint. Die Rollen haben gewechselt: Jetzt entscheidet der Kunde!

„Das Recht der Jugend auf geistige Freiheit.“ Sehr gut. „Der Jugendliche soll im Kreise Gleichaltriger und Gleichgesinnter bei Spiel, Sport, Unterhaltung und Belehrung das genießen, was höchstes Glück der Erdenkinder ist: eine Persönlichkeit zu werden.“ Gut so. „Wir wollen aber auch, daß der junge Mensch Gelegenheit erhält, die großen Fragen, die die Welt bewegen, kennenzulernen.“ Noch besser! — Geistige Freiheit, Persönlichkeitsbildung, Offenheit für die großen Fragen der Menschheit — wer gibt nicht frohen Herzens seine Zustimmung zu diesen Aspekten eines Jugenderziehungsprogramms? Wo wird dieses verwirklicht? Nach Vizekanzler Dr. Schärf („Arbeiter-Zeitung“ vom 7. März 1950) einzig und allein in den Parteischulungsheimen und Jugendorganisationen der SP — der Vizekanzler fährt deshalb in seiner Rede fort: „Unsere Jugendorganisationen sind keine Klöster, deren Besuch mit einem Gelübde endet, keine Hitlerburgen und keine kommunistischen Drillanstalten und Verschwörerschulen, sondern Stätten freier Gesinnungs-bildnng und geistiger Autonomie.“ Klöster — SS-Ordensschulen — kommunistische Verschwörerschttlen: „Dreieinig sind sie, nicht zu trennen!“ Wer das zu behaupten wagt, weiß schlechthin nichts vom Ent-ivicklungsgang abendländischer Freiheit, Persönlichkeitskultur, wissenschaftlicher Disziplin und Weltaufgeschlossenheit. Weiß nicht, daß soiuohl die Naturwissenschaften wie auch die kritische Geschichtsforschung mit ollen ihren Hilfswissenschaften ihre erste Pflegestätte in unseren Klöstern fanden, weiß nicht, wie sehr österreichisches Wesen in seiner Weltoffenheit mitgeformt wurde durch das Ebenmaß tausendjähriger benediktinischer Klosterkultur, und verschweigt zuletzt die schlichte Tatsache, daß insgesamt nicht einmal ein Prozent der Besucher klösterlicher Lehranstalten „ihren Besuch mit einem Gelübde endigen“. Die Gleichstellung, ja Gleichschaltung unserer Klöster mit nazistischen und andersfarbigen Zuchtanstalten ist eine schwere Diffamierung; ihre Wellen brechen sich freilich bereits an der Pforte unserer aller Ehren vollen Klosterburgen, aus denen ein Stifter und ein Mendel hervorgegangen sind — sie rollen aber zurück und spiegeln in merkwürdigem Zwielicht das Gesicht jenes Mannes, der ein neues Bildungsideal, das seine humanistische, freiheitliche, persönlichkeitsbildende und wahrhaft tuelt-offene Formkraft historisch erst beweisen muß, nur verteidigen zü können glaubt in einem taktlosen Angriff auf jene tausendjährige Bildungsmacht, ohne die Europas und Österreichs inneres Werden undenkbar ist.

Fast alle namhaften österreichischen Museumsdirektoren, Kustoden und Kunsthistoriker haben in einer Denkschrift an den Wiener Bürgermeister und Gemeinderat gegen die Art protestiert, in der von den zuständigen Stellen das Problem der Stephansplatz-Neugestaltung behandelt wird. (Es ist bekanntlich die „österreichische Furche“ gewesen, welche die Diskussion über dieses Thema eröffnete.) In diesem nicht zu überhörenden Protest wird ebenso gegen die Geheimhaltung aller Absichten der städtischen Bauämter gesprochen wie gegen die deutliche amtliche Bevorzugung der rein verkehrstechnischen gegenüber den kulturellen Fragen dieses Problems. — Dazu ist zu bemerken, daß die Ansichten maßgebender Gelehrter in diesem wie in anderen Fällen größtes Gewicht besitzen müßten; sie zu umgehen — wozu Bequemlichkeitsrücksichten schon einige Male verleitet haben — ist auf die Dauer unmöglich. Es geht nicht an, in Wien städtebauliche Vorhaben schlechtestenfalls auf nur administrativen, bestenfalls nur technischen Erwägungen fußen zu lassen. Davon sollten denn doch, wenn schon nicht ästhetische, so doch wenigsten Gründe der Vernunft überzeugen.

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