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Randhemerkungen zur woche

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Die Friedensodyssee, zu der Professor Thirring vor geraumer Zeit aufbrach, dürfte nun allmählich ihr Ende finden. Von kommunistischen Propagandisten irregeführt, hat er seine Unterschrift unter ihr Friedensmanifest gesetzt — aber die unfriedlichen Töne, die es begleiteten, haben ihn, dessen Friedenssehnsucht gewiß immer ernst war, doch bewogen, in dem sozialistischen Blatte an den sowjetrussischen Publizisten Ilja Ehrenburg einen offenen Brief zu richten Nichts anderes stand darin, als die Bitte, Ehrenburg möge sein Gewicht dafür einsetzen, daß der Ton, in dem russische Zeitungen außerkommunistische Vorgänge und Personen behandeln, gemildert werde. Im Interesse des Friedens und eines gedeihlichen Nebeneinanderlebens der Völker. Dem folgte ein Artikel des österreichischen Kommunistenführers, der Professor Thirring in akademischer Höflichkeit belehrte, daß die rauhe und „nicht sehr anmutige“ Sprache russischer Journalisten nicht so ernst zu nehmen sei, vielmehr ein weiches Herz unter grober Schale vermuten lasse. Nun, das weiche Herz zeigte sich nicht, wohl aber die stachelige Außenseite: das Organ der sowjetrussischen Be-vatzungsmacht machte kurzen Prozeß und Professor Thirring zum „entlarvten Renegaten und Überläufer“, zum „Verräter“, zum „Verfechter und Vertreter jener herrschenden kapitalistischen Kreise, die offen zum Krieg rüsten“, zum „bürgerlichen Intellektuellen von der Sorte, die sich nicht aus dem Sumpf der reaktionären Ideologie erheben können“. — Der Ablauf der Geschichte ist eine Lehre für so manche. •

In den letzten Tagen mußte die österreichische Öffentlichkeit eine bittere Opiumpille schlucken, die vier bekannte Fußballer von einer Orienttournee ihres Vereins in Feigen eingehüllt, nach Hause brachten. Es wäre verfehlt, über die Affäre Schweigen zu breiten, denn dieser Opiumschmuggel beschwert nicht bloß die vier verhafteten Fußballer und zwei andere beteiligte Sportler, sondern den Ruf Österreichs überhaupt. Schmuggler gibt es sicherlich überall, ohne daß man sie üblicherweise in Beziehung zu dem Land ihrer Herkunft setzt. In diesem Fall gab es aber Vorbilder, die es dem internationalen Rauschgiftschwarzhandel offenbar aussichtsreich erscheinen ließen, an die Sportler mit seinen Angeboten heranzutreten. Die vom sozialistischen Zentralorgan vorgebrachten Ansichten über die Korrumpierung des österreichischen Sports müssen deshalb zur Abstellung dieser unguten Vorfälle überprüft werden. Außerdem wird es angezeigt sein, in allen Vereinen, Verbänden, Organisationen und Institutionen, die einen kulturellen Auslandsverkehr durchführen, mehr als bisher auf die c h ar ak t e r Ii che n Eignungen der mitwirkenden Personen ein besonderes Augenmerk zu richten und Verstöße gegen den Ruf mit un nach sichtlich er Eliminierung zu ahnden. — Auch die wahrlich befremdende Tatsache, daß im Grazer Sperrkontenprozeß drei von den vier angeklagten Kriminalbeamten nicht außer Dienst gestellt wurden, sondern ihren Dienst im Rahmen der ordnungsbehütenden Behörde ausdrücklich weiter versehen, darf nicht zur Richtlinie für die moralischen Anschauungen gemacht werden. Vollends verfehlt wäre es, den einen Fall auf den anderen abzustützen. Man muß sich im klaren sein, daß weder der Ruf unserer Musik noch der Ruf von Wunderteams und Wiener Schule oder der Ruf, die beste Polizei der Welt zu besitzen, moralische Defekte verhüllt, sofern diese Defekte geduldet werden.

Eine dem Nationalrat übermittelte Regierungsvorlage zur Änderung det Invalideneinstellungsgesetzes sieht einige sehr wichtige Neuerungen vor, die von den Auffassungen der Zwischenkriegszeit beträchtlich abweichen. Hauptsächlich handelt es sich um die Aufnahme der Zivilinvaliden in den Kreis der vom Gesetz begünstigten Personen; damit würde eine eigentlich schon immer unbegründete Unterscheidung zwischen Kriegs- und Zivilinvaliden verschwinden und das gleiche menschliche Problem auch die gleiche rechtliche Regelung finden. Die Unterbringung von Invaliden an ihnen gemäßen Arbeitsplätzen wird sich demnach in Hinkunft nicht mehr nach dem dafür gänzlich belanglosen Entstehungsgrund der Invalidität, sondern nach dem Prozentsatz der Arbeitsbehinderung richten, womit es die einzige sinngemäße Lösung findet. Um jedoch zu vermeiden, daß der Kreis der Begünstigten allzugroß wird, sind die Gruppen der Körperbehinderten, die für die Pflicht-arbeitsplätze in Betracht kommen, im Gesetz im einzelnen beschrieben. Besonders begünstigt sind die Blinden aller Invaliditätsarten. Das Gesetz atmet auch in diesem

Punkt ausgesprochen praktischen und humanen Geist, aber indirekt vermittelt es doch durch die Zwangsregelung einerseits und eine nicht ganz zu leugnende Schüchternheit in der Frage der Zivilinvaliden andererseits den Eindruck, daß „im Leben“ der Umgang mit den Invaliden noch zu wünschen übrig läßt. Man geht mehr von der Unterstützungsidee aus als von der Tatsache, daß der Drang der Körperbehinderten, als vollwertig zu gellen, zwar einseitige, aber oft überdurchschnittliche Leistungen hervorbringt. Die erstaunlichen Leistungen beim bayrischen Schirennen für Einbeinige sollten ebenso zu denken geben, wie die Ausstellung hand- und armloser Künstler, Graphiker und technischer Zeichner in Bad Pyrmont oder der blinde Uhrmacher und der blinde Kaufmann, der seine Geschäftskorrespondenz selbst auf der Schreibmaschine erledigt. Das vorliegende Gesetz wird allerdings dieser psychologischen Seite des Problems nur begrenzt Rechnung tragen können, weil es von vornherein nur einen Teil der lnvalidcn-angelegenhelten regelt, womit es im bisher üblichen Rahmen der kleinen Gesetzesregelungen bleibt. Die beträchtliche Zahl von Körperbehinderten würde es aber gerechtfertigt erscheinen lassen, daß man in Bälde den Gesamtkomplex des Invalidenrechts in einem einzigen Gesetz mit einheitlichen Berechtigungen und BegüiiSti-gungen zusammenfaßt; das könnte sowohl in der Invalidenbehandlung als auch im Rechtsdenken zu völlig neuen Anschauungen führen.

In einem der größten Kino Wiens wird die Vorführung von Reklamediapositiven durch die Töne von Schuberts „Unvollendeter“ musikalisch untermalt. Der Torso der Wiener Staatsoper ist von'einem Bretter' zäun umgeben, auf dem Plakate kleben, die die Konkurrenz aller Magazine siegreich überstehen. Kleinigkeiten? Sie bilden mit dem, was sonst noch an Geschmacklosigkeiten täglich und stündlich im Radio, allwöchentlich an den Plakatwänden verbrochen wird, ein übles Ensemble. Man gehe mit offenen Augen durch eine größere Geschäftsstraße außerhalb des innersten Bezirkes unserer Stadt und besehe sich die Auslagen — man wird allzu viele finden, deren Darbietungen den Ruf Wiens als einer Stadt des guten Tons und des Geschmacks in den einfachen Dingen des täglichen Lebens nicht zu bestätigen vermögen. Um das Rechte zu treffen, bedarf es keiner kostspieligen Auslagenarrangements. Nebensächlichkeiten? Was sieht der Reisende in einer fremden Stadt als erste, wenn nicht die Auslagen der Kaufläden, die Plakate, an denen täglich Millionen Augenpaare haftenbleiben? Was beeinflußt den Geschmack breitester Massen mehr als sie? Es ist eine Tatsache und eine besorgniserregende dazu, daß das geistige und künstlerische Niveau dieser Alltagskunstäußerungen deutlich absinkt und der groben und oft auch bösartig gemeinten Entgleisungen immer mehr werden. Derlei verdient die Aufmerksamkeit nicht nur der Kritiker, sondern auch der Pädagogen, Volksbildner, aller für das kulturelle Leben unserer Stadt und unseres Landes verantwortlichen Menschen und Einrichtungen. •

In Triest wurde die zweimillionste Tonne ERP-Güter für Österreich entladen, die zugleich die viermillionste Tonne der überhaupt über Triest gelaufenen ERP-Güter war. Man hat das Ereignis gebührend mit einem kleinen Festakt in Triest selbst und auch anderwärt gefeiert. Dabei wurde auf die Steigerung der österreichischen Produktion durch den Marshall-Plan auf 130 Prozent des Standes von 1937, auf die Eigenart der Wirtschaftshilfe des ERP-Plans, auf die Notwendigkeit der wirtschaftlichen Zusammenarbeit des ganzen Kontinents hingewiesen. Selbstverständlich legte man die Betonung auf die aktuelle Wiederaufbauleistung, die fünf Jahre nach dem Ende eines in der Geschichte einmaligen Vernichtungskampfes wahrlich überraschend ist. Aber es ist sicherlich auch gut, die Tatsache zu betonen, daß 50 Prozent der in Triest entladenen ERP-Güter in das binnenländische Österreich gingen, denn in dieser Zahl drückt sich eine geographische Gegebenheit aus, die man bei der Zertrümmerung der Donaumonarchie übersehen hat. Triest ist eben der Hafen Österreichs. Man nahm ihn diesem Lande und zahlt dafür jetzt in nicht endenwollenden Konflikten. Es ist für den Österreicher irgendwie reizvoll zu beobachten, daß diese geographischen Zusammenhänge auch im Rahmen der Marshall-Hilfe des Jahres 1950 mit unverminderter Stärke ihren Ausdruck finden.

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