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Randbemerkungen zur Woche

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Bestimmungen der nazistischen Ehegesetzgebeung aufgehoben - Schmutz und Schund - stellenlose Schauspieler - Kirche in CSR verfolgt - katholische Volkspartei in Frankreich

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Bestimmungen der nazistischen Ehegesetzgebeung aufgehoben - Schmutz und Schund - stellenlose Schauspieler - Kirche in CSR verfolgt - katholische Volkspartei in Frankreich

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In einer Auseinandersetzung über die Pläne des Justizministeriums, betreffend die Änderung des Familienrechtes, äußerte sich Minister Dr. Ts chadek gelegentlich einer Versammlung sozialistischer Frauen auch über die bestehenden Forderungen auf Beseitigung gewisser Bestimmungen der nazistischen Ehegesetzgebung. Nach der Auffassung des Ministers gehe das Verlangen der Katholiken auf die Ersetzung der obligatorischen Zivilehe durch die fakultative; den Brautleuten solle es freistehen, ob sie ihre Ehe vor dem Standesamt oder vor dem Vertreter einer anerkannten Religionsgemeinschaft schließen wollen. Hier liegt ein Mißverständnis vor. Ein grundsätzliches Gravamen der Katholiken von schwerwiegender Bedeutung ist zur Debatte g e stellt. Nicht bestritten ist das Recht des Staates, jede Eheschließung mit einem besonderen, mehr oder weniger feierlichem amtlichem Akt zu registrieren und davon die bürgerlichen Rechtsfolgen abhängig zu machen; der entschlossene Widerstand der katholischen Bevölkerung kehrt sich jedoch dagegen, daß es dem Katholiken verwehrt sein soll, den kirchlichen Akt der Eheschließung zu vollziehen, wenn nicht die standesamtliche Zeremonie vorausgegangen ist. Das Recht, eine kirchliche Ehe einzugehen, in freier Zeitwahl, ist ein Grundrecht der verfassungsmäßigen religiösen Freiheit, unabhängig von Terminen und Rangordnungen. In dem Maiheft des „österreichischen Archivs für Kirchenrecht“ (Verlag Herold) sagt darüber in eingehender wissenschaftlicher Untersuchung Univ.-Prof. Willibald PI ö c h l mit aller wünschenswerten Deutlichkeit:

„Das Problem reicht wesentlich über jenes der öffentlichen Ordnung hinaus. Eine kirchliche Trauung ist für den Katholiken, für den Angehörigen der getrennten Ostkirchen und für viele evangelische Bekenntnisse nicht bloß eine ,religiöse Feierlichkeit', sondern der Empfang eines Sakraments, also eines der fundamentalsten Gnadenmittel der Kirche. Die Behinderung, ja Unmöglichkeit, ein Sakrament zu empfangen, stellt einen der schwersten Eingriffe in

Das Recht der Religionsfreiheit des einzelnen dar. Es hieße mit Blindheit über die Genesis der nationalsozialistischen Ehegesetzgebung hinweggehen, wollte man darüber schweigen, daß es der Wille und Zweck dieses Gesetzgebers war, hier eine religionsfeindliche rechtliche Regelung dem besetzten Lande aufzuzwingen. Dies um so mehr, als das österreichische Recht seit dem Aufkommen einer staatlichen Ehegesetzgebung durch das Josephinische Ehepatent von 1783 bis 1938 der religiösen Eheschließung den Vorzug gab.“

Man kann nicht annehmen, daß es der I Ehrgeiz eines sozialistischen Ministers ist, unter seinen Mitbürgern in ausgeborgter nazistischer Toilette Staat machen zu wollen. Ein verfassungswidriges verletzendes Gesetz zu beseitigen, das er nicht geschaffen hat, müßte ihm nicht schwerfallen.

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Das Gesetz zum Schutze der Jugend vor Schmutz und Schund war noch nicht richtig in Kraft getreten, als sich seine Wirkungen schon zeigten: die Kolporteure ließen die verschiedenen Magazine und aufklärungsbedürftigen Aufklärungsschriften in die hintersten Winkel ihrer Zeitungsstände verschwinden und diese Winkelzeitungen ihrerseits begannen sich plötzlich auf „harmlos“ umzustellen. Der Tag ist abzusehen, an welchem die gedruckte und photographierte Pornographie aus den Straßen Wiens verschwunden sein wird. Freilich die Schmutzpresse ist geschäftstüchtig und auf Auswege aus ihrem Dilemma bedacht; was in Österreich nicht mehr geht, soll jetzt offensichtlich jenseits unserer Staatsgrenzen an den Mann gebracht werden. Seit Monaten schon stellt sie sich auf den Export nach Deutschland um; die zeitweilige Überschwemmung des deutschen Zeitungsmarktes mit in Österreich gedruckter pornographischer „Literatur“ hat in der österreichischen wie der deutschen Öffentlichkeit schon des öfteren unliebsames Aufsehen erregt: in der vergangenen Woche erst wurden in Bayern zwei Zwischenhändler — Herkunft Wien — von der Polizei daran gehindert, unsittliche Schriften und Bilder im Werte von 50.000 DM nach Westdeutschland einzuführen. Ihre Behauptung, daß offizielle österreichische Auslandsvertretungen dies begünstigt hätten, klingt freilich höchst unglaubwürdig — aber dennoch wäre es interessant, zu erfahren, auf welchen Wegen — es müssen das immerhin ziemlich breite und gangbare Wege sein — hunderttausende Exemplare minderwertigster Druckwaren über eine Grenze geschafft werden können, die dem Austausch beispielsweise wissenschaftlicher Literatur weiterhin kaum eine Lücke offen läßt...

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Kürzlich wurde der Öffentlichkeit mitgeteilt, daß 150 stellenlose Schauspieler mit Erfolg auf andere Berufe „umgeschult“ werden konnten; mit unfreiwilligem Spott setzte ein Blatt diese Meldung unter den Titel „Linderung des Schauspielerelends“. Eine Anzahl von Wiener Ärzten steht mit pakistanischen Regierungsstellen in Vertragsverhandlungen, während geschulte Chemiker — selbstverständlich handelt es sich in allen diesen Fällen um gut ausgebildete und höchstqualifizierte Fachkräfte — ihre Hoffnungen auf eine Auswanderung in den malaiischen Archipel setzen. Und vor wenigen Tagen erst erweckte ein Entschluß des schwedischen Reichstages, österreichische Ärzte zur Arbeit in Schweden zuzulassen, vor allem unter den jüngeren österreichischen Ärzten viel Freude. Künstler, die „umgeschult“ werden müssen, Wissenschaftler, deren einzige Hoffnung die Emigration ist, zu der nicht Abenteuerlust, sondern nur die Not zwingt — kleine Beispiele der großen Existenzkrise, in welche die intellektuelle Elite unseres Landes ohne eigenes Verschulden hineingeraten ist! Aufforderungen an einen Staat, der auf seine Sozialeinrichtungen stolz ist, jenen zu helfen, ohne deren Arbeit jeder gesellschaftliche Fortschritt unmöglich wäre: der österreichischen Intelligenz.

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Nachdem in der Tschechoslowakei alle von Drohungen und Verleumdungen begleiteten Versuche einer Trennung von Hirt und Herde, von Klerus und Volk, von niederer und höherer Geistlichkeit fehlgeschlagen sind, trachten die Machthaber, durch Infiltration die kirchliche Hierarchie zu zersetzen. Willfährige Elemente unter dem katholischen Klerus der Tschechoslowakei werden — wie es durcli die Ernennung eines Administrators der Diözese Banska Bystrica geschehen ist und durch die Bestellung eines Generalvikars der Diözese Budweis jetzt wiederholt wurde — durch die kommunistischen Führer der C. S. R. zu hohen kirchlichen Ämtern berufen. Josef Buchta, der neue „Generalvikar“, ist seinen Dank auch nicht schuldig geblieben, sondern hat ihn mit der Erklärung abgestattet, daß „die katholische Kirche in der Tschechoslowakei heute ihre Interessen mit denjenigen des Staates identifiziert.“ Soweit Josef Buchta. Das letzte Wort, auch über den Generalvikar von Prags Gnaden, wird allerdings an anderer Stelle gesprochen werden.

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Die katholische Volkspartei Frankreichs (MRP), die mit Bidault und Schuman heute die führenden Staatsmänner des Landes stellt, hielt in der vergangenen Woche in Nantes ihren Parteikongreß ab — zu dem bezeichnenderweise der englische Labour-Schatzkanzler Sir Cripps ein Begrüßungsschreiben sandte, in dem er Frankreich und England als die „Grundpfeiler der demokratischen und christlichen Struktur des Abendlandes“ bezeichnete. In zwei Entschließungen wurde die Haltung des MRP in der Schulfrage erneut klargestellt und ein Bekenntnis zur parlamentarischen Republik sowie — gegenüber dem Bemühen einzelner, die Partei zum Eintreten für das Majoritätswahlrecht zu veranlassen — zum Proportionalwahlrecht abgelegt. Deutlich kam auf dem Kongreß die Hoffnung zum Ausdruck, daß die Sozialisten bald wieder in die Regierung zurückkehren mögen, da in den Kreisen der christlichen Arbeiterbewegung die ausschließliche Teilung der Regierungsverantwortung mit den Radikalen als Belastung empfunden wird. Aus demselben Grunde trat auf dem Kongreß eine starke Strömung für die Trennung von Partei-und Regierungsfunktionen in Erscheinung. Ministerpräsident Bidault wurde zwar als der einzige zur Zeit dafür in Frage kommende Mann erneut zum Parteivorsitzenden gewählt, doch gab er selbst zu verstehen, daß er diese Funktion bald an Schuman abtreten wolle. — Es sind so im Grunde stets dieselben Probleme mit geringen, durch die verschiedenen Verhältnisse bedingten Abweichungen, vor die sich die christlichen Volksparteien gestellt sehen, die überall in Europa, in Frankreich wie in Deutschland und Italien, die Hauptlast der Regierung tragen.

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