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Randhemerkungen zur woche

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EIN ARGER VERSAGER UNSERES GESETZGEBUNGSAPPARATS wird jetzt durch einen Einspruch des Bundesrates behoben werden, ohne daß etwa ein gegen diesen Einspruch gerichteter Beharrungsbeschluß des Nationalrates zu erwarten wäre. Es handelt sich um nicht mehr und nicht weniger, als daß den Angestellten der unter der Hitlerherrschaft aufgelösten österreichischen Arbeiterkammern die 1945 neuerrichteten Kammern die Befriedigung ihrer Pensionsansprüche verweigerten. Sie taten dies, obwohl sie sich in den Genuß aller Liegenschaften und Barvermögen der alten Kammern gesetzt hatten, verweigerten sie auch dann noch, als alle gerichtlichen Instanzen den Anspruch der Angestellten als zu Recht bestehend anerkannt hatten, und brachten es dann zustande, daß im Wege eines mit Rückwirkung ausgestatteten Gesetzes, des sogenannten „Zweiten Rückstellungsanspruchsgesetzes“, den Angestellten das ihnen von allen österreichischen Rechtsinstanzen zugesprochene Recht aberkannt wurde. Daß diese Rechtsberaubung unbemerkt den Nationalrat passieren konnte und jetzt erst der Bundesrat als Helfer in der Not gegen schwere legislatorische Fehlbestimmungen auftreten muß, ist eine höchst bedauerliche Erscheinung. Auf dem am 8. April abgehaltenen Arbeiterkammertag machte Präsident M antler eine halbe Rückzugsbewegung, indem er anerkannte, daß die den jetzigen Arbeiterkammern durch das genannte Gesetz zugeflossenen Vermögensbestände der früheren Kammern „in erster Linie zur Befriedigung von berechtigten Ansprüchen ehemaliger Dienstnehmer der durch die Nazi aufgelösten Kammern verwendet werden“. Er machte aber sofort in den nächsten Sätzen die wesentliche Einschränkung, „insoweit das rückgestellte Vermögen dazu nicht hinreiche, würden die Vorstände der Kammern bedürftigen ehemaligen Angestellten oder deren Hinterbliebenen, die über kein ander w e iti-g e s Einkommen oder Vermögen verfügen, aus laufenden Mitteln einen entsprechenden Zuschuß zu ihren Sozialrenten gewähren, der den um die Arbeiterbewegung verdienten Mitarbeitern einen angemessenen Lebensunterhalt ermöglicht. Voraussetzungfür die Zu* erkennung solcher dauernder Beihilfen sei, daß die Betreffenden sich neuerlich zum Diensteintritt gemeldet habe n“. Soviel Worte, soviel Vorbehalte gegen die Erfüllung von Rechtsansprüchen, deren Erfüllung nicht von dem arbiträren Ermessen der Kammervorstände zu Geschenkzwecken abhängt. Der Versuch, die Auslegung des Herren Präsidenten Mantler zur Unterlage der Praxis nach dem Fall des verunglückten Gesetzes zu erheben, würde nur zu neuem Rechtsstreit und für die Kammern zu nichts Gutem führen.

UM DIE BESETZUNG DES DEUTSCHEN BOTSCHAFTERPOSTENS BEIM VATIKAN hat sich in Westdeutschland eine Auseinandersetzung entsponnen, die dem Fernerstehenden auf den ersten Blick nicht ganz verständlich ist. Der Hohenzollern-staat Deutschland und die erste deutsche Republik, in denen Preußen den Ausschlag gab, hatten Protestanten mit der Botschaft beim Heiligen Stuhl betraut. Nun, da in dem heutigen bundesstaatlichen Gefüge Bayern als starke Einheit hervortritt, wird von den Katholiken die Besetzung des Postens durch einen Katholiken erwartet mit dem Hinweis, daß der Vertretung Deutschlands beim Vatikan nicht die Geschäfte anderer Legationen obliegen, sondern in erster Linie die Pflege der Interessen, in denen sich Kirche und Staat berühren. Es sei auch nicht zuträglich, daß etwa auch in Zukunft Bayern, wie es in der Vergangenheit einen Katholiken als eigenen Gesandten habe beim Vatikan unterhalten müssen, eine Art Gegensatz in der Vertretung des Deutschen Reiches beim Vatikan zu betonen habe. Nun ist aber diese Auffassung auf Widerspruch gestoßen, und zwar aus dem Lager der liberalen und nationalen Parteigruppen, die im Namen des Protestantismus das Festhalten an dem alten Besetzungsmodus verlangen. Dies ist stellenweise in einer Weise geschehen, daß der korrekt unparteiisch zwischen den Konfessionen geführte „Christliche Nachrichtendienst“ eine Melditng ausgibt, in Köln werde von maßgebenden katholischen Kreisen erklärt, die Katholiken seien nicht nur verwundert, sondern geradezu erschüttert, daß bei der Behandlung dieser rein politischen Frage das konfessionelle Moment in solcher Weise in den Vordergrund getreten sei. Es ist zu wünschen und zu erwarten, daß diese kritische Episode überwunden wird. Eben jetzt veröffentlicht der ausgezeichnete protestantische Publizist Eberhard Stammler, der Leiter der Christlichen Presseakademie in Bad Boll, in einer Stuttgarter Monatsschrift einen ebenso vornehmen wie freimütigen Aufsatz, der in die Hoffnung ausklingt, daß „die sich überlebenden Vorstellungen von protestantischer Politik überwunden werden und eine Tür zu einem neuen Verständnis von der evangelischen Verantwortung gegenüber der Welt sich öffnet!“: Es ist sogar denkbar, „daß bei dieser Entwicklung das brüderliche Gegenüber im • Katholizismus eine wesentliche Hilfe finden würde“.

DIE SOZIALISTISCHE EINIGUNG IN ITALIEN ist auch von nichtsozialistischen verantwortungsvollen Politikern des Landes herbeigewünscht, gefördert und — nachdem sie nun endlich Wirklichkeit geworden ist — auch aufrichtig begrüßt worden. Im Augenblick einer tiefen Krise im linksradikalen Lager, deren Ausmaß die kommenden Gemeindewahlen offenbaren werden, wäre der Bestand einer demokratischen sozialistischen Bewegung an Stelle des bisherigen Chaos einander befehdender- Splittergruppen gewiß für das Land von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Das Unbehagen bei Kommunisten und Linkssozialisten ist groß, es grassiert nicht nur seit längerer Zeit unter den Intellektuellen, sondern hat auch schon auf die aktivsten Elemente in der Arbeiterschaft übergegriffen. Die blinde unbedingte Ergebenheit gegenüber dem ausländischen Diktat widerspricht auf die Dauer doch allzusehr dem Nationalcharakter, die Auswirkungen der Marshall-Hilfe sind allzu offenkundig, und in Italien kann es sich eine Partei noch weniger als anders* wo leisten, jahrelang „Gewehr bei Fuß“ zu stehen. Alle diese Faktoren könnten dazu beitragen, daß sich wesentliche1 Teile des dem Sozialismus traditionsgemäß verschworenen Industrie- und Landproletariats von Togliatti und Nenni abwenden und ins Lager des demokratischen Sozialismus hinüberwechseln könnten — falls eine zielbewußte und gut geführte sozialistische Partei vorhanden wäre. Gerade das bleibt aber nach dem Verlauf der Einigungsverhandlungen und der Debatten auf dem Kongreß der Saragdt-Partei leider zu-: mindest fraglich. Schon die geringe Mehrheit (54 gegen 46 Prozent der abgegebenen , Delegiertenstimmen) für den Austritt aus ( der Regierung beweist dies. Mit Recht haben die Angehörigen der sogenannten, „Rechten“ in der Saragat-Partei unter der Führung des bisherigen Ministers Simonini' darauf hingewiesen, daß man mit dem, Austritt aus der Regierung eigentlich die gesamte, seit fünf Jahren verfolgte Politik der Zusammenarbeit mit den Christlichen Demokraten desavouiere und daß es schwer fallen würde, der Wählerschaft diese Widersprüche klarzumachen. Austritt aus der Regierung und „loyale Opposition“ dürfen, wenn die Einigung überhaupt einen Sinn haben soll, nur ein taktisches Zwischenspiel bleiben. Der geschichtlichen Entwicklung, welche den demokratischen Sozialismus und darüber hinaus die Industriearbeiterschaft und die breiten Massen überall in Europa zum Mittragen der politischen Verantwortung beruft, werden sich auch die italienischen Sozialisten auf die Dauer nicht ohne Schaden entziehen können.

DIE KRITIK GEGEN DIE POLITISCHE ALLMACHT MAC ARTHURS verstärkt und verallgemeinert sich. In beiden Weltkriegen hat es kein Beispiel für die Vereinigung von so viel uneingeschränkter militärischer und. politischer Allmacht in der obersten Kommandoführung gegeben, wie sie in der Person Mac Arthurs sich ausdrückt. Kein Beispiel — es wäre denn die Rolle General Ludendorffs, der, unzugänglich allen Vorschlägen der obersten staatlichen Amtsträger, selbst gegenüber den Beschwörungen des verbündeten Herrschers, so lange Krieg führte um jeden Preis, bis er knapp vor dem schon unvermeidbaren Zusammenbruch der Mittelmächte nach Friedensverhandlungen rief. Die Drohungen Mac Arthurs, die chinesische Küste und die Mandschurei angreifen zu wollen, und sein Vorschlag, die auf Formosa noch unter Verschluß gehaltenen Truppen Tschiangkaischeks — eine Kraft von recht zweifelhaftem Wert — zum Einbruch in China loszulassen, haben nicht nur den Verhandlungsweg gegenüber China verlegt, sondern auch das Verhältnis unter den in Korea beteiligten Alliierten der UN einer überflüssigen Belastungsprobe ausgesetzte Abermals dehnen sich die Operationen ins nordkoreanische Gebiet hinein, ohne daß ein konkretes Kriegs ziel zu erkennen wäre. Auf die Erschöpfung- des Gegners, der ein gewaltiges Menschen* reservoir beherrscht, es mit der ganzen Schonungslosigkeit kommunistischer Systeme sich dienstbar gemacht hat und mindestens eine unberechenbare starke Rückendeckung besitzt, auf die Erschöpfung eines solchen Gegners zu rechnen, heißt schwerste blutige Opfer ohne Absehen bringen wollen, immer umgeben von noch größeren Gefahren. Bisher hat der britische Einspruch das Schlimmste verhütet, ohne aber eine strategische Zielstellung zu erreichen.

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