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Randhemerkungen zur woche

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DIE SECHS JAHRE SEIT DEM APRIL 1945 sind für die Menschen dieses Landes eine lange Zeit des Wartens auf eine feierlich deklarierte Freiheit gewesen, die nicht kommen will. Es bestand also wenig Grund, den April 1951 mit lautem Befreiungsjubel und in Feststimmung zu begehen. Aber ganz so sang- und klanglos hätte der Jahrestag jener für Österreich so entscheidenden Ereignisse wieder auch nicht vorübergehen brauchen. Es wäre vor allem die richtige Zeit gewesen, sich der kleinen Scharzu eHnnern, deren persönlicher Einsatz der österreichischen Hauptstadt das Schicksal von Budapest und Breslau erspart hat; in letzter Stunde noch sind dafür ihre Besten in den Tod gegangen: Major Karl Biedermann, Hauptmann Alfred Huth und Oberleutnant Rudolf Raschke; drei Österreicher in der deutschen Wehrmacht und maßgebliche Männer der Widerstandsbewegung. Im Angesicht der brennenden Stadt wurden sie Opfer des Henkers. Mit Beschämung sei festgestellt: Nicht einmal eine Straße erinnert in der von ihnen geretteten Stadt an diese Männer. Das Andenken dieser drei Toten und ihrer Kameraden hochzuhalten, ist eine Ehrenpflicht, welche die Gemeinschaft noch zu erfüllen hat.

63.456 EHESCHLIESSUNGEN VERZEICHNETE IM VORJAHR ÖSTERREICH, im monatlichen Durchschnitt also rund 5300; für Februar 1950 vermerkte die Statistik sogar 5903. Die eben erschienene Nummer 3 der „Statistischen Nachrichten“ zeigt für den letzten Monat Februar einen Sturz auf die Ziffer von 3845 an, einen Tiefenrekord von erschreckender Deutlichkeit. Es nützt nichts, die Augen vor diesen Tatsachen zu verschließen, die ans Leben greifen. Dieser Tage begehrte die Katholische Jugend Österreichs im Namen einer familienfreundlichen und familienbejahenden Politik die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für ein Forderüngsprogramm, das mit einem Satz zu den Ziffer des Statistikers die erschütternde Deutung gibt. Ja, junge Menschen sind es, die in dieser Kundgebung es aussprechen:

Wir fühlen uns verpflichtet, angesichts der Erfahrungen, die die Katholische Jugend Österreichs mit ihrem Jahresthema über Ehe und Familie gemacht hat, die gesamte Öffentlichkeit nachdrücklichst darauf hinzuweisen, daß der Druck der wirtschaftlichen Verhältnisse selbst bei der charakterlich hochwertigen und beruf lieh tüchtigen Jugend den Willen zur Ehe vielfach nicht nur hemmt, sondern mehr und mehr eine Ehescheu, toenn nicht sogar ehef eindliche Einstellung auslöst. / Das ist kein in jähem Überschwang hingeworfenes Wort, sondern ein Notschrei, ausgepreßt unter dem Druck erschütternder, von berufenen Beratern kontrollierter Erfahrungen; diese Jugend bekennt sich zu der an sie selbst gestellten Forderung, „daß der Berufung zur Ehe eine verantwortungsbewußt gelebte Jugendzeit in einer reinen und gesunden Reife zu Mann und Frau vorangeht, daß wir neben einer ernsten Berufsausbildung auch für eine planvolle Vorbereitung auf die Familiengründung und für die Aufgaben als Vater und Mutter Sorge tragen“, diese Jugend fordert aber auch von sich „den Mut zu einer einfachen Lebenshaltung“. Fami-lienpolitik will diese Jugend verwirklicht sehen in einer familienfreundltchen Lohn-und Steuerpolitik, Familienausgleichskassen, familiengemäßem Wohnbau, Bereitstellung von Boden für Siedlerzwecke durch die Gebietskörperschaften und gemäß dem Beschlüsse der Bischofskonferenz auch kirchliche Grundstücke, Heiratshilfen, aber auch Kampf gegen die Bodenspekulation und alle familienzersetzenden Kräfte. Was hier von Jugend gefordert wird, sollte längst die Sorge des reifen Alters, aller an Staat und Gemeinschaft Verantwortlichen sein. Aber Gott sei Dank — man spürt frische Luft...

„DIE DRITTE KRAFT“ betitelt sich eine scharfsichtige Untersuchung von Serge Maiwald, die von der Aprilfolge der „Schweizer M onatshefte“ veröffentlicht wird. Der Autor setzt an die Spitze seiner Untersuchung die Feststellung, „Europa und Deutschland als seine Mitte werden immer stärker von der Dynamik der beiden (der westlichen und östlichen) Leistungssysteme erfaßt, aufgesogen und von ihnen umgeprägt. Die geistig und politisch zersplitterte europäische Mitte gerät immer mehr in den unausweichlichen Sog des peripheren Prozesses.“ Die Hoffnung auf eine dritte politische Kraft, eine wirklich funktionelle autarke Macht zwischen dem atlantischen Leistungskoloß, hält derAutor für immer dahin. Er datiert unrichtig, wenn er den Beginn dieses folgenschweren Prozesses, die Ausschaltung einer dritten politischen Kraft, erst von 1945 an gegeben sieht — er begann mit der Zerstörung der Donaumonarchie, deren Führung noch kurz vor dem ersten Weltkrieg in

heißem Bemühen — allerdings vergeblich — einem Dreikaiserbündnis zustrebte, das die Gegensätze zwischen Ost und West überbrücken sollte — das Donaureich in der Mitte als die dritte vermittelnde Kraft. Der Schweizer Autor sieht als die vermittelnde Macht zwischen den heutigen Kolossen des Westens und Ostens in ihrer reinen Dies* seitigkeit und bloßen kollektiven Daseinsfürsorge nicht die Mächte, von denen Aus* gleich und Hilfe kommen kann, sondern als wirkliche geistige dritte Kraft „heute nur noch das Christentum in seiner Gesamtheit, im Sinne einer lebendigen Glaubenswirklichkeit im Zeitlichen“.

DR. ADENAUERS BESUCH IN PARIS ist der erste, den seit 20 Jahren ein*-deutscher Kanzler der französischen Hauptstadt abstattet und es ist auch zugleich die erste offizielle Auslandsvisite, die der Chef der westdeutschen Bundesregierung seit seinem Amtsantritt unternimmt. Diese beiden Tatsachen unterstreichen die Bedeutung des politischen Ereignisses, das sich hier mit den Schlußverhandlungen über den Schuman-Plan verknüpft. Von dem Einvernehmen der beiden großen benachbarten Kontinentalstaaten hängt das Gleichgewicht, die ungestörte Entwicklung Westeuropas ab. Beide haben aus dem jahrhundertelangen Hader die Erfahrung gezogen und bekennen sich zu ihr: daß sie nur mit-, nicht; gegeneinander den Weg finden und beschreiten können, der sie aus den Nöten der Nachkriegszeit herausführt. Stresemann und Briand haben hie-für, wenn auch ihr Werk durch die zweite Weltkatastrophe jäh unterbrochen wurde, Fundamente gelegt, auf denen die Staats-' männer der 'Gegenwart weiterbauen können. Sind gewisse Grundfragen wie die wirtschaftliche Organisation Westeuropas im Sinne des Schuman-Plans und der neuralgische Punkt des Saarproblems im Einvernehmen geregelt dann mögen einer engen politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit Frankreichs und Deutschlands im weiteren Ablauf weniger Hindernisse entgegenstehen als jener zwischen jedem dieser beiden Staaten und anderen europäischen Mächten. Von den Ergebnissen dieses Staatsbesuches dürfen deshalb weitreichende Auswirkungen für alle Partner der europäischen Schicksalsgemeinschaft erhofft werden.

Irin B • • Ii '•■ *-

AM TAGE NACHHER brachte eine Kleina Notiz im Blatt jener Macht, die sein schärfster Feind ist, die große Nachricht... War sie-nun zufrieden mit der Abberufung MacAr-thurs? Die verlegene kleine Notiz wies eher auf das Gegenteil hin. In den Staaten rühmen seine Gegner seine hohe militärische Begabung, Freunde verehren ihn als den bedeutendsten lebenden Amerikaner, zumindest als den „wichtigsten“, wie sie sagen: Er allein sei imstande, die Staaten, ja die Welt, von der furchtbaren Drohung des aggressiven Weltkommunismus zu befreien. In Zeitungen, Konferenzen, Funksendungen und Reden hämmern sie dies der Öffentlichkeit ein. Das aber ist der entscheidende Punkt der Krisis, der Unterscheidung der Geister — und der Demokratie. Die Demokratie glaubt nicht an die allmächtigen Generale. Sie hat dies oft und oft unter1 Beweis gestellt, die Zurechtweisung Fochs durch Clemenceau war nur ein Musterbeispiel für diese grundsätzliche Haltung. Und die Demokratie glaubt nicht an politische „Erlöser“, nicht an die Erlöserbegabung ihrer eigenen politischen Führer — nicht nur Truman, sondern auch der lange glorifizierte Präsident Roosevelt wird heute in den USA schärfster Kritik unterzogen. In einem von tiefem Instinkt der Selbsterhaltung getragenen Mißtrauen wittert die Demokratie in der Totalformel die sie erdrosselnde Schlinge des Totali-tarismus selbst. Ihr ganzes Wesen und ihr Lebensrecht besteht in sorgfältigem Binden, Knüpfen und Lösen dichtverknoteter Probleme. Wozu sind ihre teuren, zeitraubenden und' umständlichen Einrichtungen nötig, wenn die großen entscheidungsschweren Dinge so einfach sind — und von Kraftnaturen allein gemeistert werden dürfen? Der Rationalismus der Demokratie, der an sich nicht ungern mit ihrem eigenen Mythos kokettiert, erhebt sich hier, wahrhaftig eine levie en masse. Die Soldaten MacArthurs besangen ihren geliebten Mike mit einem Lied, das beginnt: „Move over God, ifs Mike“ — „Mach Platz, lieber Gott, jetzt ist Mike da.“ Durch die Abberufung dieses Kriegsgottes kommentiert die Demokratie in ihrer nüchternen Sprache diesen Hymnus: Bs braucht gar. nicht Gott der Herr zu sein, es genügt ein von großen Sorgen und höchster Verant* wortung eingeforderter Mensch, um den Heros außer Dienst zu stellen.

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