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Randhemerkungen zur woche

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DER ERWARTETE PREISSTURZ auf den internationalen Rohstoffmärkten hat, ausgehend von den USA, bereits begonnen. Er hat verschiedene Ursachen. Vor allem setzte die amerikanische Regierung einer weiteren Entwicklung zu reinen Liebhoberund Phantasiepreisen im Zeichen der Rüstungskonjunktur dadurch ein Ende, daß sie die strategischen Ankäufe zum Teil selbst übernahm und dabei kurzerhand niedrigere Preise diktierte. Die Aussichtslosigkeit weiterer Spekulationen führte sofort zu Kursrückgängen an den Warenbörsen. Die Banken gingen in der Folge zu Einschränkungen der ins Uferlose ausartenden Kreditbewilli-gungen über, so daß nicht mehr genügend flüssiges Geld zu Ankäufen vorhanden ist, was ebenfalls preisdrückend wirkt. Dieser Erfolg beweist, wie richtig die staatlichen und finanzpolitischen Eingriffe in die hemmungslos ausgeartete Preisbildung waren. Sie zeigen auch, daß die österreichischen Wirtschaftslenkungsgesetze auf der richtigen Bahn lagen. Der Staat als die Verkörperung der Gesamtheit kann es nicht einzelnen Wirtschaftskreisen tiberlassen, aus politischen Notlagen einseitig Nutzen zu ziehen. In Amerika ist man deshalb auch allen Lohnsteigerungen entgegengetreten, weil sie dieselben inflatorischen und damit letzten Endes verarmenden Wirkungen haben. Die vor einigen Wochen bei den sogenannten strategischen Metallen begonnene Preisentwicklung naeh unten hat auch auf Versorgungsartikel übergegriffen. Die internationalen Saatenstandsmeldungen lassen eine Rekordernte an Getreide und eine Riesenernte an Baumwolle erwarten, in diesem Fall auch deswegen, weil die Anbaufläche für Baumwolle aus spekulativen Gründen voriges Jahr gewaltig vergrößert wurde. Das Ergebnis ist auch hier ein stetiges und immer schnelleres Abbröckeln der Preise. Man vermutet, daß sich dies bis zum Sommer noch beschleunigen dürfte, wenn die Ernten eingebracht und die diversen strategischen Lager gefüllt sind. Ein vorsichtiges Kalkulieren auf wirtschaftlicher und gewerkschaftlicher Seite hierzulande sch.eint deshalb geboten, denn auch unsere eigenen Exportpreise werden sich dann nicht mehr halten lassen. Ein Absinken der Exportmenge und -preise bedeutet aber für den nächsten Winter die Gefahr einer größeren Arbeitslosigkeit, die nur dadurch abgefangen werden kann, daß die Wirtschaft aus ihren heutigen Erlösen entsprechende Reserven für produktions-steigernde Rationalisierungsmaßnahmen bereitstellt und die vermehrten Steuereingänge des Staates nicht von unproduktiven Leistungen aufgesogen, sondern für Investitionsprogramme verwendet werden.

DIE FREMDE IST DOCH EINE GUTE LEHRMEISTERIN. Vor wenigen Wochen erst reichten sich im „Sudetendeutsch-tschechischen Föderativausschuß“ in London führende Männer der sudetendeutschen und tschechischen Emigration über alle Fehler und Schuld der Vergangenheit hinweg die Hände. Fern der Heimat wurde so der einmal beinahe sagenhafte deutsch-böhmische Ausgleich, unerreichtes Ziel vieler Staatsmänner des alten Österreich, wenigstens in nuce Wirklichkeit. Der Völkerstaat im Donauraum erfuhr — wie schon so oft — abermals eine späte Rechtfertigung. Zu diesem posthumen Triumph gesellt sich nun ein zweiter. Aus den Vereinigten Staaten kommt die Nachricht von der Konstituierung eines „Mittel- und osteuropäischen Komitees“. Exilpolitiker der Länder hinter dem Eisernen Vorhang haben sich unter Absage an den Zank und Hader zwischen ihren Nationen in vergangenen Jahrzehnten eine gemeinsame Plattform geschaffen. Die Männer des Sudetendeutsch-tschechischen Föderativausschusses und des Mittel- und osteuropäischen Komitees verbindet ihre gemeinsame Vorstellung von der Zukunft. In London wie in Washington fiel dasselbe Stichwort: Donauföderation!

BEVIN UND BEVAN, beide au der Gewerkschaftsbewegung hervorgegangen, haben einander im Kabinett AUlee gleichsam die Waage gehalten. Der tatkräftige Bevin, langjähriger Generalsekretär der „Transport and General Workers“, war aus dem Sturm und Drang seiner frühen Jahre zu einem oft eigenwilligen, aber stets verantwortungsbewußten Staatsmann herangewachsen. Ob sein Augenmaß in den Angelegenheiten des außenpolitischen Ressort, das er leitete, stets das richtige war, ist umstritten. Seine persönliche Lauterkeit und ein gewisser lebensnaher Idealismus haben ihn aber zu einer der festesten Stützen jener besonnenen und der Realität aufgeschlossenen Gruppe gemacht, die sich um das Dreigestirn Attlee, Morrison und Bevin sammelte. Die Londoner katholische Wochenschrift „Tablet“ nennt deshalb Bevin einen Wellenbrecher gegen noch viel grundlegendere Irrtümer“. Der arbeits-und verantwortungsfreudige Mann ist in den Sielen gestorben. Er hat seinen durch Überarbeitung erzwungenen Rücktritt nur um wenige Wochen überlebt. Damit senkte sich die Waagschale zugunsten der Extremisten, unter denen der Walliser Bergarbeiterführer Aneurin Bevan, der Schöpfer des unentgeltlichen, allgemeinen Gesundheitsdienstes, die führende Rolle spielt. Der Konflikt um das neue Budget, das seinen extrem laböuristischen Gedankengängen nicht orthodox genug erschien, hat die Spannung im Kabinett zur Spaltung gemacht. Bevan hat die von den Zeitumständen erzwungene Verwässerung seines kostspieligen Experiments nicht verwunden und ist aus der Regierung ausgetreten. Einer nur um wenige Stimmen zahlenmäßig unterlegenen parlamentarischen Opposition gegenübergestellt, wird der selbst erkrankte Attlee bei einem offenen Konflikt in den eigenen Reihen sein Kabinett schwer vor weiteren Erschütterungen bewahren können. Jede Abstimmung, schon bisher ein mathematisches Exempel, kann es zu Fall bringen. Neuwahlen beginnen sich abzuzeichnen. Der britische Sozialismus scheint sich in der Regierung verbraucht zu haben. Trotz reichlicher Marshall-Hilfe hat er sein Programm der Hebung des allgemeinen Lebensstandards mit doktrinären Mitteln in der rauhen Atmosphäre der Weltpolitik nicht verwirklichen können. Der Elan ist geschwunden, die Tatsachen melden sich zum Wort.

EINE UNTERSUCHUNG ÜBER. DIE SOWJETMACHT veröffentlicht die angesehene britische Wirtschaftszeitschrift „Economist“, eine Auseinandersetzung, welche Vorstellungen politischer Schwarzseher auf das richtige Ausmaß reduziert. Das Blatt betrachtet die Grundlagen der sowjetischen Wirtschaft unter besonderer Berücksichtigung der Frage der Rüstung. Obwohl das vorhandene Zahlenmaterial unzureichend ist, so ließe sich doch aus den veröffentlichten Statistiken einiges ziemlich eindeutig herauslesen. Vor allem könne man mit Wahrscheinlichkeit annehmen, daß die sowjetische Wirtschaft noch nicht auf Kriegsfuß gestellt worden ist, wenn auch das Tempo im Bedarfsfall revidiert werden könnte. Bisher sei das Schwergewicht offenbar auf Wiederaufbau und nicht so sehr auf Wiederaufrüstung gelegen. Ferner sei „Verteidigung“ seit Kriegsende eines der Hauptziele der Sowjetplanung geblieben. Während die anderen Länder ihre militärischen Ausgaben drastisch gekürzt haben, hat der Kreml seinen Aufwand für Waffen nur um 20 Prozent reduziert. So lasse sich denn die Politik der letzten fünf Jahre dahingehend zusammenfassen, daß sie auf Wiederaufbau bei gleichzeitiger praktischer Vorbereitung für eine Kriegswirtschaft gerichtet'war. Dabei habe die Schwerindustrie die größten Fortschritte erzielt und habe für den Fünf jahresplan als Ganzes einen Erfolg gebracht. Der Werkzeugmaschinenbau sei seit 1945 verdreifacht worden, der von elektrischen Motoren sei fünf- bis sechsmal höher, der von Autos viermal und der von Traktoren vierzehnmal größer. Außer im Fall der Traktoren bedeute dies eine Überschreitung des Plansolls — die Traktorenproduktion hingegen sei heute noch geringer als 1939. Auch auf dem Gebiet der Produktion von wichtigen Grund' Stoffen seien sehr bedeutende Erfolge erzielt worden. Bei diesen Ziffern dürfe man keine Vergleiche mit den westlichen Ländern ziehen, denn erstens werde sehr wenig für den Fünf jahresplan im ganzen hergestellt, zweitens sei der Verbrauch von Stahl und ähnlichen Stoffen durch die russische Armee unvergleichlich geringer als bei den westlichen Armeen. Wenn die Planung der Industrie im großen und ganzen erfolgreich gewesen ist, so sei diejenige der Landwirtschaft ein Fehlschlag gewesen. Das eigentliche Problem bestehe darin, daß der anbaufähige Boden in der Sowjetunion begrenzt ist. Der Rekord des Jahres 1913 sei gegenwärtig nahezu erreicht, aber auch das bedeute nur, daß weniger als ein Drittel der Gesamtfläche zum Getreidebau ohne kostspieligen Aufwand verwendet werden kann. Das Ergebnis sei, daß eine enorm angewachsene Bevölkerung von weniger Getreide lebe als zu Beginn des Jahrhunderts. Zwar deute nichts darauf hin, daß es an Brot mangle, aber die Notwendigkeit, strategische GetreiHereser-ven anzulegen und politische Getreideexporte durchzuführen, bildeten eine ständige Qualle der Sorge für die Sowjetregierung.

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