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Randhemerkungen zur woche

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DER MAIBAUM IST IM VORDRINGEN. Der traditionelle Maiaufmarsch der Wiener Sozialisten — noch vor wenigen Jahrzehnten die Demonstration eines verbissenen Klassenkampfgeistes und Machtwillens — zeigte in diesem Jahr ein Gesicht, über das sich auch der nichtsozialistische Zuschauer freuen konnte. Symbol für die Wandlung vom militanten Aufmarsch zum Frühlingsund Volksfest waren die vielen Maibäume mit ihren roten und Weißen Bändern, die überall im Zuge mitgetragen wurden. Wie in der Propaganda für den sozialistischen Präsidentschaftskandidaten in den vergangenen Wochen kam so auch bei der Maifeier jene Wandlung in der Einstellung der Sozialisten zur Heimat, ihrem Brauchtum und ihrer großen geschichtlichen Tradition zum Ausdruck, die sich fast unmerklich vor allem während des Hitler-Regimes und des zweiten Weltkriegs vollzogen hat. Die Hebung des Lebensstandards der Arbeiterschaft im Laufe unseres Jahrhunderts mag ebenso zu dieser Wandlung beigetragen haben wie das Erlebnis der mit den anderen Bevölkerungsschichten gemeinsam getragenen Not der Kriegs- und Nachkriegszeit, während die nun schon sechs Jahre lang getragene Mitverantwortung am Staat das Vaterlands- und Staatsbewußtsein ebenso kräftigt wie andererseits die Abwehr ausländischer Übergiffe und die Fortdauer der fremden Besatzung die Österreicher aller Schichten und Klassen in der Sehnsuclit, endlich „Herr im eigenen Hause“ zu sein, immer mehr zusammenführt. Wenn dann das Zentralorgan der Sozialistischen Partei bei dem Bericht über den Maiaujmarsch auch noch hervorhebt, die Zusammensetzung des Zuges habe bewiesen, „wie sehr die Sozialistische Partei auch zur Partei der kleinen Geschäftsleute geworden ist“, so wird man eine solche Behauptung — ohne sie auf ihren objektiven Wahrheitsgehalt zu prüfen — doch auch als ein Symptom für eine geänderte Mentalität bewerten dürfen. Abbau des Klassenkampf gedankens und Hineinwachsen in die größere Gemeinschaft des Volkes und des Staates, der Heimat und des Vaterlandes — das scheint die unauffällige, aber unaufhaltsame Entwicklung zu sein, deren Symbol der bändergeschmückte Maibaum ist.

DER RITTERLICHE GEGNER AUS DEM ERSTEN WELTKRIEG, WINSTON CHURCHILL, hat anläßlich der am 10. Mai in Nancy stattfindenden Vermählung des Kaisersohnes Otto von Österreich mit Prinzessin Regina von Sachsen-Meiningen dem Bräutigam eine mit handschrift-i licher Zueignung versehene zweibändige Praclitausgabe seines Werkes gewidmet, das er über seinen großen Vorfahren, den Herzog, John Churchill Marlborough, den Mitstreiter Prinz Eugens, verfaßt hat. Nicht immer hat der „grand old statesman“ über Österreich und seine und seiner früheren Dynastie Mission so abgeklärt gedacht. Das Chaos, das die Zerstückelung des alten Reiches nach sich zog, hat vor ihm — und nicht nur vor ihm — die Schleier zerrissen. Nancy rüstet sich anläßlich der Trauungsfeierlichkeiten in der einstigen Residenz lothringischer Vorfahren des Bräutigams zu einem Festtag; die kirchliche Trauung wird in dem Franziskanerkirchlein der Altstadt stattfinden, dessen Kapellenanbau in seiner Krypta die Ruhestätte von vielen lothringischen Fürsten bildet; der Zivilakt erfolgt in dem historischen großen Saal des Rathauses durch den Bürgermeister der Stadt; in dem anstoßenden „Salon de l'Impäratrice“ soll dann die Unterzeichnung der zivilen Trauungsregister durch das junge Paar, die beiden Mütter und die Zeugen vollzogen werden. Das republikanische Frankreich tut dem Anlaß alle Ehre an. Nancy erwartet zu den Trauungsfeierlichkeiten zahlreiche Österreicher, die aus Wien, Salzburg und anderwärts angesagt sind, soviel zu vernehmen ist, Leute verschiedener Stände und politischer Anschauungen. Zur Demonstration republikanischer Minderwertigkeitskomplexe ist kein Anlaß. So wenig wie in Frankreich auch hierzulande.

KNAPP VOR ENDE DER WAHLBEWEGUNG für die Präsidentenwahl hörte Innsbruck die Redner verschiedener Kandidaten in einer gemeinsamen Versammlung, der der Bürgermeister von Innsbruck vorsaß; sie lobten ihren Mann und — gaben dann Raum für den Wortführer des nächsten Kandidaten. Alles ging ohne Harm und Hitze. Die Zuhörer wogen ab, die Argumente und die Persönlichkeit der Redner entschieden. Nur der Sprecher der extremen Linken fehlte; vielleicht verzagt darüber, daß sein Kandidat die Rolle nicht verstanden hatte, die ihm seine Partei zugewiesen, als sie ihn freundlich lächelnd und rot-weiß-rot umrahmt der Öffentlichkeit auf Plakaten vorstellte ... Der Anreger der vorbildlichen Innsbrucker Wahlversammlung war das „Komitee für die Volkswahl“, dem Männer des Tiroler kulturellen und geistigen Lebens, wie die Universitätsprofessoren Dr. Reut-Nicolussi, Dr. Ebers, Dr. Conda-nari, Generalmajor a. D. Kirsch, Oberlandesgerichtsrat Dr. Skorpil und Rechtsanwalt Dr. Wolfhartstätter, angehören. Mit der Präsidentenwahl wollen sie ihre Aufgabe nicht für beendet ansehen. Ihre überparteiliche Wahlversammlung, die erste ihrer Art in der Geschichte des österreichischen Verfassungslebens, sei von dem Zeitbeobachter gebührend vermerkt.

DIE ITALIENISCHEN GEMEINDEWAHLEN, für die im Mai zunächst im Norden, dann im Süden des Landes die Wahlkampagne beginnt, werden gewiß nicht jene weltpolitische Bedeutung haben als die Parlamentswahlen am U. April 1948, bei denen es um die Zugehörigkeit Italiens — und damit wohl des ganzen Mittelmeeres und vielleicht sogar Westeuropas — zur ' Welt des Ostens oder des Abendlandes ging. Heute steht Italiens Zugehörigkeit zum Atlantikpakt und zur Gemeinschaft der Marshall-Plan-Länder, des Europarates, des Schuman-Plans und der übrigen europä- ischen und westlichen Einigungsbestrebungen und Organisationen außer Frage. Immer aber sind noch die großen Städte des Nordens, sind Florenz, Venedig, Bologna und andere in der Hand linksradikaler Stadtverwaltungen. Diesen fammunistisch-links-sozialistischen Hochburgen gilt der Generalangriff, der im Zeichen der — für Italien neuen — Listenkopplung steht. Der kluge Taktiker Degasperi hat es vor allem für die Großstädte des Nordens erreicht, daß alle demokratischen Parteien — von den weit rechts stehenden, schon vor einem Jahr aus der Regierungsbeteiligung zur Opposition übergegangenen Liberalen bis zu den ebenfalls nicht der Regierung angehörenden Einheitssozialisten und den mit ihnen jetzt verbündeten Saragatianern — sich in Listenkopplung gegen die totalitären Kommunisten und Nenni-Sozialisten verbunden haben. Im Süden wieder werden die Christlichen Demokraten teüvjcise im Wahlbund mit den Monarchisten und unabhängigen lokalen und regionalen Gruppen auftreten. Trotz dieser von Stadt zu Stadt und von Provinz zu Provinz variierenden Bedingungen aber werden die Gemeindewahlen zum erstenmal seit drei Jahren wieder einen Überblick über die politischen Kräfte des Landes erlauben.

NUN ERGREIFT DIE PROPAGANDA FÜR DIE GEBURTENBESCHRÄNKUNG, die verbohrte Gelehrte und gewissenlose Händler aus den Vereinigten Staaten in Japan gestartet haben, auch das britische Reich. Die für Bevölkerungsfragen eingesetzte königlich britische Kommission ist kürzlich nach langen Beratungen bei einem Expose gelandet, das nach den Ergebnissen bisheriger extremer sozialpolitischer Maßnahmen der Labourregierung den eingetretenen sozialen Notständen durch einen Bevölkerungsabbau, eine künstliche Beschränkung der Familien, begegnen will. Von allen bisherigen bedenklichen Maßnahmen wäre dieses Experiment wohl das folgenschwerste. Dazu soll der nationale „Gesundheitsdienst“ herhalten. Der Vorschlag der Kommission will den Bevölkerungszuwachs bei sechs Prozent künstlich stabilisieren. Gegen den Planentwurf der Kommission haben jetzt die katholischen Bischöfe Einspruch erhoben. Der Vorschlag der Geburtenbeschränkung durch die Anempfehlung und Verbreitung anti-konzeptiver Mittel von Seiten der staatlichen Sozialinstitutionen beruhe auf falschen und heidnischen Prinzipien und die Kommission glaube „annehmen zu dürfen, daß die Anwendung dieser Mittel das Anwachsen der kleinen Familien nicht hindern wird. Sie vergißt aber, daß, wenn das Verhütungsmittel zu einer vom Staat sanktionierten Methode wird, die kleine Familie noch kleiner wird“. Unsittlich sei der Versuch, durch den Staat die Größe der Familie normieren und die Fruchtbarkeit der großen Familien einschränken zu wollen. Dia Katholiken werden aufgefordert, der Verwirklichung des Planes den entschlossensten Widerstand entgegenzusetzen.

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