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Randhemerkungen zur woche

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MIT JEDEM LOHN- UND PREISABKOMMEN hat sich bisher die Spirale, die berüchtigte und gefürchtete Inflations-splrale, ein Stück weitergedreht. Man hat damit wenig Freude gehabt, denn hinterher fühlten sich alle Beteiligten benachteiligt. Dann kamen — etwa um die Jahreswende — die ersten massiven Auswirkungen des Koreakrieges für den mitteleuropäischen Verbraucher. Die Wellen des Koreakrieges schlugen auch in unsere Schaufenster, und die vielzitierten Weltmarktpreise hinterließen ihre Spuren. Der Ruf nach den Weltmarktlöhnen ist nicht ausgeblieben, und tatsächlich begannen allmählich auch die Löhne zu steigen — in gemessenem Respektsabstand hinter den Preisen. Der Produzent aber rechnet die Gestehungskosten nach Materialpreis und Brutto löhnen, wie er sie bezahlen muß. Der Arbeiter hingegen erhält den um Steuer und Sozialabgaben verminderten Netto lohn, und so wird bei jeder Drehung der Spirale die Kluft nur größer, die Kaufkraft geringer. Wirtschaftsfachleute haben immer schon eindringlich darauf hingewiesen, daß die Lösung nur in der Steigerung der Produktivität liegen kann, aber wann erkennt man schon das Wort von Faehleuten an, wenn es um politische Schlagworte, um rein optische Augenblickserfolge geht?! Statt dessen läßt man sich von der Spirale höher und höher drehen; dabei sind aber die Verantwortlichen alle schon in den frühen zwanziger Jahren erwachsen gewesen und müßten genau wissen, wie die Kroneninflation war und tcohin die Spirale schließlich führt. Sie müßten wissen, daß es letzten Endes dabei überhaupt keine Gewinner gibt — außer einige wenige große Schieber. Österreich kann sich nicht gegen eine Tendenz des Weltmarktes stemmen, das versteht sich von selbst. Aber es hat die Pflicht, der Inflation nicht in die Hände zu arbeiten. Und die Schockwirkung der koreanischen Kriegshysterie kann nur durch gesteigerte Arbeitsleistung abgemildert werden. Und wenn das nicht gelingt, dann ist eine — sagen wir — 20prozentlge Preiserhöhung ohne höhere Löhne immer noch besser als eine lOpro-zentige, Lohn„kompensation“, die dann zu einer 40prozentlgen Preissteigerung führt. Oder aber man wird allzu geschäftstüchtigen Zeitgenossen genauer auf die Finger sehen müssen und niemanden auch nur einen Groschen mehr verdienen lassen, als wirtschaftlich gerechtfertigt erscheint. Das mag erschreckend klingen. Aber wer für den Wirbelfanz auf der Spirale ist, der werfe den ersten Stein...

IN GESPRÄCHEN ÜBER BEVORSTEHENDE REFORMEN im Lager der ersten Regierungspartei wird auch der Name der „Jungen Front“ wieder öfter genannt. Dabei hört man sehr verschiedene Ansichten über diese Gemeinschaft, die auszog, um vor allem die junge Generation an das politische Leben heranzuführen und ihr im Rahmen der Volkspartei ein Arbeitsfeld zu bereiten. Manches lebhafte Bedauern wird laut, daß diese Gruppe, in der wertvolle Kräfte stehen, Männer, die ernst genommen zu werden verdienen, bis heute noch nicht zu größerer Geltung gelangte, weil ihre geistige Struktur stellenweise UnausgegUchenheit und Richtungsunsicherheit verriet, namentlich In Reden und Aufsätzen bei ihrem ersten Vortreten in die Öffentlichkeit. Es wird unschwer Wandel zu schaffen sein durch ein klares, eindeutiges Konzept, vorgetragen von Männern, die die Sache der jungen Generation nicht politischen Abenteuern aussetzen, sondern um die wirklichen Herzensangelegenheiten des jungen Menschen in Österreich wissen und sich um sie bemühen — die Sorge um den Arbeitsplatz, um Wohnung und Familie, das Verlangen, als freier Mensch in einem freien Lande zu leben.

UM DIE VERGOSSENE MILCH soll man nach einem weisen französischen Sprichwort nicht weinen — was geschehen ist, ist geschehen, sagt die deutsche Redensart. Jedoch über die sogenannte „Zwischenlösung“ in der Milchpreisfrage, über die viele hier vergossene Milch, ist es schwer, zu schweigen. Anstatt die Milchpreisregelung, Cie seit Monaten auf der Tagesordnung steht und deren Dringlichkeit nirgends ernstlich geleugnet worden Ist, endlich zu regeln, wurde für den Juni ein Provisorium geschaffen, das dem Konsumenten für einen Monat eine Milchpreiserhöhung erspart und die Landwirte nicht befriedigt, weil es nur eine sogenannte Produzentenprämie von 30 Groschen für den Liter vorsieht. Die Kosten dieses Provisoriums bezahlt der arme Schlucker Staat aus seinem Säckel, subventioniert also für den Monat Juni auch den Milchpreis für arm und reich ohne Unterschied. Das einfachste und teuerste Auskunftsmittel. Ein splendides Geschenk. Wir wissen zwar längst um die volkswirtschaftliche Unmoral, die Preise wirklicher Konsumgüter aus Steuergeldern zu subventionieren, aber wir tun es. Auf solchen Wegen der Finanzgebarung Ist der Weg zur Hölle gepflastert. Die Entschuldigung gilt nicht, daß die Pflasterung nur für Monatslänge besorgt wurde.

WIE EINST IM APRIL — Im Aprü 193S nämlich — klingen die Nachrichten über die vor kurzem stattgefundene ostdeutsche „Volksbefragung gegen die Remilitarisierung“. Wieder gab es am Morgen ein „Großes Wecken“ mit Pfeifen, Trommeln und Fanfaren. Wieder führten die Hausvertrauensleute die ihnen anvertrauten Schützlinge zu den Wahlurnen. Dort lagen auch schon die Stimmzettel bereit. Sie kommen dem Österreicher abermals bekannt vor: ein Kreuz quer durch den großen Kreis war eine Ja-Stimme, eines durch den kleinen Kreis bedeutete „Nein“. Aber dazu kam niemand. Abermals stand der Weg in die Zellen zwar offen, allein das gute Beispiel des Vertrauensmannes und anderer anwesender Funktionäre, die demonstrativ offen ihren Stimmzettel abgaben, ließen diesen Schritt hinter den Wandschirm zu einer staatsgefährlichen Demonstration werden. Das Ergebnis zeigte gleichfalls — es war nicht anders zu erwarten — die klaglose Regie. Der Österreicher kennt sie genau. Auch Im April 1938, bei der Volksabstimmung über den Anschluß, wehten rote Fahnen. Nur wurde in der Zwischenzeit das Hakenkreuz durch Hammer und Sichel ersetzt...

SIND SIE WAHR, SIND SIE UNWAHR — die Nachrichten aus Ungarn? Gemeldet wurde über London, drei katholische Landesbischöfe, darunter der nunmehrige Rangälteste, der Erzbischof von Kalocsa, sowie der apostolische Administrator der Erzdiözese des Fürstprimas Mlndszenty seien verhaftet worden; ein anderer Bericht schilderte drastisch, daß „der Mittelstand Budapests deportiert“ werde, nach Methoden, die 3Chon bei der deutschen Judenaustreibung angewandt worden seien. Nachrichten aus den Ländern hinter dem Eisernen Vorhang sind schwer zu kontrollleren; alle gewohnten Hilfsmittel versagen, zuverlässige Zeugen sind kaum stelllg zu machen. Aber wenn man Wesen und Handlungen der östlichen totalitären Systeme einschätzen möchte, muß man sich vorhalten: ihre Führer sind nicht hysterisch, sie planen auf lange Sicht und bedienen sich modernster Mittel der Massenbeeinflussung. Die neueste Taktik ist nicht mehr der direkte Angriff, der lärmende Terror, der demonstrativ lärmende Terror. Man hat in Ungarn mit dem Mindszenty-Prozeß schlechte Erfahrungen gemacht. Die neueste Taktik ist jetzt überall in den Volksdemokratien: die Kraft des Gegners von innen her aushöhlen, ihn durch Schmeicheln und Streicheln irreführen, un-elns machen durch „fünfte Kolonne“ und Friedensbewegung. Ach, wie sehr haßt man den Krieg, den nur die Imperialisten wollen. Wo Widerstand ist, wird er eingelullt. Wohl wird unversehens da und dort zugestochen. Aber mit möglichst wenig Aufsehen! — Die Verhaftung von Bischöfen läßt sich nicht verheimlichen, deshalb würde es der Regel entsprechen, sie in der Presse zu verharmlosen. Nichts davon ist geschehen. Ist die Meldung trotzdem richtig? Eine Bestätigung ist noch abzuwarten. Das gilt ebenso von der angeblichen Deportation von zehntausend Bürgern der ungarischen Hauptstadt, einer höchstes Aufsehen erregenden, weiteste Kreise bedrohenden Aktion. Eine solche, die städtische Bevölkerung aufwühlende Handlung, ohne daß in Presse oder Rundfunk auch die leiseste Mitteilung, geschweige denn propagandistische Erklärung, beziehungsweise Vorbereitung stattgefunden hätte, müßte voraussetzen, daß Rdfcosi, Gerd und Rivai nichts in ihrem Mitier gelernt hätten, plötzlich Dilettanten seien. Sie sind aber keine, sondern Bestandteile eines weltweiten ferngelenkten Apparats, dessen Lenker ihre globalen Durchdringungsmethoden zur Wissenschaft erhoben haben.

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