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Randhemerkungen zur woche

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WEITGEHENDE ERLEICHTERUNGEN

konnten von den bevorstehenden Steueränderungen wohl nicht erwartet werden, denn sie trafen doch zeitlich mit neuen ungedeckten — und sehr erheblichen — Forderungen an den Staatssäckel zusammen. Es kam darauf an, das Verfügbare nach sozialen Gesichtspunkten zu verteilen. Bei den angekündigten Ermäßigungen der direkten Steuern ist das Bestreben auch unverkennbar, die verschiedenen Gruppen der Steuerträger an ihnen teilhaben zu lassen. Manche Änderung werden die Lohnempfänger, andere die geistigen Arbeiter, wieder andere die Wirtschaftskreise begrüßen. Alle gemeinsam werden die leichte Milderung der durch die steigende Geldentwertung verschärften Steuerprogression mit Erleichterung empfinden. Anzuerkennen ist auch die vorgesehene Grundsteuerbefreiung für bestimmte Neubauten und die Ausdehnung der Investitionsbegünstigung auf den Bau von Arbeiterwohnungen — ein produktiver Beitrag des Staates zur Lösung eines drängenden sozialen Problems. Diese Entlastungen im Bereiche der direkten Steuern konnten freilich nicht leicht ohne Erhöhung der indirekten Abgaben vor sich gehen. Vor allem wird die Umsatzsteuer, die nach dem noch geltenden reichsdeutschen Steuerrecht jede einzelne Weiterlieferung eines Produkts vom Rohstoff bis zum Verbraucher erfaßt, erhöht, und das bedeutet eine nicht ins Auge springende, aber in ihrer Gesamtwirkung nicht unbeträchtliche Auflage auf den Konsum. Da noch nicht das gesamte zu erwartende Mehrerfordernis gedeckt ist — man spricht von einer noch aufzubringenden Jahressumme von llA Milliarden Schilling —, sehen die österreichischen Steuerzahler, und das ist direkt oder indirekt die gesamte Bevölkerung, den noch ausstehenden ergänzenden Maßnahmen mit dem dringenden Anliegen entgegen, daß die bereits erkennbaren s o-zialen Ansätze folgerichtig weiter gepflegt werden.

SEIT DEM 27. MAI, dem Tag der Präsidentenwahl, sind bereits sieben Wochen vergangen. Ein ahnungsloser Spaziergänger durch die Straßen der österreichischen Bundeshauptstadt könnte jedoch den Eindruck gewinnen, daß der entscheidende Wahlgang, erst bevorsteht. Zwar wurden die Propagandatürme — wenn auch mit -einiger Verspätung — bereits abgetragen und alle die Riesenphotomontagen sind aus dem Straßenbild verschwunden. Allein von den Mauern und Hauswänden, von Planken und selbst aus vielen offiziellen Aushangkästen der Parteien blicken noch immer die Kandidaten, sprechen die Aufrufe der wahlwerbenden Gruppen. Die erfreuliche Initiative einer Jugendorganisation — toie erkannte sie doch die wirkliche Meinung der Öffentlichkeit —, nach dem Wahltag unter dem Motto: „Wir wollen eine saubere Stadt“ Plätze und verkehrsreiche Straßen von Wahlaffichen zu säubern, blieb eine einmalige Propagandaaktion. Kurz nach dem 27. Mai schrieb die „Furche“ über die Ent-rümpelung des öffentlichen Lebens vom Wahlschutt: „Die Wahlaufrufe, die Bitten, Beschwörungen und Mahnungen in den Schaukästen der Parteien scheinen freilich dazu verdammt, erst unter der Sommersonne zu vergilben und unleserlich zu werden.“ Das war zu optimistisch. Man wird sich allem Anschein nach auf die ersten Schauer der Herbstregen gedulden müssen...

NOCH NICHT IN ÖSTERREICH, ABER IN SCHWEDEN werden vom 1. Jänner 1952 alle kirchlich geschlossenen Ehen auch staatliche Gültigkeit haben. Dies zufolge des jüngst beschlossenen Gesetzes über die Freiheit der Religionsübung, das die meisten Einschränkungen beseitigt, welche alle nichtlutheranischen Konfessionen seit dem 16. Jahrhundert belasteten. Den Katholiken, die unter den sechs Millionen Einwohnern nur eine bescheidene Minderheit von 16.000 Köpfen darstellten — innerhalb der letzten fünf Jahre wurde ihre frühere Zahl durch Einwanderer aus den baltischen Gebieten, Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei mehr als verdoppelt —wird fortan gestattet sein, Ordensniederlassungen in Schweden zu gründen; auch die in den Religionsgesetzen von 1873 enthaltene Bestimmung verfällt der Aufhebung, daß sie der bisher allgemein gültigen Kirchensteuer, die der Staatskirche zufloß, unterliegen. Bezeichnend ist, welche Ursachen jetzt zur Beseitigung einer seit Jahrhunderten für Katholiken geltenden Rechtsungleichheit geführt haben. Der Wandel der altüberlieferten Auffassungen wurde, wie schwedische Beurteiler erklären, wesentlich herbeigeführt durch den Eindruck, den das große während und nach dem Weltkrieg entfaltete vatikanische Hilfswerk im schwedischen Volk, dann die Bemühungen des Papstes um den Welt-

frieden und die heroische Haltung der Kirche in den Ländern hinter dem Eisernen Vorhang hervorrief.

DIE LETZTEN NACHRICHTEN über die Situation der Kirche in Ungarn entziehen sich der Kontrolle. Nur zu gut weiß man, mit welchen Mitteln gearbeitet wird, um von einem dezimierten und seiner führenden Persönlichkeiten beraubten Klerus „Loyalitätserklärungen“ zu erschleichen, zu erpressen oder zu erfälschen. Größtes Mißtrauen allen diesen Meldungen gegenüber ist daher am Platz. Eine, gerade die glaubhafte, entbehrt allerdings nicht der Ironie. Da meldet der „Präsidialrat der ungarischen Volksdemokratie“ — Ungarn kennt nämlich heute nicht mehr eine einzelne Person als Staatsoberhaupt — seine Rechte an. Die Ernennung von Erzbischöfen, Bischöfen, Äbten und selbst von Ordens-prioren dürfe nur mehr nach vorheriger Genehmigung der Personen von Seiten der Regierung erfolgen. Begründung: die Privilegien der apostolischen Könige, als deren Rechtsnachfolger sich die Männer des Präsidialrates mit todernsten Gesichtern vorstellen. Bischofsresidenzen mit Polizeigewalt zu erobern, mag leicht sein, Menschenseelen schon etwas weniger. Auch dann nicht, wenn bestimmte politische Führer, die eine Staatswürde im Staate Israel anstreben könnten, sich nunmehr in den Hermelin des apostolischen Königs hüllen möchten..,

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WENN DER FELDMUEZZIN DER TÜRKISCHEN BRIGADE AN DER KOREAFRONT zum Gebet ruft, gibt es nicht einen Mann, der sich dem traditionellen Ritus entzöge, so als hätte es niemals die Revolution Atatürks gegeben, die vor dreißig Jahren aus dem Osmanenreich einen laizistischen Staat machen, die ein für allemal die orientalischarabische Überlieferung beenden wollte. Doch sind die tapferen türkischen Legionäre, die in diesen Tagen die Bewunderung der Welt errangen, nur Symbol der tiefgreifenden Gegenreformation, die zur Zeit ihr Vaterland erfaßt. Die überdimensionale Moschee, die man ausgerechnet auf dem schönsten Platz Ankaras errichtet, jenem aus dem Boden gestampften Mittelpunkt der „neuen Türkei“ ohne Fez und Schleier, ohne Kotan und Kalif, beweist besser als alles andere, daß der vor einem Menschenalter aus dem öffentlichen Leben verbannte Islam aufgebrochen ist, die verlorenen Positionen zurückzugewinnen. Vorbei sind die Zeiten, da Radio Ankara amerikanischen Jazz senden konnte. Heute sind diese Rhythmen längst wieder ersetzt durch die eintönig berauschende Musik des Orients, wie sie der Volksseele entspricht. Mit nur ganz geringer Mehrheit hat das Parlament unlängst ein Schutzgesetz für das Andenken Atatürks beschließen Tonnen, um zu verhindern, daß die Denkmäler des Neuerers weiterhin umgestürzt oder mit roter Farbe bestrichen werden, wie das überall im Lande geschieht. Der Mann, der die Derwischklöster aufhob, den Koran aus den Schulen verbannte und das Arabische nicht nur für den bürgerlichen Alltag, sondern auch in den Moscheen verbot, ist nicht mehr “beliebt. Natürlich wissen die Türken, daß sie den im ersten Weltkrieg zu Grabe getragenen mittelalterlichen Staat nicht wiedererrichten können. Sie wünschen auch gar nicht, auf die Vorteile zu verzichten, die ihnen in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht vom Westen zugekommen sind. Wohl aber erweist sich ein weiteres Mal, daß man ein Volk auf die Dauer nicht von seinen Traditionen absperren kann. Der weltliche Staat brachte viele inzwischen eingeschmolzene und selbstverständlich gewordene Reformen, aber er vermochte den Menschen im Seelischen keinen Ersatz für das Zerstörte zu geben. Nicht nur die Moscheen sind seit langem wieder gefüllt, auch die Fastenzeit des Ramazzan wird wieder gehalten. Die lange verbotenen „Türben“, die traditionellen Grabstätten sind wieder zu sehen, und die Pilgerfahrten nach Mekka gehen wie vor Jahrhunderten, als hätte es nie eine dagegen eifernde Obrigkeit gegeben. Im Zeitalter der Devisenbewirtschaftung hat die Regierung sogar einen erheblichen Freibetrag für diesen Zweck zur Verfügung gestellt und eine eigene Fluglinie zu den heiligen Stätten errichtet. Der einst verbannte Koranunterricht in den Elementarschulen ist erneut Pflichtfach geworden Und die ehemals atheistische Ankaraer Universität führt inzwischen eine theologische Fakultät, die vom Staat unterhalten wird. Welch ein gefeierter Abgott war doch Atatürk, der gigantische Pläne wälzende Reformerl Dahin, dahin, sein Werk und sein Ruhm. Dreißig Jahre haben genügt, seine Herrlichkeit zu beenden. Stärker als seine Macht war die Geschichte, nein, die Seele seines Volkes.

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