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Randhemerkungen zur woche

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AUS DER POLYPHONIE DER STIMMEN eine Symphonie zu gestalten, war in Alt-Europa viele hundert Jahre lang Brauch und Sitte, mochte es auch nicht an schicksalschweren Gegensätzen und Streitfällen fehlen. Wie vornehm setzten sich die Gegner noch auf dem Wiener Kongreß 1815, noch auf dem Berliner Kongreß ein halbes Jahrhundert später auseinander! Es ist nicht zu verhehlen: eine Gesittung, ein. Stand, eine gemeinsame Lebensform und Kultur verband jene Politiker, Diplomaten, Beamten, Generale, die sich vor dem Forum der Öffentlichkeit als Gegner, nicht selten als Todfeinde gegenübertraten. — Was ist von dieser Kultur des Gesprächs in der zank- und streitzerrissenen Welt des Heute geblieben? Nichts, gar nichts, wird der Pessimist sagen, vielleicht sogar mit einem Seitenblick auf die letzten 'überscharfen Auseinandersetzungen in Österreich zur Zeit der Bundespräsidentenwahl. Diese hat aber nun soeben ein letztes Nachspiel gefunden, das wir nicht versäumen wollen, der Welt als Muster eines Vor-Spiels vorzustellen, wie selbst bitterste und von vielen Teilnehmern bitterbös geführte Kontroversen bereinigt werden können, wenn es den allerersten Repräsentanten einer Gegnerschaft nicht an Mut zur Courteoisie, zu einer innerlich adeligen, humanen Gesinnung gebricht. Bei der Auffahrt zu dem überaus herzlichen Empfang, den das ganze Land Oberösterreich dem Bundespräsidenten bei seinem ersten Staatsbesuch in Linz entbot, verbanden sich die beiden großen Gegner des Wahlkampfes durch das Bruderwort — und das als ein dem Gesamtvolk nachdrücklich verständliches Zeichen für die neue/ Notwendigkeit einer staatspolitischen Zusammenarbeit von Menschen sehr verschiedener geistiger Herkunft, sehr verschiedener politischer und weltanschaulicher Überzeugung. Einst sprach man viel von dem Linzer Programm einer großen Partei. Es ist nicht not und will wohl auch selbst so nicht verstanden werden, dieses Linzer Du-W ort, daß man in Hinkunft am Markttag viel von ihm spricht. Möge um so öfter nach ihm gehandelt werden, %is aus der Höflichkeit und Herzlichkeit einer Fest- und Feierstunde die einigende Kraft, das Vertrauen erwächst, das alle jene besonders nötig haben, deren Tagwerk sie zu täglichen .Auseinandersetzungen zusammenführt.

UM DIE MINISTERPENSION ist es sehr schnell still geworden. Als „nicht aktuell“ wurde diese Frage, die unerwartet auf der Tagesordnung des Ministerrates aufschien und der nach ihrem Bekanntwerden heftiger Widerspruch begegnete, zurückgestellt. Es war auch wirklich ungünstig, beinahe zur selben Zeit, da der Plan von Pensionsstillegungen und Rentenkürzungen von sich reden machte, einen solchen Entwurf, dessen Mangel an sozialem Instinkt ebenso evident war wie sein Mangel an Popularität, auch nur akademisch ausdiskutieren. Davon abgesehen, sprechen die Erfahrungen deutlich gegen die Ministerpension. In den Staaten der Kleinen Entente, die eine Ministerpension kannten, erregten sich beinahe nach dem Abgang eines jeden einzelnen Ministers die Gemüter und die Demagogen hatten leichte Arbeit. Deshalb ist es nur zu begrüßen, daß der leidige Entwurf für eine österreichische Ministerpension vorläufig in die Lade gelegt wurde. Hoffentlich geht gerade zu ihr der Schlüssel verloren ...

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ACHT DIÖZESANBISCHÖFE, sechs Weihbischöfe, sechs Generalvikare, ein Benediktinererzabt und drei Ordensprovinziale haben unter Führung des nunmehr Rangersten im ungarischen Bischofskollegium, des Erz-bischofs von Eger Dr. Gyula Czapik, am 21. Juli im ungarischen Parlament den Eid auf Verfassung und Regierung der ungarischen Volkßrepublik abgelegt. Bereits am 3. Juli hatte der ungarische Episkopat eine drei Punkte umfassende Erklärung abgegeben. Der erste Punkt spricht die Anerkennung der ungarischen Volksrepublik „als unser geliebtes Vaterland“ aus, der zweite verurteilt „diejenigen Kleriker, auf deren sträfliche Tätigkeit in den letzten Tagen ein Licht gefallen ist“. Im dritten verspricht der ungarische Episkopat, „nach unseren Kirchengesetzen auf dem Disziplinarwege gegen alle Kleriker vorgehen zu wollen, die einer Übertretung der Gesetze der Volksrepublik für schuldig befunden werden“. — Am Tage nach der Vereidigung im Parlament erschien im „Magyar Nemzet“ in Budapest ein Leitartikel des Bischofs von Veszprem, Badalik, der die Eidesleistung des Episkopats verteidigt: die ungarischen Bischöfe wollen durch diese Loyalitätserklärung „die in der Verfassung ohne jede Einschränkung sichergestellte Religionsfreiheit auch in der Praxis verwirklichen ... helfen ...“ . Das Bischof s-kollegium. habe den Eid im Bewußtsein ab-

gelegt, daß dieser in keinem Gegensatz zum katholischen Glauben oder ihren oberhirtlichen Verpflichtungen stehe. Zuletzt wird nachdrücklich die Treue gegenüber Rom und dem Papst versichert. — Diese schicksalsschweren Akte und Dokumente können nur von dem richtig verstanden und gelesen werden, der durch das würgende Gitternetz des Totalstaats und seine Propagandaspinnweben durchzuschauen vermag. Sie stellen einen sehr ernsten Schritt auf dem immer schwerer zu begehenden Wege dar, Gott zu geben, was Gottes ist, und dem Kaiser, auch dem atheistischen, sich selbst vergottenden Kai-

ser, zu geben, was sein ist — was er fordert. Die westliche Christenheit verfolgt mit tiefer Sorge, in brüderlicher Anteilnahme diesen Versuch des ungarischen Rumpfepiskopats, dabei bis an die äußersten Grenzen des Möglichen zu gehen. Es steht uns nicht zu, zu urteilen, inwieweit diese möglicherweise bereits überschritten wurden.

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SEIT MONATEN SPRICHT DIE WELT WIEDER VON SPANIEN. Es sind nicht die vornehm ausgearbeiteten gepflegten wissenschaftlichen Editionen des Consejo Superior des investigaciones scientificas, die Propagandabroschüren des Regimes, die Erzählungen der zahlreichen Fremden, die von Port Bou-Cerbere bis lrun-Hendaye, von La Coruna bis Elche in breiten Strömen Iberien überfluten. Es sind schon eher jene langen, gewissenhaft ausgearbeiteten Berichte westeuropäischer Zeitschriften, die zeigen: Spanien steht neu zur Debatte. Zur Debatte für die amerikanischen WeltpoHttker und Militärs, für die westeuropäischen Kanzleien und Parteien, irgendwie für alle Menschen, denen die Freiheit unseres Kontinents ein Anliegen ist. Wie fragwürdig diese Freiheit ist, zeigt die gegenwärtige Auseinandersetzung um Spanien zwischen Amerika, England und Frankreich. Franco, der entschiedene Gegner der westlichen Demokratie, als Bollwerk derselben — kraft seiner strategisch-geographischen Position. Fragwürdige Freiheit... — In diesem Zusammenhang schiebt sich aber nunmehr eine Kraft in den Vordergrund, die befähigt sein könnte, aus der für alle Partner denk-würdigen Belastung dieser Stunde Positives zu gewinnen: nicht für „Ost“ oder „West“, sondern für das spanische Volk selbst — ttnd seine von allen Seiten bedrängte Freiheit. Der spanische Katholizismus sieht seine Stunde gekommen — als wahre dritte Kraft — und präsentiert dem Regime von Tag zu Tag ernstere, immer konkreter werdende Forderungen, nachdem er leiser und lauter immer wieder bitt-stellig und mahnend in den letzten Jahren vorgetreten war. Vor zwei Monaten.war es die spanische Katholische Aktion, die Pressefreiheit gefordert hatte. Vor einigen Wochen appellierten die spanischen Bischof in dringenden Vorstellungen bei der Regierung, Sofortmaßnahmen zur Beseitigung der sozialen Mißstände zu ergreifen. Soeben richteten nun einige angesehene namhafte spanische Priester in der Zeitschrift „Apoatolado“ einen offenen Brief an die Minister für Arbeit und Justiz, in dem sie „ein neues gesetzliches System zur Verteilung der Güter“ verlangen. Es sei völlig nutzlos, über das Familienleben zu predigen, wenn nicht die Voraussetzungen zur Führung eines christlichen Familienlebens gegeben seien. Wenn die höheren Kreise der Gesellschaft versagten, müsse die Regierung zur Lösung der sozialen Mißstände schreiten. Selbst die Außenstehendsten erkennen heute, daß in diesen Vorstellungen des spanischen Katholizismus System liegt, die Innenstehenden wissen es längst, sie haben es seit Jahren erhofft, ersehnt, erwünscht. Noch steht ein Erfolg dieser Demarchen aus. Wie immer dieser ausfallen mag: er wird ein lehrreiches, nachdenkliches Exempel erstellen über die Möglichkeiten demokratischer Wandlung eines undemokratischen Regierungssystems.

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