6584137-1951_35_09.jpg
Digital In Arbeit

Randhemerkungen zur woche

Werbung
Werbung
Werbung

FÜR EINE „INTERNATIONALE DER NATIONALEN“ rührt man gegenwärtig im Lager der „Unabhängigen“ die Trommel. Wie man sich dort diese neue Internationale vorstellt, mit welchen politischen Kräften in anderen Ländern die verantwortlichen Führer des VdU gerne zusammenarbeiten möchten, wird von autoritativer Seite in der letzten Ausgabe des Salzburger Zentralorgans erörtert. Der erste Blick über die Grenzen geht in das nahe Deutschland. Er fällt hier aber nicht auf die mit einem üblen politischen Leumund behaftete „Sozialistische Reichspartei“ des Exgenerals Remer, die zwar als „ein Notventil für die Gefühle mancher gepreßtet Menschen“ anerkannt, von der jedoch deutliche Distanz zu halten empfohlen wird. Die „Freie Demokratische Partei“ ist es, die man hier gerne mit dem brüderlichen Du ansprechen möchte. Eine Fühlungnahme in der Internationale liberaler Kräfte und Gruppen also? Weit gefehlt. Denn in Frankreich genießt nicht vielleicht die Partei des traditionellen französischen Freisinns, die sich eigenartigerweise „radikal-sozialistisch“ nennt, Sympathie. Hier übt das „Rassemblement du Peuple Francais“ eine starke Anziehungskraft aus. Überraschend wird dem ehemaligen Chef der „Freien Franzosen“, dem einstigen Führer der französischen Maquisarden, von einer Seite die Reverenz erwiesen, von der dieser sie wohl nicht so bald erwartet hätte. Die aus den Resten des deutschen Liberalismus gebildete und als Vertreterin von Interessen der Industrie wiederholt hervorgetretene FDP, das aus dem Resistanceerlebnis gewachsene „Rassemblement“ und der von einer unguten Vergangenheit noch immer nicht gänzlich abgestossene österreichische VdU — olle in einer Reihe, alle auf einen Nenner? Eine wirklich sehr bunte Gesellschaft, buntscheckiger noch, als es allein das Lager der „Unabhängigen“ heute in Österreich ist. Und das will einiges heißen.

CATGUT AFFÄRE, TYPHUSSKANDAL und nun noch die Geschichte mit dem fälschen Lebertran — toahrha/tig, drei durch reine Schlamperei und unverständliche Sorglosigkeit innerhalb weniger Monate verursachte Serien von Todesfällen, das ist zuviel; der berühmt-berüchtigte „Kunstfehler“ kann hier, weiß der Himmel, nicht mehr als Entschuldigungsgrund angeführt werden. — Das bakterienverseuchte Catgut tötete Mütter. Die niederösterreichische Typhusepidemie griff nach den Kindern. Und die verhängnisvolle Verwechslung eines hochkonzentrierten Vitaminpräparats mit Lebertran verschuldete bisher gleichfalls den Tod dreier Kleinkinder. Wie viele ernstlich und vielleicht für ihr ganzes Leben geschädigt sind, ist bis heute noch nicht bekannt. Eine Untersuchung wurde eingeleitet; sie fand noch keine Hauptschuldigen, deckte aber einen Wust von Unzukömmlichkeiten auf. Das Sozialministerium oder das Landesjugendamt haben die Fortedolkanister als „Vitaminlebertran“ deklariert — diese ungenaue Bezeichnung läßt eine Fehlerquelle offen zutage treten. Die niederösterreichische Landessanitätsdirektion dürfte die wertvolle Sendung, nun, sagen wir: aus den Augen verloren haben. Und die subalternen Fürsorgestellen haben sich — mit einer einzigen Ausnahme — jedenfalls mit seltsam-schauriger Unbekümmertheit nicht weiter um eine Überprüfung ihrer Vorräte gekümmert und die „ölige“ Flüssigkeit eben für Lebertran gehalten. Kein Arzt hat sie je zuGesicht bekommen. Der Schluß, der aus dieser hoffentlich letzten Affäre zu ziehen ist: die Organisation des österreichischen Gesundheitswesens ist dringend reform-t bedürftig. Was vor kurzer Zeit von namhaften Wiener Ärzten über die mangelhafte ärztliche Jugendbetreuung in den Bundesländern gesagt wurde, stimmt also doch. Beschwichtigung hilft hier nicht mehr. Die Öffentlichkeit ist, ohne durch Demagogen dazu aufgehetzt worden zu sein, über die letzten Vorfälle zutiefst erregt. Sie will sehen, daß die zustädigen Stellen — Sozialministerium und Sanitätsdirektionen — die Konsequenzen ziehen und unhaltbare Zustände beseitigen.

■

NUN IST AUCH IN BERLIN GROSSER KEHRAUS. Die vielen bunten Fahnen fallen, die Riesenphotomontagen, die von den Ruinen Unter den Linden ablenken sollten, werden umgelegt, die überdimensionalen Friedenstauben von ihren Postamenten herabgeholt. Viel Pappendeckel und dünnes Sperrholz — das ist neben buntem Fahnen-' tuch alles, was von den mit großem Aufwand aufgezogenen kommunistischen „Dritten Weltfestspielen der Jugend un d Studenten“ zurückbleibt. Grauer Alltag zieht wieder in den Berliner Osten ein. Zwei Millionen Jugendliche, junge Menschen und Kinder aber fahren heim. In die Satellitenstaaten, in

die Länder des Westens oder auch nur wenige Kilometer in die Deutsche Demokratische Republik zu ihren Traktoren und an ihre Fabrikplätze. Was hat wohl den stärksten Eindruck auf diese Jungen und Mädchen aus der „stummen Zone“ Deutschlands gemacht? Möglicherweise waren sie der Faszination der Masse erlegen, nach-dem sie einmal acht Stunden lang Abteilung auf Abteilung über den Marx-Engels-Platz gezogen waren. Es kann auch sein, daß die bunten Trachten und hellen Lieder der einzelnen Nationen auf jene ihren Eindruck nicht verfehlten, die in ihren Herzen von einem ehrlichen Frieden und von einer wirklichen Völkerversöhnung träumen. Anderen wieder haben vielleicht die schneidigen Marschlieder der Volkspolizisten besser gefallen oder die vielen Filme, die mitten zwischen Ruinen in Freilichtvorstellungen gezeigt wurden. „Gerechter Krieg“ hieß einer. Er kam aus China. In ihm waren aber keine Friedenstauben zu sehen, dafür' Flieger, Panzer und stürmende Infanterie — ähnliche Bilder, wie sie ihre älteren Geschwister lange Jahre hindurch ebenfalls ansehen mußten. Die stummen, verschlossenen Gesichter der jungen Menschen in den ärmlichen Kleidern oder blauen Blusen geben keine Antwort. Vielleicht denken sie auch an“ etwas ganz anderes: an ihren Ausflug in das verbotene Land — in die Zonen West-Berlins. Sie erinnern sich an die übervollen ' Geschäfte, an die freundliche Aufnahme, die man ihnen hier gewährte, an die freizügige Bewirtung und an die Gespräche mit Menschen, die ihnen aufgeschlossen entgegentraten. Während man an anderer Stelle versuchte, die Einreise junger, von der kommunistischen Sphinx angezogener Leute aus dem Westen und aus Westdeutschland mit Gewalt zu verhindern, statt ihnen einmal diesen Anschauungsunterricht zu gönnen, wählte West-Berlin einen anderen, einen besseren Weg. Alle waren hier am Werk, eine irregeführte Jugend aus den Fesseln der Propaganda zu lösen. Diese Bemühungen werden nicht umsonst gewesen sein. Die Erlebnisse der. jungen Menschen bei ihrem kurzen Besuch im Westen dürften sie noch lange beschäftigen. Sie werden zu Hause und guten Freunden gegenüber weitererzählt werden. Sie können Dynamit sein. .

IN JEDEM TSCHECHISCHEN SCHULBUCH ist heute zu lesen, daß die Errichtung der Tschechoslowakei im Jahre 1918 eine Folge der russischen Oktoberrevolution und Stalin der einzige Politiker war, der-sich vor 191& für die staatliche Selbständigkeit der Tschechen und Slowaken einsetzte und bei jeder politischen Schulung in der Tschechoslowakei werden diese Behauptungen wiederholt — willkommene Gelegenheit, das Zeitalter der Hussitenkriege in neuer, volksdemokratischer Beleuchtung erstrahlen zu lassen. Dozent Dr. Graus, der schon mit verschiedenen Untersuchungen über die Geschichte Böhmens im Mittelalter hervorgetreten ist, unterzog sich der Aufgabe, das Bild dieser „bedeutendsten Erscheinung und des leuchtendsten. Beispiels, böhmischer Geschichte“ von bourgeoisen Ausschmückungen zu säubern: Vor allem habe man bisher Hussens wahre Bedeutung raffiniert verdeckt, indem man ihn als gelehrten Magister darstellte, der durch seine, theologischen Spitzfindigkeiten mit der Kirche in Konflikt geriet. In Wirklichkeit liege seine revolutionäre Bedeutung darin, daß er dem Volk die Ursachen seines., jammervollen Daseins zeigte und den Mut hatte, dem Volk zu sagen, daß es nicht nur, das Recht, sondern die Pflicht habe, der geistlichen toie weltlichen Obrigkeit den Gehorsam zu verweigern. Die Bourgeoisie habe Hus als nationalen Fanatiker dargestellt, als Kämpfer gegen das Deutschtum. Die tschechische Bourgeoisie habe ihn zum Patron ihres egoistischen Nationalismus gemacht, der ihr im Kampf gegen die: deutschen Konkurrenten helfen sollte. In' Wirklichkeit gebe es keinen größeren Gegensatz als den zwischen Hussens Liebe 1 zu seinem Volk und dem beschränkten' Chauvinismus des Bürgertums. Nach dieser' historischen „Neuorientierung“ fällt es dem Prager kommunistischen „Rud6 prävo“ nicht mehr schwer, die überraschenden Parallelen' zwischen jener Zeit vor 500 Jahren und der volksdemokratischen Gegenwart zu ziehen. Denn heute werde durch die Aufrichtung des Sozialismus verwirklicht, was die hus-sitischen Vorfahren nur in weiter Ferne fühlten, was ihnen nur in ihren kühnsten Träumen vorschwebte. — Das tschechische Volk wird seinen Hus nicht los. Nicht so und nicht so. Der Hus-Mythos, tendenziös in Prag gepflegt, mit einer scharfen Spitze gegen das katholische Habsburgerreich, folgt ihm wie ein Gespenst durch alle politischen Wechselfälle.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung