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Randhemerkungen zur woche

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„DAS ÖSTERREICHISCHE KONZEPT, sowohl was sein Verhältnis zu Deutschland als auch seine Aufgabe in Europa betrifit, ist unserem Lande durch Lage und Geschichte vorgezeichnet. Als Grundsatz muß gelten: Nichts ohne Deutschland.“ — So hieß es bei Glaise-Horstenau, bei Seyß-Inquart, bei vielen anderen in den Jahren vor 1938. Unter Berufung aui diese Maxime wurde von den österreichischen Nationalsozialisten und vom „Führer“ selbst dem Kanzler SChuschnigg in den entscheidenden Tagen im Februar und März 1938 „Hochverrat“ vorgeworfen und die soiortige Uebergabe der Regierungsgewalt verlangt. Es tut gut, sich in diesen Tagen, im Mai 1953, vor dem Besuch des österreichischen Außenministers in Bonn, an diese Forderung, an diese Parole zu erinnern. Denn: es ist ein österreichischer Abgeordneter zum Nationalrat, der in einem Leitartikel des Hauptorgans seiner Partei, am 9. Mai 1953, diese Forderung erneut anmeldet. Nichts gegen Deutschland, gewiß; darin können wir uns einig sein. Dieser Satz aber darf nicht heißen: Oesterreich hat nur ein Recht, seine Stimme im europäischen Konzert vernehmen zu lassen als Satellit Deutschlands. Europa, Deutschland und Oesterreich wäre damit ebensowenig gedient wie mit dem Versuch, unser Land zum Satelliten östlicher Mächte zu machen. Diese Weichenstellung und jene Achse ist gleichermaßen eine Fehlschaltung. Gleichklang ist dem Oesterreidher erwünscht. Gleichschaltung wird abgelehnt. Zumindest von den Demokraten unseres Landes.

DIE ABSAGE DES GENERALS DE GAULLE AN DIE DEMOKRATIE verdient in mehr als einer Hinsicht europäische Beachtung. Seit General Boulanger, also seit hundert Jahren, haben Generale in Frankreich kein politisches Glück mehr gehabt. Vielleicht war der Erfolg und der Mißerfolg des Generals Bonaparte zu groß... Das mögen innerlranzösisChe Erscheinungen sein. De Gaulle aber stand von Anlang an im Scheinwerierlicht größerer Perspektiven. Und dies seit 1935, als er vorschlug, eine radikal erneuerte französische Armee zu schaffen, mit dem Schwergewicht auf Panzern und schnellen Truppen. Die Anlangserfolge Hitlers gaben ihm recht. Mit Hitler erscheint seither de Gaulle in mehr als einer Hinsicht schicksalhaft verbunden. Für den Führer der französischen Resistance gegen Hitler ergab sich eine Reihe von Berührungspunkten. Nicht nur im Zustrom rechtsradikaler Elemente zu seiner „Bewegung“, die seit 1947 in scheinbar unaufhaltsamem Autstieg zur Machtergrei-luhg begriffen schien. Noch nach den Wahlen von 1951 zogen die Gaullisten mit 120 Abgeordneten als stärkste Partei in die Nationalversammlung ein. Glänzende Köpfe scharten sich um seine Bewegung. Aber auch diese Elite vermochte seiner „Bewegung“ kein Gesicht zu geben. Und daran ist de Gaulle heute gescheitert. Eine Nation, die auf klare Absprache, präzise Stellungnahmen und offene Worte hohen Wert legt, vermochte sich nicht zu befreunden mit seinen Orakeln, die in dunklen Andeutungen von der großen Erneuerung sprachen, die er verhieß. Frankreich wartete nicht auf Verheißungen, sondern auf eine Sanierung des Franc, eine Regelung des schwierigen Verhältnisses zu den Vereinigten Staaten (denen de Gaulle, hier wie in vielem mit den Kommunisten einig, eine aus Malaise und Ressentiment gemischte unverhohlene Abneigung entgegenbrachte), auf eine Lösung seiner Kolonialprobleme und nicht zuletzt des indonesischen Krieges. Die bürgerlichen Regierungen der Mitte und der demokratischen Einigung vermochten diese Existenzfragen nicht zu „lösen“: sie arbeiteten aber, in oft unbe-dankter Weise, emsig und nicht ohne Erfolg daran, Frankreich innerlich zu konsolidieren und seine außenpolitische Position zu stärken. De Gaulle, der vielleicht geniale General, ist an Pinay, Mannet, Schuman gescheitert. Pinay rettete die Währung, Mannet schuf die Kohle-Stahl-Union der westeuropäischen Staaten, Schuman und Bidault bereiteten den Weg für ein Frankreich in einer europäischen Union. Diesen Taten und Tatsachen hatte de Gaulle nur Reden entgegenzusetzen, die, wenn nicht im Wortlaut, so doch im Inhalt in oft bedenklicher Nähe zu den kommunistischen Demonstrationen standen. Die beiden extremen Bewegungen trafen sich in einem zentralen Punkt: „Ohne mich“; ein Frankreich ohne konkrete Zusammenarbeit mit Amerika, mit Deutschland, auch mit England —. Wo aber soll dieses Frankreich seinen geschichtsmächtigen Ort finden? De Gaulle war zu klug, seine Anhänger waren zu vorsichtig, um es auszusprechen: in einer illegalen faschistischen Rechtsinternationale, die in mehr als einer Beziehung zu der linksextremistischen Internationale steht. Nun endlich ist es so weit: der General lüftet sein Visier, das seine Gegner längst durchschaut haben. Er gibt dem Rest seiner Parteianhänger nach einer schweren Niederlage bei den letzten Wahlen den Befehl: seine Partei scheidet aus dem demokratischen und parlamentarischen Leben aus, um sich als „Kampforganisation“ ganz der Vorbereitung eines Umsturzes zu widmen. Das bedeutet eine bereits jetzt fühlbare Entlastung für die konservativen und rechtsgerichteten Kräfte in Frankreich, die an der Demokratie festhalten, sich aber de Gaulle verpflichtet oder verbunden fühlten. Die „Bewegung“ de Gaulles hat ihre Chancen in einer Epoche des Friedens, der Arbeit, verspielt, weil sie sich nicht zur Mitarbeit und Mitverantwortung bekennen wollte. Nur Weltkrisen und Katastrophen können ihr neuen Aufschwung verleihen. Diese zu verhindern sind aber nicht zuletzt jene Kreise berufen, die jetzt, nach dem Abenteuer mit de Gaulle, den Weg zur Mitte in Frankreich und in Europa finden können.

MAN KANN ES NIE ALLEN RECHT MACHEN — am wenigsten kann dies wohl ein Finanzminister. Denn der Wunsch, einerseits wenig Steuern zu bezahlen und anderseits vom Staat Begünstigungen zu empfangen, ist in allen Ländern und in allen Bevölkerungsschichten ziemlicli gleichmäßig verbreitet. Die Vorlage des Budgets durch den britischen Schatzkanzler ist nun natürlich vor allem für England ein vielbesprochenes Ereignis. Aber auch der Kontinent ist gewohnt, aufmerksam nach London zu blicken und aus den Maßnahmen des Exchequers Anregungen zu schöpfen. Butlers Budgetvoranschlag behandelt tatsächlich Probleme, die auch andere Staaten lebhalt beschäftigen. Butler führt die Abschreibungsbegünstigungen für die Industrie wiedet ein ■— allerdings nur in der Hälfte der Höhe, die das letzte sozialistische Budget bewilligt hatte. Diese Erleichterung kommt nur bereits bestehenden Unternehmungen zugute, so daß dadurch die Initiative zu Neugründungen nicht angeregt wird. Die Einkommensteuer wird in bescheidenem Maße gesenkt, nach jahrelangen konsequenten Erhöhungen zum mindesten ein Ansatz zu einer rückläufigen Bewegung. Hier hakt freilich die sozialistische Kritik ein, da den nicht der Einkommensteuer unterliegenden ärmeren Schichten ihrer Ansicht nach besser durch eine Erhöhung der Pensionen und Arbeitslosenunterstützungen hätte geholfen werden sollen. Als ausgesprochen sozial ist dagegen die Senkung der Umsatzsteuersätze um ein Viertel anzusehen. Aus Gründen der wirtschaftspolitischen und finanztechnischen Bequemlichkeit wurde ja in den letzten Jahren in vielen Ländern gerade die Besteuerung des Warenumsatzes stetig in die Höhe getrieben. Da aber indirekte Abgaben keine Staffelung nach der sozialen Leistungsfähigkeit kennen, sind sie seit langem als konsumverteuernd und unsozial erkannt worden. Mit Ende des Jahres soll schließlich die „Uebergewinn-Steuer“ lallen, kurz, der Schatzkanzler gibt wie recht und billig „jedem, etwas“. Daß die Einschrän-

kungen in der zivilen Verwaltung, die Butler meldet, durch die Kriegsrüstungen aufgesogen werden, kann vielleicht, wenn die außenpoli*. tische Entspannung tortschreitet, als vorübergehendes Ungemach hingenommen werden. Das Wertvolle, Bleibende ist der ernste Wille und der praktische Beginn, nach einer langen Epoche wachsender Staatsausgaben nunmehr den Staatsbürger finanziell zu entlasten.eigen (24 Stunden wöchentlich) und die andere Hälfte des Tages (oder der Woche) einer facheinschlägigen und allgemeinen Fortbildung (20 Stunden wöchentlich) widmen. Durch diesen „Werkschulplan“, der sich übrigens in der belgischen Textilindustrie bestens bewährt, würden somit die von der Industrie lugesagten 10.000 Arbeitsplätze für Jugendliche zu einer Vollbeschäftigung“ für 20.000 Jugendliche werden.

Hier müßte die Industrie die Initiative selbst ergreifen. Ein solcher sozialer Großeinsatz würde — gesamtwirtschaftlich gesehen — letztlich auch zu einem wirtschaftlichen Großerfolg für die Industrie selbst werden.

Neuer Lehr- und Arbeitsplätze für die Jugendlichen bedarf es zur quantitativen Bewältigung der Jugendnot. Die qualitative Seite des Problems aber verlangt auch nach der persönlichen Bildungsmöglichkeit. Sie müßte mindestens durch eine achtstündige Berufsschulpflicht für jeden Jugendlichen gesichert werden. Denn es ist — wie es in dem Gutachten der .Sozialwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft“, dem hier in den Grundgedanken gefolgt wurde, heißt —, ... wirtschaftlich und politisch nicht belanglos, daß nahezu die Hälfte des Volkes zeitlebens vom Wissens- und Bildungsgut einer unabgeschlossenen Pflichtschulbildung zehrt. Diese Menschen bleiben nicht nur in ihren Kenntnissen auf dem Volksschulniveau, sondern auch als geistige Persönlichkeiten. Sie werden aber dennoch Wähler und Eltern, die durch ihre Stimme Politik machen, und als Väter und Mütter Erziehung (wozu?) betreiben. Wundert es dann, daß das Volk politischen Schlagworten nachläuft, daß die Familie als Erziehungsgemeinschaft versagt?“

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