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Randhemerkungen zur woche

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„MENSCH UND GESELLSCHAFT DER GEGENWART“, die soeben abgeschlossene vierzehntägige Vortrags- und: Diskussionsreihe, veranstaltet vom Oesterreichischen College und dem Forschungsinstitut iür europäische Gegenwartskunde in Wien, gibt zu einem österreichischen Nachdenken Anlaß. Eine ansehnliche Korona von WissenschalHern und Schriftstellern sprach und debattierte hier über Gegenwartsfragen. Helmuth Schelsky-Hamburg, Otto Brunner-Wien, Hans £gon Holthusen-München, Ewald Wasmuth-Tübingen, Hans Rutz-Salzburg, Friedrich Dessauer-Fribourg, Sigismund von Radecki-Zürich, Otto Mauer-Wien, Edzard Schaper-Zürich, Peter Dünenmatt-Basel, Donald-Brinkmann-Zürich, Rudolph von Ripper-New York-Wien präsentierten ein europäisches Format. An der Aussprache waren einige Dutzend der Repräsentanten des geistigen Lebens Wiens und ein sehr zahlreich erschienenes Publikum beteiligt. Nicht wenige bemerkten hier, last zum ersten Male, daß es in Wien wirklich noch so etwas wie ein geistiges Leben gibt. Ein Leben also, das aus Spruch und Widerspruch besteht, das lebenswillig und lebensiähig ist, das nur zu oft kaum bemerkt wird, weil ihm jede Förderung fehlt. Die einzelnen und die Inseln regen geistigen Lebens gehen deshalb in der Misere und im Alltag unter, weil ihnen die Anregung und Aussprache, das Zusammensein in Gesellschaft, ja in Geselligkeit, fehlt. Monoman und einseitig droht bei uns so manche junge Begabung in Kunst und Wissenschalt zu werden, weil ihr keine Gelegenheit geboten wird, in einem Forum von einigem Format sich zu entwickeln, Stand und Abstand zu sich selbst wie zu anderen durch die Kqnlrontierung mit lebendigen Geistern zu gewinnen. Es wäre erfreulich, wenn der Wink nicht mit, dem Zaunpfahl, sondern mit einer Leistung wie dieser Veranstaltung, einige Wirkung, auf die öffentlichen Herumsteher unserer Kultur ausüben würde. Auch die Wiener Festwochen könnten dann ein anderes, vertieftes Gesicht erhalten. Das- Warten auf den neuen Wiener Weltkongreß der großen Vier oder Fünf mag unerfüllt bleiben — die Veranstaltung eines Wieher Kongresses einer geistigen europäischen Elite könnte bedeutende Folgen für unser inneres kulturelles Schaffen zeitigen, so dazu nicht die permanenten Kongressisten eingeladen werden, sondern, von klugen Initiatoren, gescheite, wache Köpfe, die wirklich Europas Geist und Geistigkeit repräsentieren.

DAS SCHLECHTE BEISPIEL DER LANGWIERIGEN REGIERUNGSBILDUNG “hat allem Anschein nach auf die vor einigen Monaten neugewählten Studentenvertreter mächtigen Eindruck gemacht. Anders wäre es kaum zu erklären, daß nach den am 27. Jänner abgehaltenen Studentenwahlen zwar die Hauptausschüsse an den einzelnen Hochschulen sich allmählich konstituiert haben, aber es bis heute unmöglich war, den „Zentralausschuß“ als gesamtösterreichische Studentenvertretung einzuberufen. So lastet alle Verantwortung vor allem auf der noch von der alten Studentenvertretung bestellten „Gebührenkommission“, die sich gerade in diesen Tagen mit den Vorschlägen des Unterrichtsministeriums auseinandersetzen muß. Eine einige und geschlossene Studentenvertretung entspräche nicht nur dem Auttrag der studentischen Wähler, sondern auch den Anforderungen der Stunde. Daß es nicht so ist, kann nicht laut genug bedauert werden. Vor mehr als zwei Jahren kam es zum Bruch zwischen dem „Wahlblock“ als Vertreter der christlich-demokratischen und der bürgerlichen Studentengruppen und den sozialistischen Studenten, die bis dahin, obwohl der „Wahlblock“ allein eine starke Mehrheit für sich hatte, zusammengearbeitet hatten. Die zentrifugalen Kräfte in beiden Gruppen waren stärker. Die seither bestehende labile Kooperation zwischen „Wahlblock“ und dem national-liberalen „Ring freiheitlicher Studen~ ten“ ließ ihre Fortsetzung nach den Jännerwahlen erwarten. Vor allem die von einer. Gruppe innerhalb des „Verbandes sozialistischer Studenten“ inspirierte, ausschließlich gegen Vertreter des „Wahlblocks“ gerichtete, zügellose Kampagne sowie Bestrebungen, die auf eine Zusammenarbeit zwischen sozialistischen und VdU-Studenten hinzielte, erschwere ten alle Bemühungen, dem „Wahlblock“ seine natürliche Bündnisfähigkeit nach beiden Seiten zurückzugeben. Auf der anderen Seite überschritten die Hollnungen mancher Wortführer des „Ringes“ jene Grenze, über die kein „Wahlblock'-Vertreter gehen kann, will er sich nicht in Gegensatz zu den Kollegen setzen, die ihm ihr Vertrauen aussprachen. So geht das Tauziehen hin und her — und es wäre ein Wunder, wenn die Arbeit in den Aus-. Schüssen der studentischen Selbstverwaltung daraus Gewinn ziehen würde. Eine Lösung zeichnet sich ab, wenn die innerhalb der sozialistischen Studenten sich meldenden konzilianten Kräite an Boden gewinnen und wenn von Seiten des „Wahlblocks“ das Gespräch aufgenommen wird. Interessant wird auch sein, ob die am Rande des „Rings“ lebenden libera-. len, aber aller Deutschtummelei abholden Korps und anderen Verbänden eine selbständige Haltung gegenüber den im alten Fahrwasset segelnden „nationalen“ Verbindungen einnehmen werden. Neue Möglichkeiten zeichnen sich hier ab. Sie sollten ausgenützt werden.

DAS DRAMA NORDAFRIKAS verpflichtet die Ehre Frankreichs und im geistigen Bereich sein Heil — in diesen Worten Francois Mauriacs gipfelt das Ergebnis einer an Ort und Stelle vorgenommenen. eingehenden Untersuchung des „Centre des Intellectuels. Catholiques“. Es geht hier um die Wandjung einer Atmosphäre, die drückend und erstickend über ganz Nordalrika liegt. Es geht, um die Rettung des Lebenswerkes des großen Marschalls Lyautey. Zur Kerntrage, der Beteiligung der Marokkaner an der Regierung ihres Landes, einige Daten aus dem Jahre 1950: In den oberen Verwaltungsbehörden Marokkos waren damals neben 3831 Franzosen 382 Marokkaner tätig, von insgesamt, 20.000 öffentlich Angestellten waren nur 6000 Marok-. kaner. Noch ist nach den Erhebungen, welche, die eingangs erwähnte katholische Gruppe veranstaltet hat, nicht alles iür Frankreich verloren. Man erkennt die Wohltaten an, welche Marokko durch die großzügige Kulturarbeit Frankreichs empfangen hat. Man weiß, wie sehr man noch der Hille bedarf und zieht die' französische jeder anderen vor. Man fürchtet schließlich, in die alle Anarchie zurückzuver-: fallen, aus der man durch Frankreich befreit wurde. Aber man erwartet einen direkteren Anteil an der Staatsverwaltung und hält das-Protektorat für entwicklungsmäßig überholt. Höchst bemerkenswert sind die Aeußerungen, die der Sultan von Marokko der französischen katholischen Gruppe gegenüber gemacht hat: Niemand, sagte der Sultan, könne sich als Mohammedaner ansehen, der nicht an die göttliche Mission Christi glaube, da dieser nach-dem Koran der Geist Gottes und Seines-Wortes sei. Als Gott sich an „Mohammed wandte“, sagte er ihm in bezug auf die Christen: „Und du wirst sicher feststellen, daß diejenigen, die am meisten geneigt sind, die Mohammedaner zu lieben, diejenigen sind, die. von sich sagen: ,Wir sind Christen'.“ „Die Mohammedaner“, sagte der Sultan, „erwarten von den Christen, daß sie die Notwendigkeit begreifen, mit ihnen zusammenzuarbeiten zum Heil der Menschheit, die in den Abgrund des Materialismus fiel und die geistigen Werte vergaß, ohne die kein Frieden aul Erde sein kann und die die Grundlage der göttlichen Gesetze bilden. Die Verbindung dieser zwei Kräite — des Islams und des Christentums — wird, wenn sie sich verwirklichen würde, den größten Einlluß auf die Wfedergeburt der moralischen Institutionen dieser Welt haben.“ Das „Vaterland“, dem wir dieses Zitat entnehmen, schließt daran die Worte Mauriacs:' „Nach Jahrhunderten des Kampfes haben heute das Christentum und der Islam einen Kämpf Seile an Seite, Herz an Herz zu liefern. Hier sind wir auf dem Boden, der der Politik entgeht und von dem uns kein Interessenkonflikt verjagen kann. Die Anbeter desselben Valers\ erkennen sich künftig als Brüder, was immer aucli kommen möge. Die armen Niedergeschlagenen in Casablanca werden nicht vergebens gestorben sein.“ Fürwahr eine große, eine' mondiale Autgabe im christlichen Sinne.

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