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Randhemerkungen ZUR WOCHE

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DIE NACHRICHTEN, DASS DAS BUDGETDEFIZIT des kommenden Finanzjahres, das aut 1200 Millionen Schilling und mehr geschätzt wird, weltgehend durch eine Erhöhung der Zolleinnahmen gedeckt werden soll, verdichten sich. Da diese letzteren gegenwärtig etwa 420 ■ Millionen Schilling jährlich ausmachen, müßte eine sehr massive Steigerung der Zollsätze vorgenommen werden, um annähernd zum angestrebten Ziele zu kommen. Eine solche Maßnahmen erlordert — wiederum, wenn sie ins Gewicht lallen soll — die Umlegung aut Massenartikel und kann sich nur in einer spürbaren Erhöhung des ohnedies allzuhohen Preisniveaus lebenswichtiger Güter auswirken. Es wird schon nicht leicht sein, die durch die Schillingangleichung ausgelöste Rohstollverteuerung dauernd aulzuiangen, denn staatliche Verbilligungssubventionen können schließlich nur eine Ueberbrückungsmaßnahme und keine Dauerlösung sein. Würde aber das Preisgelüge einer neuerlichen Verteuerung der Einfuhrwaren durch Zollerhöhungen standhalten? Vor allem würde eine solche Maßnahme die unsozialen, konsumverteuernden „indirekten Abgaben“ weiterhin gegenüber den direkten Steuern in die Höhe treiben. Schön hat der normale Umsatzsteuersatz von 5,25 Prozent (die Umsatzsteuer wird von allen Erzeugungsund Handelsvorgängen nacheinander eingehoben) eine ganz ungewöhnliche Höhe erreicht. Die Umsatzsteuer mit ihren Zuschlägen ist die Säule des Budgets geworden und hat in ihrem Erträgnis die Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer und Einkommensteuer weit überrundet. In diesem staatspolitisch und staatsfinanziell schwierigen Augenblick sind nun weitgehende Wünsche zur Senkung der drei letzteren Abgaben teils bereits vollzogen, teils noch angemeldet: Eine entschiedene Herabsetzung der Gewerbesteuer, die Ermäßigung der Einkommensteuertarile, die Berechtigung, Investitionen bereits im ersten Jahre mit ihrem halben Werte gewinnmindernd abzuschreiben. Es wäre jetzt wohl besonders nötig, darauf zu achten, daß das soziale Gleichgewicht im Steuerwesen keine Erschütterung erlährt. Die Oelfentlichkeit verfolgt diese Fragen mit großer Aufmerksamkeit. Und schließlich gehen sie ja alle Staatsbürger, an, denn sie alle sind — direkte oder indirekte — Steuerzahler.

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SO GESCHEHEN IN WIEN. Mit heller und berechtigter Empörung berichtet ein Wiener Blatt, daß einem Kriegsblinden in der Straßenbahn kein Platz eingeräumt wurde. Eine solche Unanständigkeit gehört niedriger gehängt, bestimmt — ganz tief sogar! Nicht weniger tief muß man aber eine Mentalität hängen, die auch solche Meldungen nur dazu benutzt, um wenigstens einige Troplen einer ganz bestimmten, wenig erfreulichen Tendenz -einfließen zu lassen: „Es kommt leider in Wien oft vor, daß man einem Kriegsversehrten in der Straßenbahn nicht Platz macht. Vielleicht glaubt man auch auf diese Weise beweisen zu müssen, daß man ein guter Demokrat und Antimilita-rist ist.“ So geschehen in Wien — am (im) blauen Montag. ) *

GING ES UM KINDER? Oder ging es nicht vielmehr um den Begritl Menschenwürde und Menschentum, wie er jenseits und diesseits der Thaya ausgelegt wird? Die Ausreiselrage von zweihundert Kindern — die, das wird übrigens niemand leugnen, aus reinen Parteigründen zur „Erholung“ nach der Tschechoslowakei reisen — rollte einen Fragenkomplex prinzipieller Bedeutung aul. Es ist in diesem Zusammenhang höchst interessant, wenn sich in den Spalten einer Wiener kommunistischen Zeitung die Schriitleilung — und auch in der russischen Stunde der Ravag ein Sprecher — zur Frage äußerte, warum es so schwer, wenn nicht unmöglich ist, einen Sichtvermerk für Reisen in die Tschechoslowakei zu erhallen. Man hat in bestimmten Kreisen das dahingehend zu begründen versucht, daß sich der Staat gegen die imperialistischen Spione schützen müsse. Ob aber Todeslülle von Verwandten, ob ärztlich begründete Kuren, also der Gesundheitszustand, einer Absicht entspringen? Es gab Fälle, wo sogar Reisende zur Leipziger Messe mit Messeausweisen (nach der Ostzone Deutschlands also) nicht einmal Durchreisevisa erhielten und über Passau—Hof einen Umweg — noch dazu und warum? — über die amerikanische Zone Deutschlands machen mußten. Ein Blick auf unsere Fahrpläne spricht Bände. Es gibt nur einen einzigen kümmerlichen Eilzug nach Prag über Gmünd, wo trüher drei D-Züge, darunter einer mit direkten Wagen nach Karlsbad, Franzensbad und Marienbad und einer mit solchen nach Leipzig und Berlin, verkehrten. Die Strecke Schwarzenau—Zlabings hört einlach bei Fratres auf. Hinter Retz ist die Welt (nach Znaim) mit Brettern, oder besser, mit Drahtverhau und Minen zu Ende. Es gibt keine Verbindung von Laa nach Grusbach-Schönau. Die internationale Durchgangsstrecke über Oberhaid—Böh-misch-Hörschlag nach Linz und dem Süden wird von keinem Schnellzug mehr befahren. Es ist zu holten, daß die letzte Erklärung des tschechischen Außenministeriums den Beginn

einer Aenderung dieses unnatürlichen Zu-standes anzeigt.

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WAHREND DIE NEUE-ALTE UNGARISCHE REGIERUNG mit veränderten Zielsetzungen, aber, wie dies aus dem Ton der parteiamtlichen Piesse hervorgeht, eben mit denselben oder ähnlichen Mitteln wie bishei, die Gunst der arbeitenden Bevölkerung gewinnen will, wissen die ungarischen Exilpolitiker sehr wohl, daß ihie Stunde noch nicht geschlagen hat. Auch die ungarischen Exilliberalen können nicht die Arbeit leisten, wie ihre Schwesterparteien in den freien Ländern des Westens, erklärte vor kurzem einem Pressebericht aus Berlin zufolge der ungarische liberale Politiker Graf Georg A p p o ny i. Daher bleibt für sie allein die Möglichkeit, „den liberalen Glauben wachzuhalten tür den Tag, an dem die vom kommunistischen Totalitarismus unterdrückten Völker die Freiheit wiedergewinnen werden“. Der Mann, der dies sagte, ist der Sohn des streitbaren und umstrittenen Veriechters einer ungarischen Unabhängigkeit als Selbstzweck, des Gralen Albert Apponyi, der vor dem ersten Weltkrieg als Oppositionslührer im Parlament cm Donauufer wesentlich dazu beitrug, daß die Doppelmonarchie ihre militärische Kralt nicht den damaligen modernen Erfordernissen entsprechend ausbauen konnte. Apponyi hatte damals nicht den Blick daiür, daß die Schwäche der Monarchie auch Ungarn zum Verhängnis werden mußte. Um so mehr erlreut stellt man den großen Wirklichkeitssinn des Sohnes fest. Die Zukunft? Die Idee der europäischen Föderation sei unter den ungarischen Emigrantenpolitikern sehr populär, führt er aus. Allerdings glaubten sie zuerst an einen föderativen Zusammenschluß regionaler Gebilde. So sei auch er selbst leidenschaftlicher Anhänger einer Donaukonlöderation, „die im großen und ganzen den Grenzen der österreichischen Donaumonarchie entsprechen könnte ...“. Mit Nachdruck betont Apponyi, daß Oesterreich eine wichtige Rolle in der Donauföderation als Mittler zur Kultur des deutschsprechenden Europas spielen müßte. Aber Apponyi glaubt nicht — und besonders dies zeigt ihn als Realisten —, daß die politische Emigration aus Ungarn und den anderen Ländern Ost-Mitteleuropas bei der Lösung der Probleme ein wichtiges Wort mitzureden haben wird.

DIE AUSSENMINISTERKONFERENZ IN WASHINGTON hat folgendes Schlußkommunique verlautbaren lassen: „Alle drei Regierungen sind lest entschlossen, an den Projekten zur Stärkung der Einheit Westeuropas festzuhalten, und zwar ohne Rücksicht darauf, welchen Preis die Sowjetunion für ihre Aulgabe zu zahlen-bereli wäre. Sie sind sich der Tatsache bewußt, daß eine Aulgabe der europäischen Einigungsprojekte zum Abzug der amerikanischen Truppen aus Europa führen würde. Dadurch würde ein Vakuum entstehen, das durch nichts ausgefüllt Werden könnte. Während die amerikanischen Truppen 5000 Kilometer zurückgingen, würden sich die sowjetischen Truppen höchstens hinter die polnische Grenze zurückziehen. Eine derartige mögliche Entwicklung hat vor allem bei der französischen Verhandlungsdelegation ernsthafte Bedenken ausgelöst. Sie lehnte deshalb auch die Erwägung eines jeden sowjetischen Angebotes einer Neutralisierung Deutschlands als Gegenleistung tür die Preisgabe der europäischen Verteidigungsgemeinschalt ab.“ Truppen, Truppen, Truppen... ist das alles, was der Westen zu bieten hat? Die Abwehr der kommunistischen Gelahr ist nicht nur ein militärisches Problem, sondern auch ein ziviles Anliegen. Und wenn der überzeugte Protestant Foster Dulles mit dem nicht weniger überzeugten Anglikaner Salisbury und dem gläubigen Katholiken Bidaull zusammentrifft, um darüber zu beraten, wie diese kommunistische Gelahr zu bannen wäre, erführe man gern Genaueres über die geistigen, moralischen und religiösen Werte, für die sie einstehen. Denn in den entscheidenden Augenblicken wiegt die Ueberzeugung schwerer als der Inhalt der Patronentasche.

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