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Randhemerkungen zur woche

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„OHNE ZENSUR“: Diese Worte setzten im ersten Freiheitsrausch die Wiener Gazeften aul den Kopf ihrer Blätter; damals, als im Harz 1848 die Fesseln polizeistaatlicher Maßnahmen gefallen waren. Und eine bekannte Karikatur jener Tage stellte auch noch der Zensur Begräbnis iür ewige Zeiten dar. Wer konnte damals auch ahnen, daß sie ein Jahrhundert später iröhlich Auierstehung leiern sollte — und nocil dazu im Namen der „Befreiung“. Wenn eine Maßnahme dazu angetan war, daß die Oesterreicher das Wort Beireiung, das sie in ihrer überwiegenden Mehrheit zunächst dankbar ausgesprochen hatten, später immer mehr unter Aniührungszeichen zu setzen begannen, dann waren es nicht zuletzt jene aufgeschlitzten Kuverts und verstümmelten Briefe, die jedem deutlich zu verstellen gaben, wie es mit der echten Freiheit in Wirklichkeit bestellt ist. Ganz davon zu schweigen, daß der Stempel des Zensors mit eine von jenen schweren Hypotheken war, die auf dem Leben des wiedergewonnenen Staates lasten, ein billiges Argument für jene, die aus den enttäuschten Hoffnungen wieder Kapital für ihre abgewirtschafteten Ideen schlagen wollen. Jetzt ist die Zensur gelallen! Weit entfernt von dem Enthusiasmus unserer Vorfahren, werden wir nicht an den Beginn jedes Ausländsbriefes die Worte „Ohne Zensur“ setzen, sondern wir halten klar und nüchtern fest: Fs war wirklich höchste Zeit.

WENN ES NOCH ZWEIFEL am neuen Europa gegeben habe, dann seien sie durch den Anblick dieser Jugend beseitigt worden: So sagte der luxemburgische Außenminister Bech auf der Außenministerkonferenz in Baden-Baden, als Jugendliche aus allen sechs Ländern der Montan-Union vor den Ministem mahnend demonstrierten. Ob die Jugendlichen nun, nach der Lektüre des Kommuniques über die Baden-Badener Konlerenz, in gleicher Weise die letzten Zweilel am werdenden Europa verloren haben? Die Minister haben leierlich ihren Willen bekräftigt, am europäischen Bau weiterzuarbeiten. Vielleicht ist diese Erklärung mehr, als man später einmal herauslesen wird, denn später hat man vielleicht vergessen, daß starke Strömungen vorhanden waren, den ganzen Bauplan einzustellen und abzuwarten, was in der übrigen Welt inzwischen geschehe. In der Baden-Badener Werkstatt der europäischen Architekten ist darüber hinaus aber nicht viel an Einzelheiten entworfen worden. Es scheint, als habe man in Baden-Baden noch große Hemmungen gezeigt, Souveränitätsrechte der Staaten auf die Gemeinschalt zu übertragen. Das letzte Wort haben freilich die nationalen Parlamente, die am Schluß allem zustimmen müssen. Dann erst beginnt auch die eigentliche große europäische Debatte. Fast scheint es, die Jugend müsse auch vor den Parlamenten noch einmal ermunternd demonstrieren.

VIELE BEOBACHTER IN AMERIKA haben die AnsiclU vertreten, daß Präsident Eisenhower nicht die Absicht habe, sielt in kleinen Gefechten gegen Senator McCarthy zu verzetteln, daß er vielmehr abwarte, um sich des unerfreulichen Mannes innerhalb der Republikanischen Partei mit einem einzigen Schlag zu entledigen. Dies soll auch der Grund gewesen sein, warum Eisenhower selbst McCarthys Angriffe gegen den von Eisenhower verehrten General Marshall stillschweigend hingenommen habe. Es kann sein, daß dies auch wirklich die Taktik war, die Eisenhower ursprünglich einschlagen wollt, sie hat sich jedenfalls nicht durchhalten lassen. Bereits im Juni begann Eisenhower die Auseinandersetzung mit dem mächtigen Senator aus Wisconsin ideologisch zu untermauern. In Los Angeles sagte er: „Wer immer handelt, als könnte man mit Unterdrückung, Argwohn und Furcht die Freiheit verteidigen, der bekennt sich zu einer Lehre, die Amerika fremd ist.“ Wer sich noch im unklaren war, wer damit gemeint sein sollte, den klärten die Worte an die Studenten des Dartmouth College aul. Ihnen sagte der Präsident, „Ihr Anstandsgefühl sei ihre einzige Zensur. Schließen Sie sich nicht denjenigen an, die Bücher verbrennen. Glauben Sie ja nicht, daß Sie Fehler auslöschen können, indem Sie die Beweise, daß solche Fehler existieren, vernichten .. .* Im Juli drängte der Präsident dann den Senator aul administrativem Gebiet in die Defensive. Er zwang ihn, seinen Stabschef Dr. Matthews zu entlassen, der durch seine wütenden Angriffe auf die protestantische Geistlichkeit — eine „Brutstätte des Kommunismus' hatte er sie genannt — beträchtliche Gegenkräfte auf den Plan gerufen, vor allem auch die konservativen Demokraten, mit denen man sich politisch gut stehen möchte, verärgert hatte. Um diese Niederlage zu kompensieren, hat nun McCarthy einen weiteren Fehler begangen: Er erklärte, daß er es sich vorbehalte, alle Mitglieder seines Stabes (dazu gehören als Hauptberater ein ehemaliger FBI-Agent namens Francis Flanagan, die durch ihre Europareise berühmt gewordenen Jünglinge Roy Cohn und David Shine, ein Sohn des ehe-

maligen Botschalters Joseph Kennedy, und andere mehr) ohne Befragung seines Unterkomitees zu bestellen. Damit aber hatten die demokratischen Mitglieder des Komitees, die schon lange mit der diktatorischen Geschäftsführung McCarthys unzufrieden waren, den langersehnten Anlaß gefunden, ihren Austritt zu erklären. Mit dem rein republikanischen Rumpfkomitee ist nun nicht mehr viel Staat zu machen. So ist McCarthys Position iür die endgültige Auseinandersetzung mit Eisenhower etwas schwächer geworden, was nicht darüber hinwegtäusclien soll, daß der Konflikt erst vor der Türe steht.

WAHRHAFTIG: DIE GESPENSTER VON SARAJEWO können nicht und nicht zur Ruhe kommen! 1917: Die serbische Regierung ist nach Korlu getlohen, um die Salonikifront scheint es nicht zum besten zu stehen. Da wird der Führer der serbischen Geheimorganisation „Schwarze Hand“, Oberst Dimllrljewitsch, genannt Apis, standrechtlich erschossen. Man warf ihm vor, einen Anschlag auf das Leben des Prinzregenten Alexander Karageorgewitsch geplant zu haben. Die Beweise scheinen nicht über jeden Zweifel erhaben, trotzdem stirbt hier kein Unschuldiger. Apis war für das grauenvolle Ende des letzten Obrenowitsch und seiner Gattin verantwortlich, der Prozeß, der ihn rehabilitieren sollte, aber hat seine Schuld an einem weiteren Doppelmord er' härtet! Denn 36 Jahre nach dem Prozeß von Saloniki, in dem Apis sein Leben verwirkte, und genau 50 Jahre nach der Abschlachtung des letzten, Österreichseundlichen Königs aus dem Hause Obrenowitsch gab Tito den Befehl, den Salonikiprozeß neuerlich aulzurollen! Warum? Nun, es galt die Anhänglichkeit der serbischen Bauernmassen an das Haus Karageorgewitsch abzutöten. Gab es dazu ein besseres Mittel, als den Beweis anzutreten, daß das Königshaus den serbischen Nationalhelden Apis über ein ieiles Militärgericht kaltblütig hat ermorden lassen? Keinesfalls. Und Tito war bereit, iür diesen Effekt einen ungeheuerlichen Preis zu zahlen. Nackt und klar trat nämlich in dem Verfahren die Allelnschuld des serbischen Generalstabes an Sarajewo zutage. Ein handschriftlicher Bericht Apis' erblickt erstmalig das Licht der Oefientlichkeii: „ ... habe ich in der Meinung, daß Oesterreich einen Krieg gegen uns vorbereitet, dafürgehalten, daß mit der Beseitigung Franz Ferdinands die Kriegspartei ihre Kralt verlieren werde... deshalb habe ich Molabitsch beauftragt, das Attentat zu organisieren ...“; und in dem nächsten Satz bricht der heuchlerische Vorwand, dem Frieden zu dienen, in sich zusammen. „Definitiv habe ich mich dazu erst entschlossen, als mir Artamanow (der russische Vertreter) die Ueberzeugung vermittelt hatte, daß Rußland uns im Falle eines österreichischen Angriffes nicht ohne Hilfe lassen werde.“ — Ueber diesen Salz werden nicht nur die serbischen, sondern auch die westlichen Historiker, die die österreichischen Beweise serbischer Schuld nie als vollgültig anerkannten, nicht mehr hinweglesen können.

SCHACH DEM SCHAH! ist die letzte überraschende Wendung im iranischen Kräftespiel. Im Zuge von Angriff und Gegenangriff ist diesmal Mossadeq, der sonst als „alter kranker Mann“ Verhandlungen gerne vom Spitalsbette aus führt, seinem jungen Souverän gegenüber der Schnellere gebliehen. Der Schah mußte fliehen, und Iran steht nunmehr unter der alleinigen Herrschaft eines durch eine 99,9pro-zentige Volkszustimmung bestätigten Politikers, der freilich Mühe haben wird, sich anderer Handstreichspezialisten zu erwehren; vor allem der kommunistischen Tudehpartei. Denn „Putsch gegen Putsch“ ist die Losung aller Diktatoren. Kurz vorher wurde der bisherige Premier von Kaschmir, Bakshi Ghulam Mohammed, gestürzt und verhaltet und durch einen Indien genehmen Nachfolger ersetzt. Damit ist die Spannung zwischen den beiden Nachfolgestaaten des Britisch-Indischen Kaiserreiches neuerlich gestiegen. Tausende von Pakistanen riefen in Karacht nach dem Heiligen Krieg, und wenn auch das Mißverhältnis der beiderseitigen Kräfte einen solchen vorderhand nicht wahrscheinlich macht, so zehrt doch das bewaffnete Mißtrauen an der Substanz beider Staaten. Da Kaschmir überwiegend von Mohammedanern bewohnt ist und in seinen Bergen die Ströme entspringen, die die dürren Ebenen Pakistans bewässern, ist es zu verstehen, daß letzteres auf ein Land nicht verzichten will, bei dessen militärischer Besetzung es zu spät gekommen ist. Verfolgt man die Kette der jüngsten Ereignisse von Kaschmir über Teheran, Kairo, Tunis bis nach Marokko, so sieht man deutlich, daß heute der arabische Raum ein zweiter Balkan ist, in dem jederzeit weithinaus wirkende Explosionen und Einstürze vor sich gehen können.

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