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R.andhemerkungen zur woche

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DER NAME INGENIEUR REINTHALLERS wurde von bestimmter Seite wieder ins politische Gespräch gebracht. Wir halten dafür, daß damit weder dem Betroffenen noch der Sacht des „dritten Lagers“ unserer Innenpolitik — der Name „dritte Kraft“ ist nach den letzten Wahlen doch etwas euphemistisch —, geschweige denn der Sache Oesterreichs ein guter Dienst erwiesen wurde. Mag Ing. Reinthaller auch in den Jahren vor 1938 bona fide gehandelt haben und seine persönliche Integrität unbestritten sein, so bleibt sein Name doch mit einem Kapitel schmerzvollster österreichischer Geschichte verknüpft. Ingenieur Reinthaller lebt seit Jahren zurückgezogen und in Frieden in seiner engeren Heimat. Man darf erwarten, daf! er von sich aus eindeutig allen Kombinationen ein Ende bereitet.

GUTE NACHRICHTEN KOMMEN VON DEN HOCHSCHULEN. Dort können die im „Wahlblock österreichischer Akademiker“ zusammengeschlossenen verschiedenen christlich-demokratischen Studentenorganisationen mit dem Ausgang der Hochschulwahlen 1955 zufrieden sein. Der seit 1951 zu verzeichnende leichte Abbröckelungsprozefl nach rechts hin zu dem im „Ring Freiheitlicher Studenten“ sich sammelnden „nationalen Lager“ konnte nicht nur gestoppt, sondern sogar die 1953 verlorengegangene absolute Mehrheit im Zeutralaus-schufl mit 5139 (55,8 Prozent) von 9210 abgegebenen gültigen Stimmen zurückgewonnen werden. 2796 Studenten stimmten für den „Ring“, der mit 30,6 Prozent (1953 32 Prozent) wohl seine um die restaurierten Burschenschaften gesammelten Kernschichten sich erhalten konnte, aber die Randschichten, die das letzte Mal der freiheitlichen Parole vertrauten, verloren hat. Sie gaben diesmal ihre Stimme dem Wahlblock oder blieben verstimmt zu Hause. Wenig Glück mit der Nachkriegsgeneration haben die Sozialisten. Während 1948 26,2 Prozent aller Hörer für die Liste der sozialistischen Studenten stimmten und ' 1953 immerhin noch 16,7 Prozent ihrer Parole folgten, waren es diesmal mit 1119 Stimmen nur 12,15 Prozent. Von den 156 (1,69 Prozent) KP-Studenten 2u sprechen, erübrigt sich. Besonders eindrucksvoll war das gute Abschneiden des „Wahlblocks“ auf dem schwierigen steirischen Boden: die absolute Majorität auf der Universität Graz will schon etwas heißen. Die Technik- Graz konnte zwar nicht zurückgewonnen werden. Allein sie ist nun die einzige Hochschule mit RFS-Mehrheit. In einem aufregenden Kopf-an-Kopf-Rennen gelang es mit einer Stimme Mehrheit den Vorsitz der Tierärztlichen Hochschule, der vor vier Jahren an den RES verlorengegangen war, zurückzuerobern. Alles schöne Erfolge, an denen eine gute Organisation und eine mit Humor und Satire statt öder Schlagworte arbeitende Propaganda zweifelsohne ihren Anteil haben. Erwähnenswert auch und ein Vorbild selbst für größere Wahlgänge: das offene Stehen des „Wahlblocks“ zu den christlichen Prinzipien und das klare Oesterreichbekenntnis. Auch dafür haben die Studenten gestimmt. Etwas merkwürdig mutet es daher an, wenn von einer gewissen Presse die suggestive Behauptung aufgestellt wird: „Studenten bleiben bei Rechtskoalition“. Das werden sich die auf eine absolute Mehrheit zählenden Wortführer des „Wahlblocks“ schwer überlegen. Viel näher liegt, von lokalen Ausnahmen abgesehen, eine Arbeitsgemeinschaft aller nicht von deutsch-nationalen Ressentiments angefressenen Gruppen unter klarer Führung des „Wahlblocks“. Eine Frage bleibt: sie betrifft die NichtWähler, deren Zahl gegenüber der Hochschulwahl 1953 wieder gewachsen ist. Diese dürfen nicht abgeschrieben werden. Sie anzusprechen, muß Aufgabe jener Organisation sein, die seit bald zehn Jahren die Sammlung der nicht in den traditionellen Korporationen beheimateten Studenten als Ziel hat: der „Freien Oesterreichischen Studentenschaft“. Die anderen Verbände des „Wahlblocks“ sind gut beraten, wenn sie der FOcSt. die Bewältigung dieser nicht geringen Aufgabe erleichtern.

AIS SEISMOGRAPH BEWÄHRTE SICH UNGARN am glänzendsten im Sommer 1953, als der damals frischgebackene Ministerpräsident Imre Nagy mit seinem „Neuen Kurs“ den ähnlichen Ankündigungen Moskaus rund einen Monat zuvorkam. Heute, nach eineinhalb Jahren, spricht die Welt erneut von einer Wende. Es lohnt sich also, wieder Ungarn unter die Lupe zu nehmen. Es begann vor etwa zwei Monaten, als Rakosi von seinem zweimonatigen „Urlaub“ nach Budapest zurückkehrte und bald darauf, fürs erste, einige Parteiorganisationen vor den Angriffen bäuerlicher Volksfrontpolitiker — Nagy-Leute! — nachträglich und energisch in Schutz nahm. Seither hört man nicht mehr viel von „Patriotischer Volksfront“, vom „Neuen Kurs“, dafür aber von Umstellungen an der Spitze wichtiger Wirtschaftsämter, unter anderem von der Versetzung des unorthodoxen Wirtschaftspraktikers Zoltan Vas, der bis vor kurzem einen wichtigen Koordinationsposten innegehabt haben soll, weiter von der Wiederaufnahme der Bautätigkeit im neuen Schwerindustriezentrum Sztalinvaros und von anderem mehr. Handelt es sich hier um Zeichen einer Rückkehr zur vergangenen Stalin-(Rakosi-) Aera, wie dies einige Publizisten im Westen wahrhaben wollen? Die Antwort darauf ist nicht einfach. Vor allem sprechen weder die oben aufgezählten Vorkommnisse noch die erwähnten Moskauer Zeitungsartikel eine eindeutige Sprache. Wohl mahnte vor kurzem Rakosi erneut die Bergarbeiter zur gesteigerten Kohlenförderung und betonte hierbei, „angesichts der internationalen Lage“, die Wichtigkeit der Schwerindustrie Er kündigte aber kein radikales Umschwenken an. Auch verschwand etwa Zoltan Vas nicht von der Bildfläche, ebensowenig wie sein berühmterer Kollege Mikojan in Moskau. Und die Rivalität Nagy—Rakosi bzw. Malenkow—Chruschtschow? Man vergesse nicht, daß es 1953 gerade Chruschtschow war, der sich für die Förderung der Landwirtschaft einsetzte — er tat es übrigens seither auch immer wieder —, während Nagy, der im vergangenen Jahr zahlreiche Rajk-Leute, Priester, die Sozialdemokratin Anna Kethly, das Ehepaar Field, aus dem Gefängnis entließ, 1949 in der öffentlichen Verdammung Rajks alle übertreffen hatte. Was aber die Moskauer Zeitungsartikel betrifft: Während die „Prawda“ einige Volkswirtschaftler, die für eine Vernachlässigung der Schwerindustrie eingetreten waren, scharf kritisierte, veröffentlichte „Literaturnaja Gazeta“ fast gleichzeitig einen Großartikel, in welchem gegen die Monopolstellung der „Lysenko-Schule“, der „Pawlow-Schule“ usw. und für die Freiheit der wissenschaftlichen Forschung in der Biologie Stellung genommen wird. Das ist aber „Malenkow-Kurs“ (oder ,.Nagy-Kurs“) reinsten Wassers. Es wäre gar nicht schlecht, sich abzugewöhnen, diese Bewegungen Von vornherein mit dem Namen des einen oder des anderen kommunistischen Führers zu verknüpfen.

„YO EL KEY“, „ich der König“, so unterzeichneten die Monarchen Spaniens ihre Dekrete, denen damit der Charakter absoluter Herrschergewalt zukam. Es war diese magische Formel, um deren Schriftzüge die Gesandten der europäischen Großmächte fast handgreiflich am Sterbelager, des letzten männlichen Habsburgers in Spanien, Karls IL, rangen und um deren Auslegung (für Oesterreich oder Frankreich) ein vierzehnjähriger blutiger Krieg entbrannte. Und nun taucht aus dem Velazquez-Däm-mer der barocken Geschichte jenes Bild wieder auf, das allem Anschein nach in den Herzen vieler Spanier noch weiterlebt. Denn das ist es, was sich die maßgebenden Kräfte um Generalissimus Franco unter „Monarchie“ vorstellen, die Erinnerung an die große Aera der spanischen Habsburger, an das Imperium Hispanicum, das ja Jahrhunderte hindurch auch nach Südamerika ausstrahlte. Es ist dieser Gedanke einer Staatsreform mit autoritär-hierarchischer Spitze, aber patriarchalischer Sozialordnung, der in Spanien lebensmächtiger ist als die Erinnerung an die zwei Jahrhunderte der sogenannten liberalen Monarchie der Bourbonen, über deren Geschichte die schweren Schatten des Cliquenwesens, der Zerrissenheit, der Korruption und eines stumpfen Antiklerikalismus lagern. So magisch die Farben des Bildes vom sozialen Monar-chen (denken wir nur an das Porträt des gerechten Königs in Calderons „Richter von Zalamea“) auch leuchten mögen, es ist die große Frage, ob in ihrem Schimmer auch die Körper wieder zum Leben erwachen können, von denen sie einst ausgingen. Wir hören, daß die faschistische Falange zum erstenmal offen gegen Franco Stellung nahm und in Flugzetteln gegen dessen Pläne einer monarchistischen Restauration protestierten. Nur die nähere Zukunft kann lehren, ob der brutale Tag oder der lebensmächtige Traum in Spanien den Sieg davontrage werden ...

ZUM FÜNFTEN JAHRESTAG DER UNABHÄNGIGKEITSERKLÄRUNG INDIENS versammelte sich in Wien auf Einladung des indischen Geschäftsträgers Vijaya Rahgavan eine stattliche Anzahl von Freunden Indiens. Auch Oesterreich sieht in diesen Wochen weltpolitischer Krisen mit hohem Interesse auf die Bemühungen der indischen Regierung, als ehrlicher Makler zwischen Ost und West aufzutreten. In diesem Zusammenhang geht uns nicht nur die Europareise Nehrus an, sondern verdient auch nachdenkliche Beachtung die Botschaft des Präsidenten Indiens, Shri Rajendra Prasad, an die im Ausland lebenden Indier. In ihr heißt es unter anderem: „Die bedeutende Rolle, die Indien in der internationalen Politik heute spielt, ist Ihnen zumindest so gut be- ' kannt wie uns hier in Indien, vielleicht sogar noch besser. Sie haben den Vorteil, die Auswirkungen unserer auswärtigen Politik zu sehen durch Ihre Berührungen mit anderen Völkern. Wir fühlen uns glücklich und dankbar, daß wir, inspiriert durch das Prinzip der Gewaltlosigkeit und friedlicher Koexistenz, imstande waren, unseren Teil beizutragen zur Erhaltung des Weltfriedens. Wir haben nicht gezögert, schwere Verantwortungen auf unsere Schultern zu nehmen, um unsere Ideen in die Wirklichkeit zu überführen. Die Verantwortung, die unsere Landsleute heute in Indochina auf sich nehmen, mag als ein Beispiel dienen. Ich möchte Ihnen, die Sie außerhalb Indiens leben, sagen, daß eine gleich schwere Verantwortung auf Ihnen liegt: Achten Sie darauf, daß Ihr Benehmen, ja sogar Ihr ganzes Leben, unter Fremden in Einklang steht mit unseren Idealen und ihrer Erfüllung durch unsere Politik. In den Augen der Welt werden Sie vielleicht gesehen als ein lebendiger konkreter Beleg für die Ideen der auswärtigen indischen Politik. Achten Sie deshalb, bitte, bei allem, was Sie tun und sehen,, auf die Ehre und die Traditionen Indiens.“ — Andere Völker mögen andere Ideale und Prinzipien ihrer Politik haben, unzweifelhaft aber ist: es gibt keine aktuelleren Maximen einer echten Weltpolitik, keine, die dringender der Verwirklichung bedürfen — und es läßt sich schwerlich eine würdigere Form finden, Menschen aufzufordern, in Ernst und Würde sie zu realisieren in ihrem eigenen Leben, mitten unter sehr anderen Völkern, in fremden Kontinenten und Hemisphären.

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