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Randhemerkungen zur woche

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DER EMPFANG DES BUNDESKANZLERS RAAB UND SEINER BEGLEITER in Moskau vollzog sich in den besten Forme internationaler Höflichkeit. Es fiele schwer, die auf Aeußerlichkeiten nicht beschränkte, durch die russische Note vom 9. Apn7 unterstrichene Einleitung der Moskauer Verhandlungen für ein blendendes Feuerwerk zu halten, das bald in nächtlicher Finsternis erlöschen wird. — Ein kleines politisches, nicht alltägliches Intermezzo spielte sich zu Ostern im Zeitungsraume ab. In feierlicher Aufmachung richtete der Minister für Kultur der kommunistischen deutschen Ostrepublik an den Chefredakteur des österreichischen sozialistischen Hauptorgans „über die bestehenden unnatürlichen Grenzen hinweg“ und mit Beziehung auf die bevorstehenden österreichisch-fussischen Unterredungen die Einladung, ein „Kulturgespräch zwischen Oesterreich und Deutschland“ zu eröffnen, in dem — wit sich das der Herr Minister Doktor h. c. Becher vorstellt — im Gegensatz zu den Absprache zwischen Moskau und Wien der österreichische Staatsvertrag und die Wiedervereinigung Deutschlands, als „in unmittelbarem Zusammenhang stehend“, gekoppelt wären. Die übersüßte Berliner Freundlichkeit erwiderte an die Adresse des „Ost-Goebbels“ unmißverständlich Chefredakteur Oskar Pollak in einer nicht zur Aufbewahrung am Spiegel geeigneten, aber gut lesbaren journalistischen Fraktur. Ob die Berliner Einladung die Entgleisung eines Dilettanten oder ein verunglücktes Störfeuer war, bleibt noch im ungewissen.

DIE ENERGIEANLEIHE 3955 ist auf eine Milliarde Schilling veranschlagt. Zum ersten Male befindet sich im Kreise der Anleihewerber ein Unternehmen, das im Osten des Landes baut: die Oesterreichischen Donaukraftwerke. Die Einbeziehung dieses Vorhabens ist psychologisch von erheblicher Bedeutung: hat man doch auf der äußersten Linken immer wieder behauptet, daß die Wasserkräfte im Osten Oesterreichs aus politischen Gründen nicht ausgebaut würden. 1955 taucht aber Ybbs-Persenbeug mit einem Kapitalbedarf von 560 Millionen Schilling an der Spitze aller Baustellen auf. Darnach verlangt die Reißeckplanung der Draukraftwerke 470 Millionen und die Salzachstufe' der Tauernltraftwerke rund 400 Millionen Schilling (die Oberstufe Kaprun der Gesellschaft wird spätestens im Herbst fertig). Jochenstein ist am 3. April mit zwei Maschinen angelaufen und wird am 20. April endgültig in Betrieb sein. Die Leistungsfähigkeit des Dampfkraftwerkes Voitsberg soll auf das Doppelte erhöht werden. Der Gesamtkapitalbedarf aller an der Anleihe teilnehmenden Gesellschaften beträgt für 1955 rund 1,7 Milliarden, das ist die überwiegende Hälfte der gesamten Anleiheansprüche an den österreichischen Kapitalsmarkt. Sollte die politische Entwicklung hinsichtlich des Staatsvertrages günstig verlaufen, ist eine geradezu rasante Beanspruchung der Kraftlieferer zu erwarten, da die niederösterreichischen Industriegebiete bestrebt sein werden, den Vorsprung der anderen Länder aufzuholen. Vor zwei Jahren, unter bedeutend schwierigeren Verhältnissen, leisteten 187.000 Betriebszeichner einen Vertrauensvorschuß, der gerechtfertigt wurde. Auch heuer wird man bestrebt sein, das Volk zum Teilhaber an dem Aufbauwerk zu gewinnen. Im übrigen werden sich für unser Außenministerium und das Handelsministerium . hinsichtlich des Stromexports wichtige Fragen aufdrängen — es sei nur auf Italien verwiesen und dessen Pläne hinsichtlich des Gail-Einzugsgebietes. Wir haben nicht bloß zu geben, sondern dürfen auch fordern.

DER GERECHTFERTIGTE KAMPF DER FUNKTIONÄRE DER ARBEITERKAMMERN gegen bestimmte und weniger durch Kostenanstieg als durch Profitinteresse herbeigeführte Preissteigerungen ist leider kein allseitiger. Wenn Unternehmungen der sogenannten Gemeinwirtschaft (also sozialisierte Unternehmungen) durch Preisreduktionen in ihrem Gewinnstreben berührt werden könnten, schweigt die Arbeiterkammer (wenn auch, wie wir glauben, nur in der Oeffentlichkeit). Das aber heißt Praktizieren einer doppelten Moral. Jene Senkung des Reallohnes die durch private Unternehmer durch Preissteigerungen herbeigeführt wird, wird laut und gut argumentiert bekämpft. Wenn es aber Parteifreunde sind, die an Preissteigerungen beteiligt sind, läßt man sie ungeschoren. Damit aber ist neuerlich erwiesen, daß die Gleichung sozial-sozialistisch eine falsche Gleichung darstellt. Die Haltung in der Kokspreisfrage ist ein Beweis dafür, die asoziale Haltung einer Institution, der es doch (durch Gesetz) aulgegeben ist, die Interessen der Arbeitnehmer gegenüber allen, die arbeitnehmerische Interessen bedrohen, zu vertreten, Ausbeuter bleibt Ausbeuter, ob er nun Eigentümer der Produktionsmittel oder Oeffentlicher Verwalter, ob er politisch links oder rechts steht. Durch den Besitz der Mitgliedskarte einer Linkspartei ist noch nicht der Beweis für alle Zeiten erbracht, daß der Inhaber des besagten Dokumentes sozial bis auf die Knochen (oder bis auf den Koks) ist. Der Ruhrkoks kostet je Tonne frei österreichische Grenze verzollt bis 630 Schilling, die gemeinwirtschaftliche VOeEST verlangt 740 Schilling, der „gemeine“ Verbraucher, also das vielbesungene „Volk“, muß nun, wie man liest, auf Grund eines Arrangements, das über Initiative der gemeinwirtschaftlichen Kokserzeuger getroffen wurde, einen Preis zahlen, der um 100 Schilling höher Ist, als dein Importpreis entspricht. Die abrupte Senkung des Autozolles, also die Begünstigung einer kleinen Schichte von Konsumenten (aller Parteirichtungen), war im Hinblick auf die Zollbelastung bei lebenswichtigen Gütern ein Rückschritt. Die künstliche Hochhaltung des Kokspreises liegt auf der gleichen Linie. Dem Arbeiter wird es ziemlich gleichgültig bleiben, von wem er „expropriiert“ wird, nur wird ihm die Haltung der Gewerkschaften und der Arbeiterkammer in der Kokspreisfrage nicht recht verständlich sein. Jedenfalls aber kann er sich eine-Vorstellung machen, wie es um seine Lebenshaltung bestellt wäre, wenn die ganze Wirtschaft in den Händen des Staates läge und die Staatsfunktionäre (also dann: die Unternehmer) mit den Gewerkschaftsfunktionären identisch wären. Man kann daher verstehen, warum die nüchternen Führer der englischen Gewerkschaften gegen eine erhebliche Verstärkung der Verstaatlichung sind.

ZURÜCK ZUR NIVELLIERUNG? Diese Frage drängt sich einem unbefangenen Beobachter auf die Lippen, der den Widerstand von gewerkschaftlicher Seite gegen den neuen Gehaltsschemaentwurf des Finanzministers für Akademiker und Maturanten verzeichnen muß. Noch immer sind nämlich die Gehälter der Richter, Mittelschullehrer und der Akademiker und Maturanten der Verwaltung den auf das 6,Sfache gestiegenen Lebenshaltungskosten um ein volles Sechstel (5,7 zu 4,7) weniger angenähert als jene der unteren Beamten. Um endlich die Gehälter der Leistung und VerjntworfHng anzupassen, hat nun der Finanzminister ein neues Gehaltsschema entworfen, das die Akademiker und Maturanten annähernd den Beamten des mittleren und des Hilfsdienstes gleichstellen sollte. Er hatte aber mit dem Widerstand der Gewerkschaft nicht gerechnet. Diese lehnt eine Erhöhung der Bezüge der Amts-, Sektions- und Ministerialräte ab; nur die Gehälter der Inspektoren, Kontrollcre, Adjunkten, Offiziale und Amtswarte sollen erhöht werden! Gegen diese neuerliche Nivellierung werden sich natürlich die geistig Schaffenden und der Akademikerbund zur Wehr setzen. Es ist unverständlich, wieso die Gewerkschaft — und zwar alle Fraktionen — unbedingt die Akademiker in eine Feindschaft treiben wollen — eine Haltung, die von letzteren gewiß nicht gewünscht wird. Wird nun die Regierung ihre seit dem Sommer 1951 eingehaltene Linie: das Leistungsprinzip wieder zur Geltung bringen oder den von ihrem Finanzminister Dr. Karnitz entworfenen Plan fallen lassen? Will sie vielleicht gar einen Streik der Richter und Mittelschullehrer riskieren? Wir glauben nicht!

ALS DIE NACHRICHT VOM RÜCKTRITT MALEN KOWS und vom neuen betont schwerindustriellen Kurs der UdSSR durch die Weltpresse ging, rieb man sich auf dem Prager Hradschtn zufrieden die Hände. Man war diesmal hellhörig gewesen und hatte den Uebergang gut vorbereitet. Der Artikel der „Prawda“ vom 25. Jänner, in dem die Notwendigkeit einer wieder stärkeren Förderung der Schwerindustrie zwischen den Zeilen angedeutet gewesen war, hatte nämlich in Prag rechtzeitig Verständnis gefunden. Der Effekt war, daß Prag schon bei der Veröffentlichung der Ergebnisse des abgelaufenen Wirtschafts-plaus 1954 in der Stilisierung auf das Kommende Rücksicht genommen hatte. So konnte man in diesem Bericht lesen, die Industriezweige hätten den Plan um 2,5 Prozent überschritten, die Elektrizitätswerke hätten um 10 Prozent mehr Strom produziert, neue Gruben seien entstanden, und die Landwirtschaft hätte Tausende von Traktoren und Maschinen aller Art erhalten: man habe somit die „Politik des Aufbaues der Schwerindustrie betrieben, die die Grundlage der gesamten Wirtschaft und potentiellen Verteidigung der CSR“ sei. So hat Prag das Schlagwort des neuen Kurses rechtzeitig vorweggenommen. Theoretisch ist Prag somit vollkommen und ohne personelle Opfer auf die Chruschtschew-Linie des Kreml eingeschwenkt. Aber Prag laboriert weiterhin an seinem ganz speziellen Problem, dessen Lösung für jedweden Wirtschaftskurs eine unumgängliche , Notwendigkeit darstellt: die Neubesiedlung der Grenzgebiete Böhmens und Mährens, deren deutschsprachige Bevölkerung nach dem Krieg nach West- und Ostdeutschland transferiert worden ist. Die Situation in den Grenzgebieten Böhmens und Mährens hat trotz- verschiedenen Neubesiedlungsver-suchen durch tschechische und slowakische Bauern, ja auch durch Zigeuner und Angehörige fremder Nationen, bisher nicht aufgehört, in Moskau Unzufriedenheit hervorzurufen. Nunmehr hat Prag, nach dem Muster der sowjetischen Aufrufe an die Jugend nach absolviertem Militärdienst, Neuland in Sibirien zu besiedeln und zu einem Paradies zu verwandeln, eine Aktion „Jugend ins Grenzland“ gestartet. Die Beschlüsse des Zentralkomitees der KPC zeigen außerdem einen neuen Plan, die Besiedlung der Grenzgebiete „schwerpunktartig“ zu organisieren unter Konzentrierung aller Kräfte auf „so fruchtbare und produktionsmäßig außerordentlich wichtige Gebiete wie Saaz und Pedersam (die berühmte böhmische Hopfengegend), ferner Hotzeupletz, Königswart. Marienbad, Pilsen, Böhmisch-Budweis und die Böhmerwaldgegend“. Beim Kongreß des tschechoslowakischen Jugendverbandes regnete es, jedenfalls im Sinne dieser Aktion, „freiwillige Verpflichtungen“ der Jugend aus den einzelnen Bezirken, Landarbelt im Grenzgebiet anzunehmen. Diese Landarbeit konkurrenziert natürlich die zur gleichen Zeit dringendst empfohlene Arbeit in der Schwerindustrie. Und die Reden und Aufrufe aller Staats- und Parteigrößer laufen darauf hinaus, daß das eine getan und das andere nicht gelassen werde.

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