6680178-1961_40_03.jpg
Digital In Arbeit

Rationalisierung ?

Werbung
Werbung
Werbung

Eine zweite Ursache für den Rückgang des Verbrauches an Kohle ist jene Form der Rationalisierung der Erzeugung, die auf eine Reduktion des technischen Einsatzes von Kohle gerichtet ist. Im Zeitraum 1951 bis 1958 wurden in der Deutschen Bundesrepublik bei Kohle 34 Millionen Tonnen Steinkohleeinheiten eingespart. Auch die Österreichischen Bundesbahnen vermochten seit 1957 den Verbrauch an Kohle um 23 Prozent zu senken (wobei freilich noch zu beachten ist, daß die Kohle teilweise in der Form der Sekundärenergie Kraft- str, verwendet wurde). Die Umstellung der Haushalte und die strukturellen Änderungen des Winterwetters haben im Bereich der Privathaushalte ebenfalls eine Reduktion der Nachfrage nach Kohle herbeigeführt, die zum Beispiel in der Deutschen Bundesrepublik im Kohlenwirtschafts- ;ahr 1959/60 mit drei Millionen Tonnen angenommen werden.

Der Bestand außerordentlich hoher Kohlenhalden ist also nicht der Anzeiger einer einmaligen Absatzkrise, sondern eines dauernden Rück-

ganges der Nachfrage nach Kohle, vor allem weil sie kostenmäßig anderen Energieträgern gegenüber im Nachteil ist — wobei noch nicht abzusehen ist, welche Bedeutung als Konkurrenzprodukt einmal die Kernenergie haben wird. Die Kohle ist zu teuer als Folge der Förderungstechnik, die noch immer in einem unvertretbar hohen Ausmaß hündisch erfolgt, und sie ist zu teuer als Folge ihrer Transportkostenempfindlichkeit. Das Verhältnis des Wertes und der Transportkosten eines Kilogramms Kohle ist außerordentlich ungünstig und kann auch durch Frachtbonifikationen nur unzureichend geändert werden. Anderseits müssen aber in der Deutschen Bundesrepublik nicht weniger als 50 Prozent der Steinkohle auf Strecken von mehr als 300 Kilometer zu den Orten ihrer Verwendung transportiert werden. Diejenigen Energieträger, welche die Kohle konkurrenzieren, können dagegen durch Pipelines und ähnliche Transportschienen ungleich frachtgünstiger zum Abnehmer gebracht werden als die Ko’ ‘e.

Dabei sod nicht übersehen werden,

daß es durch Rationalisierungen gelungen ist, die Kosten der Förderung ganz beachtlich zu senken, vor allem durch eine Steigerung der Schichtleistungen, was dazu beigetragen hat, die Position der Kohle einigermaßen zu festigen. Im westdeutschen Kohlenbergbau wurde von 1958 auf 1959 die Schichtleistung um nicht weniger als 212 Kilogramm erhöht, wenn auch interessanterweise das höchste Leistungsergebnis noch aus dem Jahre 1937 stammt. Auch in Österreich vermochte man allein im Jahre 1960 die

Schichtleistungen um 8,5 Prozent zu steigern. Trotzdem bleibt anscheinend weitgehend nur das Mittel der negativen Rationalisierung, die Stillegung von Anlagen, die kostenungünstig arbeiten, will man nicht eine Diskriminierung der Importkohle etwa durch entsprechende Zollansetzung versuchen.

Es soll jedoch nicht unbeachtet bleiben, daß es in wirtschaftlich reifen Ländern bereits so etwas wie eine Stabilisierung des Kohlenverbrauches, freilich auf einer niedrigeren Nachfragestufe, gibt. Das ist etwa in den USA festzustellen, wo der Kohlenverbrauch absolut kaum noch absinkt, während man anderseits ein allmähliches Ansteigen der Heizölpreise vermutet, da auch die Förderung von Heizöl mit relativen Kostensteigerungen verbunden ist. Dazu kommt, daß es industrielle Verwendungszwecke gibt, die an die Kohle stofflich gebunden sind. Daher besteht die Möglichkeit einer Art Restverwendung der Kohle.

Bergbauflucht

Dagegen wird es sich kaum vermeiden lassen, daß auch im Bergbau — wie in der Textilindustrie — als Folge der offenkundigen und durchaus nicht von den Verantwortlichen verborgenen Schwierigkeiten, der Zugang an Arbeitskräften außerordentlich stark abnehmen wird, was der Lösung der personalen Seite der Kohlenkrise nur dienlich sein kann. Zur Landflucht, zur Höhenflucht (der Bergbauern) und zur Bauflucht kommt also noch die Berg-bauflucht. Im Jahre 1956 gab es beispielsweise im Ruhrbergbau noch

310.0 Arbeitskräfte unter Tag, 1959 waren es nur noch 277.000. Vom Februar 1958 bis zum April 1960 verlor der westdeutsche Steinkohlenbergbau

187.0 Arbeitskräfte, davon unter anderem nicht weniger als 29 Prozent durch Kontraktbruch und 28 Prozent durch Kündigung seitens der Arbeiter, während die Werke selbst nur elf Prozent kündigen mußten. Der Rest schied durch Invalidität und Tod aus dem Arbeitsprozeß aus. Bei den jun gen Arbeitern ist der Rückgang noch beachtlicher. Im gleichen Zeitraum verringerte sich die Zahl der jugendlichen Bergarbeiter bei der Kohle von 37.000 auf 24.000 (bei Bergbaulehrlingen sogar von 24.000 auf 11.000, das sind mehr als 50 Prozent).

Der Rückgang der Nachfrage nach Steinkohle ist — normale Verhältnisse vorausgesetzt - nicht umkehrbar. Diese Tatsache, wenn sie zur allgemeinen Erkenntnis geworden ist, darf aber kein Anlaß dafür sein, die Anpassungsmaßnahmen ohne Bedacht-

nahme auf die sozialen Folgen vorzunehmen. Was einzelbetrieblich durchaus richtig sein kann, muß gesamtwirtschaftlich keineswegs gültig sein. Die Notwendigkeit von Abbaumaßnahmen wird an sich kaum bestritten, auch nicht von seiten der Gewerkschaften. Es ist jedoch wesentlich, in welchem Tempo man sie durchführt und ob man gewillt ist, nicht allein gesamtwirtschaftliche Maßnahmen zu treffen, sondern auch auf das jeweilige Einzelschicksal der 6000 Betroffenen und ihrer Familien Bedacht zu nehmen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung