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Rebellion gegen Österreich

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Ich bin einer jener Österreicher, die vor 25 Jahren als sogenannte Illegale an der Auslöschung Österreichs selbst Anteil hatten. Mit dem Ausdruck „Illegale“ ist für die Gefährten, aber auch die Gegner von damals viel umschrieben. Als vorläufige Erklärung für die Jungen: Es waren jene Nationalsozialisten, die sich während des autoritären Ständestaates (1934 bis 1938) außerhalb des geltenden Gesetzes, aber wohl nicht immer außerhalb des Wissens der Exekutive, in größeren und kleineren Gruppen gesammelt und systematisch für die „Machtergreifung“ vorbereitet hatten.

Illegal...

Ich gehörte schon 1934 der Hitler-Jugend an, wurde aber zunächst noch stark durch die Teilnahme an einer rassistischen Gruppe der „Bündischen Jugend“ absorbiert. 1936 entschied ich mich endgültig für die „Staatsjugend“ und wurde „Stammführer“ für einen Teil des Wiener NS-„Jungvolks“; schon vorher war ich „Fähnleinführer“ in der gleichen Gliederung gewesen — das bedeutete theoretisch das Kommando über die weniger als vierzehn Jahre zählenden Jugendlichen mehrerer Wiener Bezirke. Quartier und Deckung für die illegale Tätigkeit der nazistischen Staatsjugend gab bereitwillig der „Deutsche Turnerbund 1919“, aber auch die Jugend bestimmter alpiner Vereine. Ohne Wissen der eigenen Führung dienten außerdem Gruppen der Heimwehrjugend „Jung-Vaterland“, des „Österreichischen Pfadfinderbundes“ und anderer Vereine der illegalen Sammlung und „Betreuung“ der Jugend. Als reine Tarnorganisation fungierte der „Österreichische JuRendbund.“

Gegen Ende 1937 schied ich aus der illegalen „Jugendarbeit“ aus. Ich war schon vorher in Verbindung .mit Studenten gewesen, die der illegalen SS angehörten. Nun vollzog ich meinen Beitritt. In dieser Gliederung erlebte ich schon vor dem „Anschluß“ viel, das Entscheidende aber während der bekannten Iden des März und in den Wochen nachher. Diesen Erlebnissen, darunter Begegnungen mit Gegnern des Naziregimes, verdankte ich eine bald einsetzende Besinnung. Die politischen Konseauenzen dieser Besinnung verpflichteten mich zu neuer Illegalität. Aber wenden wir uns dem eigentlichen Thema zu. Was bewog mich zur Mitgliedschaft bei HJ und „Jungvolk“ zwischen meinem siebzehnten und einund-

der SS in meinem zweiundzwanzigsten Lebensjahr?

Mir ist klar, daß mir gewisse Verzeichnungen unterlaufen werden, wenn ich nun auf meinen damaligen Lebensabschnitt zurückschaue. Ein Siebenundvierzigjähri-ger sieht die Welt seiner Jugend anders, als er und die Gefährten von damals sie wirklich erlebten. Aber es gibt auch Beweggründe, die verzerrenden Perspektiven des Zurückblickens nicht zu überschätzen. Meine Erlebnisketten „von damals“, aber auch die vieler Gefährten waren mir seither wohl täglich gegenwärtig, und zwar bei andau-

erndem Bemühen und andauerndem moralischem Zwang, sie geistig, seelisch, menschlich zu bewältigen. Sie bliebe also nicht nur Merkstoff, sondern aufwühlender, empörender, bewegender und dankenswerter Anlaß zur Verinnerlichung.

„Deutsch-Österreich“

Wer in den Lehrbehelfen meiner Mittelschulzeit (1926 bis 1934), etwa in den deutschen Lesebüchern (zum Beispiel von Standenat), blättert, wird mich verstehen, wenn ich sage, ein mächtiger deutschnationaler Impuls sei vom Schulunterricht ausgegangen. Der Deutschunterricht war weit mehr als ein Sprach- und Literaturunterricht und erhielt seine entsprechenden Ergänzungen im Geschichtsunterricht. Aber je nach der persönlichen Einstellung der Lehrkräfte mußten auch andere Fächer zur „Erweiterung“ des nationalen Gesichtskreises herhalten, ohne daß darin ein Verstoß gegen die geltenden Usancen hätte erblickt werden können. Ich teile kein Geheimnis mit, wenn ich den starken Anteil von Sudetendeutschen am Mittelschullehramt als gewichtigen Faktor der fast systematischen Entösterreicherung bezeichne. Dabei trugen diese Lehrkräfte sehr häufig im tschechischen Namen das Zeichen ihrer .Herkunft.

In diesem Zusammenhang muß ich meine Landsleute, die einen deutschen Namen tragen, hinweisen

auf die große Last, die der slawische Name in der Zeit allgemeiner „Anschlußsucht“ für seinen Träger fast zwangsläufig bedeuten mußte. Wer auch nur im geringsten von der „Sehnsucht nach Deutschland“ erfaßt worden war, folgte nur zu leicht der Versuchung, mit dem Schicksal zu hadern und die Makel der östlichen Herkunft durch um so deutscheres Auftreten auszugleichen. Das Ärgernis des slawischen Namens reichte hin, weite Teile der Generation meines Vaters selbst dann deutschnational einzu-färben, wenn ein eindeutig legitimi-stisches Bekenntnis vorhanden war.

Der unbewältigte Name

Was heute widersprüchlich erscheinen mag, vertrug sich nämlich damals sehr wohl miteinander. Die gefühlsmäßige Bindung zum entthronten, einst eine Großmacht repräsentierenden Kaiserhaus suchte gleichsam nach einem Ersatz für die untergegangene Monarchie. Es wäre Romantik, nur die aus einem echten Treueverhältnis zu Habsburg entspringenden Hemmungen gegen eine anders orientierte Bindung zu sehen. Man war vor allem gewöhnt, daß die Politik von einem größeren, umfassenden Ganzen besorgt wurde und entschied sich schon aus dieser Gewohnheit für eine neue Geborgenheit unter scheinbar ähnlichem Vorzeichen. Der Ersatz für Habsburg stellte sich ein, wenn man cie stark dynastisch empfundene „Waffenbrüderschaft“ aus dem ersten Weltkrieg in den Frieden hinein verlängerte und das .große und schon daher als Macht empfundene Deutschland in einem verhängnisvollen Kurzschluß an die Stelle dahingegangener österreichischer Größe rückte — freilich nicht zufällig sehr oft verbunden mit der offenen oder geheimen Sehnsucht nach Restauration der Monarchie in Berlin und Wien.

„Gen Ostland...“

Im Nazismus der jugendlichen Österreicher „von damals“ nahmen die Aggressionen gegen den slawischen Osten zunächst in den Liedern einen bedeutsamen Platz ein. Ein kleiner Teil davon wurde aus der Jugendbewegung übernommen, ein größerer Teil von nationalen und NS-Poeten ad hoc kreiert. Diese Vorboten späterer verbrecherischer Raubkriege hatten ihren festen Platz in der jugendlichen Romantik. Sie hätten ihn nicht gehabt, wäre nicht schon eine affektive Haltung gegen das Slawentum durch Familie, Schule, Vereine und allgemeine Tradition zugrundegelegt gewesen. Die Frage, wieso der antislawische Komplex aggressive Züge trägt, die sogar des Verbrechens, ja des Völkermordens fähig sind, ist leicht zu beantworten. Wer seinen Namen haßt, haßt seinen Vater und damit einen Teil seiner selbst. Der Name läßt sich zwar kosmetisch operieren, dafür gibt es von Suchenwirth (Suchanek) bis Seyß (Zajie) viele Beispiele. Was aber amputiert, was damit vernichtet wurde, sind die slawischen Ahnen. Es bleibt so oder so der unbewältigte Teil des Ich, ein defektes Bewußtsein und damit ein schlechtes Gewissen und der Ver-nichtungsdrang gegen die slawische Welt, nun nach außen projiziert.

Die Träger slawischer Namen brachten nur sehr selten die Kraft auf, ihr Schicksal anzunehmen und zu meistern im Sinne einer lebendigen Brückenstellung zwischen Slawentum und Deutschtum. Man kann aber nicht sagen, daß ihre deutsch-namigen Landsleute in der Beurteilung besser abschneiden. Hieß man Müller, so empfand man sich sehr häufig nur deshalb schon als höher-

wertig und schöpfte daraus die Berechtigung, über die Novaks auf deren Kosten billig zu witzeln. Dies geschah in der Schule, im Vereinsleben und auf der Straße.

Der „deutsche Staat“ und die „Minderheiten“

Daß ich diesen Spott heute in einer völlig anderen Proportion sehe, enthebt mich nicht der Verpflichtung des Hinweises, daß ich damals darunter sehr gelitten habe. Ich besinne mich klar sehr bestimmter Wunschträume, die meine eigene Flucht aus dem als verächtlich empfundenen Milieu zum

Gegenstand hatten, aber auch langer, stets wiederkehrender Erwägungen zwischen meinem Vater und seinen Verwandten, ob und wie die Abänderung, das heißt, Germanisierung des verhaßten Namens tunlich wäre. Freilich gab es da wie dort auch bremsende Impulse, zumeist Warnungen aus dem Gefühlsbereich — und sie behielten schließlich die Oberhand bei allen Beteiligten. Wie weit aber ist der Weg, den ich unter Einsatz von nicht wenigen Kräften zurücklegen mußte, um den damals als Last, ja Schande empfundenen Namen heute mit Stolz und im Bewußtsein seiner tiefen Verpflichtung zu tragen! Und wie wenigen Zeitgenossen war es gegeben, auf den gleichen Weg zu finden! Ich kann nicht umhin, die Frage aufzuwerfen, wie Österreichs Geschichte in diesem Jahrhundert verlaufen wäre, wenn in der Schule an Hand der slawischen Namen sachgerechter Anschauungsunterricht geübt, ja wirklich von ihnen ausgehend und auf sie hin erzogen worden wäre. Warum hörte man praktisch nichts über die slawische, keltische, rhätische Urbevölkerung und ihre Kontinuität durch die germanische Landnahme hindurch, warum hörte man nichts, überhaupt nichts über die slawische Zuwanderung im Gefolge der ersten industriellen Revolution?

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