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Referendum in Südtirol?

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In absehbarer Zeit sollen in Wien die Verhandlungen zwischen Oesterreich und Italien über Aenderungen in der Behandlung der deutschsprachigen Volksgruppe in Südtirol beginnen.

Wie bekannt, wurde seinerzeit mit Verfassungsgesetz vom 26. Februar 1948, Nr. 5, das Autonomiestatut für die Region Südtirol-Tren-tino erlassen; damit war das Pariser Abkommen vom 5. September 1946 eigentlich schon begraben, da rund 520.000 Italienern der Provinz Trient nur knapp 230.000 Deutsche und Ladiner in der Provinz Bozen gegenüberstanden und die Italiener mit fast Zweidrittelmehrheit die Deutschen in der Region überstimmten.

Nun haben noch in der alten italienischen Kammer die drei Südtiroler Abgeordneten, Doktor T i n z 1, Dr. Guggenberg und Doktor Ebner, am 4. Februar 1958 einen Gesetzesantrag über die Aenderung des Verfassungsgesetzes bezüglich der Artikel 116 und 131 der Verfassung mit der Anlage des Entwurfes eines eigenen Autonomiestatuts für die Region Südtirol eingebracht. Eine Erledigung dieses Antrages der Südtiroler Abgeordneten ist nicht mehr erfolgt. Inzwischen wurde die italienische Kammer aufgelöst, so daß der Antrag in der neuen Kammer durch die Südtiroler Abgeordneten neu eingebracht werden muß.

Nun aber soll nach Zeitungsmeldungen ein Referendum erfolgen, wenn ein diesbezüglicher Antrag, von mindestens 50.000 italienischen Staatsbürgern unterfertigt, eingebracht wird. Daß diese 50.000 Unterschriften leicht aufgebracht werden können, darüber kann wohl kein Zweifel bestehen. Wenn einmal das Referendum in der Provinz Bozen abgehalten wird, so ist die gesetzliche Grundlage für die Verfassungsänderung vorhanden.

Das vorgeschlagene Autonomiestatut der Südtiroler Abgeordneten gliedert sich in 13 Kapitel und 40 Artikel. Im Kapitel III werden die Funktionen Aet Regio im-einzelnen aufgeführt und gefordert. Die Region Südtirol soll über eine ganze Reihe von Sachgebieten ausschließliche Gesetzgebung erhalten und dadurch die Aufsicht und die Verteilung der Arbeit in der Region und nach dem Verhältnis der einzelnen Volkstumsgruppen, der deutschen, italienischen und ladinischen Volksgruppe, sichern.

Wie es derzeit mit dieser Vergebung von Arbeiten und Besetzung von Stellen aussieht, zeigt eine Statistik, die in der Denkschrift über Südtirol der Liga der Vereinten Nationen auf Grund amtlicher Daten veröffentlicht wurde. Im Jahre 1910 waren in der Provinz Bozen 97% Deutsche und Ladiner und nur 4% Italiener, im Jahre 1953 waren nur noch 66% Deutsche und 34% Italiener. Noch krasser ist die Entwicklung in der Stadt Bozen. Im Jahre 1910 waren in der Stadt Bozen 25.558 (94,1%) Deutsche und Ladiner und nur 1605 Italiener (5,9%), im Jahre 1921 waren die Deutschen und Ladiner bereits auf 20.590 (77,9%) zurückgegangen, während die Italiener in der gleichen Zeit auf 5839 (22,1%) angestiegen waren, und im Jahre 1953 gab es nur noch 15.700 Deutsche und Ladiner (20,6%), aber schon 60.500 (79,4%) Italiener. Die Wahlzahlen im Jahre 1957 zum Bozner Stadtrat ergaben bei 52.348 Wahlberechtigten und 45.904 abgegebenen Stimmen 10.541 deutsche (23%) und 34.282 italienische (77%) Stimmen.

Immerhin haben die Deutschen noch eine Mehrheit von rund 66% in der Provinz Bozen; es wäre daher anzunehmen, daß die deutsche Bevölkerung an den öffentlichen Diensten entsprechend beteiligt sei. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Bei den Staatsbahnen sind 90,7% Italiener und nur 9,3% Deutsche ' beschäftigt, bei der Staatsbahndirektion Bozen 93,5% Italiener und 6,5% Deutsche, bei der Post- und Telegraphendirektion Bozen 78,9% Italiener und 21,1% Deutsche, beim Arbeitsamt in Bozen 86,9% Italiener und 13,1% Deutsche, beim Arbeitsinspektorat der Sozial- und Unfallversicherung sind 97,7% Italiener und 2,3% Deutsche beschäftigt, bei der Quästur (Sicherheitsbehörde) sind sogar 99,2% Italiener und nur 0,8% Deutsche, bei der Justiz 87,1% Italiener und 12,9% Deutsche, im Finanzwesen sind 98,6% Italiener und 1,4% Deutsche beschäftigt. In den 110 Gemeinden, wovon nur 7 eine italienische Mehrheit haben, während 103 Gemeinden deutsche Mehrheit besitzen, sind 46 italienische Gemeindesekretäre und 32 deutsche Gemeindesekretäre angestellt; bei der Provinzkrankenkasse Bozen gibt es 90 Italiener, 7 Deutsche und 1 Ladiner.

Man ersieht daraus, daß die Forderung nach einer gleichmäßigen Verteilung der Arbeit auf die einzelnen Volksgruppen nur allzu berechtigt ist.

Im Kapitel IV Artikel 10 und 11) werden über den Gebrauch der Sprachen Vorschläge gemacht und wird vor allem der Grundsatz vertreten, daß in der Region die deutsche Sprache der italienischen Sprache vollkommen gleichgestellt ist; das Recht auf freien Gebrauch der Muttersprache im privaten und öffentlichen Leben wird durch die Region garantiert, insbesondere bei allen Aemtern und Anstalten, von wem immer sie abhängen mögen.

Die Bearbeitung aller Amtsvorgänge mündlicher und schriftlicher Art bei den Aemtern muß in derselben Sprache erfolgen, in der sie eingereicht werden. Für die von Amts wegen eröffnete Korrespondenz ist die vermutliche Muttersprache des Empfängers zu gebrauchen.

Der Gebrauch der deutschen Sprache ist bisher derart unterdrückt worden, daß nunmehr die Italiener selbst die Notwendigkeit einer Aenderung zugeben. Bei Gericht wird ausschließlich Italienisch verhandelt, da die meisten Richter kein deutsches Wort verstehen (wir haben im Prozeß gegen die Pfunderer Bauernburschen und auch in den Sprengstoffprozessen, bei denen die Angeklagten entweder gar nicht oder sehr schlecht Italienisch verstanden, die verheerende Wirkung zur Genüge gesehen), die 103 deutschen Gemeinden dürfen im Verkehr untereinander nur die italienische Sprache gebrauchen, obwohl es Gemeinden gibt, die nicht einmal zehn italienische Einwohner haben; der Bürgermeister von Bozen spricht kein deutsches Wort, das Sanitätspersonal der Krankenhäuser ist zu 99% italenisch und versteht nicht Deutsch.

Im Schulwesen ist zwar die deutsche Sprache an Volks-, Mittel- und Fachschulen zugelassen, aber die Schulverwaltung ist meistens italienisch. Immerhin muß man feststellen, daß dies gegenüber der faschistischen Aera, in der jedes deutsche Wort verpönt war, einen Fortschritt bedeutet.

Auch dieser Vorschlag der deutschen Südtiroler Abgeordneten ist daher berechtigt.

Die Italiener versuchen sich in ihrem Memorandum vom 9. Februar 1957, das eine Antwort auf das österreichische Memorandum vom 8. Oktober 1956 darstellt, zu rechtfertigen. Es würde zu weit führen, diesen italienischen Ausführungen die Tatsachen einzeln gegenüberzustellen. Hier nur das Wichtigste. Das italienische Memorandum gibt die Schuld an den heutigen Verhältnissen den Deutschen, die nicht das nötige Interesse für den Staatsdienst aufbrächten. In Wirklichkeit enthält das im Memorandum als Sondermaßnahme angeführte Gesetz Nr. 1008 vom 20. Juli 1952, betreffend die Wiedereinstellung und RückÜbernahme von Südtiroler Pensionisten und Beamten, so ungünstige Bedingungen für diese Beamten, daß sich nur sehr wenige der abgewanderten Südtiroler zum Eintritt in den öffentlichen Dienst bereit fanden. Der größte Teil der rückgewanderten Beamten und staatlichen Angestellten fand ferner nicht in Südtirol Verwendung, sondern wurde sofort wieder in die alten Provinzen versetit. Die wiedereingestellten Beamten mußten überdies rang- und gehaltmäßig wieder dort anfangen, wo sie in Italien vor der Auswanderung aufgehört hatten, das heißt, daß sämtliche im seinerzeitigen Dritten Reich und Oesterreich verbrachten Dienstzeiten nicht angerechnet werden.

So ist nur zu hoffen, daß die jetzige Regierung des Ministerpräsidenten Fanfani, der sich über Südtirol bis jetzt sehr sachlich geäußert hat, die Naturrechte der Südtiroler anerkennen wird und daß unter seiner Ministerpräsidentschaft das gerechte Ziel der Südtiroler verwirklicht werden wird: die eigene Provinzial-autonomie für Südtirol.'

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