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Reform im Pentagon

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Kurz vor seiner dauernden Vertagung hat der 8 5. Kongreß der Vereinigten Staaten das große Reformprogramm des Präsidenten für die Wehrmacht nach langen und gründlichen Beratungen verabschiedet. Hand in Hand mit diesem Programm ging auch die von Eisenhower dringend befürwortete finanzielle Besserstellung der Wehrmachtangehörigen vom Unteroffizier aufwärts. Bemerkenswert war dabei zunächst der Umstand, daß, abgesehen von dem finanziellen Teil der Reform, die nach der Verfassung dem Kongreß allein vorbehalten bleibt, die Grundzüge der militärischen Reformen vom Präsidenten allein auf dem Verordnungswege hätten durchgeführt werden können, denn sie liegen ausnahmslos innerhalb seiner Kompetenz als Oberbefehlshaber der Wehrmacht. Nicht nur aus politischen, sondern auch aus traditionellen Gründen zog es Eisenhower vor, dem Kongreß die letzte Entscheidung zu überlassen. Im Pentagon, der Riesenzentrale des Oberkommandos, dürfte nun bald ein frischer Wind wehen, der die meisten Spinnweben bürokratischer Schwerfälligkeit zusammen mit den gefährlichen und kostspieligen Rivalitäten der einzelnen Wehrmachtsteile untereinander hinwegfegen wird.

Das Pentagon, nebenbei das größte Bürogebäude der Welt, war bisher geradezu ein Symbol der Ueberorganisierung und des Durcheinanders, so daß es im Volksmund oft mit einem Riesenzirkus verglichen wurde, in dem in zahlreichen Manegen gleichzeitig gespielt wurde. Es ist interessant, einen kurzen Blick auf die Aeußerlichkeiten dieser Hochburg amerikanischer Militärbürokratie zu werfen, wo „der Fragebogen in sechsfacher Ausfertigung“ erfunden wurde.

Das Gebäude, im riesigen Fünfeck erbaut, bedeckt allein eine Fläche von rund 16 Hektar. Dazu kommen noch 94 Hektar an Rasenflächen und Terrassen, die Parkplätze für die zahllosen Dienst- und Privatautos nicht eingerechnet. Die Korridore des Riesenbaus haben allein eine Länge von 17,5 Meilen oder rund 30 Kilometer. In ihnen kann man sich verirren, so daß nicht nur aus Sicherheitsgründen seit Jahren schon der Modus besteht, Besucher durch Ordonnanzen in die Zimmer zu geleiten. Auch herausgebracht wird der Besucher wieder, denn die vielbelachte Anekdote aus der Zeit des zweiten Weltkriegs darf nie und nimmer wahr werden. Da soll nämlich eines Tages ein harmloser Infanteriefeldwebel mit einem Dienststück aus dem benachbarten Fort Myers im Pentagon aufgetaucht sein. Als er nach langer Zeit wieder herauskam, war er Kapitän zur See... Der oft bissige amerikanische Witz charakterisierte so nicht nur die Ueberorganisierung, sondern auch das oft heillose Durcheinander, das besonders im letzten Krieg dort herrschte. Im übrigen war das kein Wunder, denn auch heute noch arbeiten im Pentagon an die 2 9.0 0 0 Menschen, 70 Prozent davon Zivilangestellte des Verteidigungsministeriums. Das Pentagon hat eine eigene Bank, eine ärztliche und eine zahnärztliche Klinik, drei Küchen für zwei Riesenrestaurants und 44.000 Telephonanschlüsse mit rund 280.000 Gesprächen täglich, Erholungsräume, Bäder usw., die in dem glühendheißen Sommer Washingtons wahrlich kein Luxus sind.

Dieser Riesenapparat wird nun auf vollen Touren zu laufen haben, um den genehmigten Eisenhower-Plan zu verwirklichen Der Plan selbst war nicht so radikal, wie ihn manche Militärs wünschten, aber auch nicht so konservativ, um ein Lückenbüßer zu sein. Er ging vielmehr von folgender Erwägung aus, für die Eisen-hower als Fachmann persönlich zeichnete. Während im zweiten Weltkrieg trotz des Ueberfalls auf Pearl Harbour noch Zeit blieb, auf dem Wege der Improvisierung so etwas wie ein einheitliches Oberkommando zu schaffen und ein taktisch tragbares Zusammenwirken der drei Waffen herbeizuführen, blieb angesichts der Ebenbürtigkeit der Sowjetrüstung heute zu einer solchen Improvisierung keine Zeit. Die zuständigen Stellen sind der Ueberzeugung, daß ein nächster Krieg nicht von der Armee mit Unterstützung der Luftwaffe und Marine ausgefochten werden könnte, sondern von Kampfgruppen, denen alle drei Waffen angehören. Vorbereitung und Organisierung, Leitung und Kontrolle müßten demnach in der Hand eines einzigen Mannes liegen, also in der Hand des Verteidigungsministers und nicht in der Hand eines einzigen Generalstabschefs. Der Verteidigungsminister aber hat nach der Verfassung stets eine Zivilperson zu sein, denn auch heute noch besteht in den USA eine gewisse Scheu vor einer möglichen Militärdiktatur, die von einem nahezu allgewaltigen Generalstabschef ausgehen könnte. Auch unter der jetzigen Reform wird der gemeinsame Generalstab, bestehend aus je einem Mitglied der Armee, der Luftwaffe und der Flotte beibehalten, ebenso wie die einzelnen Minister für die Armee. Luftwaffe und Marine, die aber nur administrative Funktionen haben und dem Verteidigungsminister unterstehen, der wiederum dem Präsidenten allein verantwortlich ist. Dem Minister allerdings wird eine beinahe übermenschliche Verantwortung aufgebürdet. Neben der Aufsicht und obersten Leitung der Raketenforschung und der Entwicklung neuer Waffen und ihrer Zuteilung an die drei Wehrmachtsteile obliegt ihm noch die letzte Entscheidung über die organisatorische Aende-rung innerhalb der Wehrmacht, über Ausbildungsfragen und obendrein noch die Einflußnahme auf die Produktionsentwicklung jener Teile der amerikanischen Privatindustrie, die Waffen und Waffenbestandteile neuester Typen herstellen. Gerade auf diesem Gebiet herrschte vielfach Duplizität, ja Triplizität der Arbeit und damit eine Vergeudung von Millionen von Dollar, die der Kongreß ein für allemal beseitigt wünscht. Es ist also eine fast ungeheure Zentralisierung vorgenommen worden, die den Träger des Amts wenigstens in der Anfangszeit der Reformen schwer bedrücken muß Glücklicherweise steht dem Verteidigungsminister McElroy ein

Fachmann vom Range Eisenhowers zur Seite, von dem der britische Feldmarschall Mont-gomery einmal sagte: „Als Stratege ist er guter Durchschnitt, als Organisator und Koordinator aber hervorragend.“

Zwei Sicherheitsventile hat der Kongreß in die Reformgesetzgebung eingebaut. Zunächst hat er sich ein erhebliches Mitspracherecht in strittigen militärischen Angelegenheiten gesichert, indem er den Befehlshabern der drei Waffen ausdrücklich das Recht erteilte, mit etwaigen Problemen ihrer Waffen sich direkt an den Kongreß zu wenden. Zweitens sprach der Kongreß das Verbot aus, die traditionellen Rollen der drei Waffen ohne seine ausdrückliche Zustimmung organisatorisch zu ändern. Dieses Verbot ist wohl darauf zurückzuführen, daß gewisse militärische Kreise z. B. das berühmte Marinekorps von der Flotte zur Armee transferieren wollten. Andernfalls wäre es dem Kongreß nicht eingefallen, im Reorganisationsgesetz dem Korps ausdrücklich die Fortsetzung seiner historischen Dienstaufgabe zu bestätigen.

Natürlich versprach sich der Kongreß von der Durchführung dieser Reform auch Ersparungen, die in die Hunderte von Millionen gehen werden. Und das ist ein gutes Wahlargument, denn das gesamte Repräsentantenhaus und ein Drittel des Senats müssen sich im November d. J. zur Wahl stellen, in der Wahlkampagne aber sind Einsparungen erfahrungsgemäß ein eindrucksvolles Argument.

Hand in Hand mit dem großen Reformplan ist auch Präsident Eisenhowers Lieblingsplan einer Besserstellung des Offizierskorps und der Unteroffiziere der Wehrmacht in Erfüllung gegangen. Seit langem hatte er bereits die Absicht, der Abwanderung von Wehrmachtsangehörigen, deren Spezialistenausbildung angesichts der rapid fortschreitenden Technisierung und Mechanisierung des Wehrdienstes immer kostspieliger wurde, einen Riegel vorzuschieben. Der Dienst in der Wehrmacht sollte finanziell schmackhafter gemacht werden, und so erfand man im Pentagon das Stichwort „incentive pay“, der Anreizlöhnung, denn den Finanzgewaltigen im Kongreß, zumal aber den als zugeknöpft bekannten Mitgliedern des Finanzausschusses des Senats, mußten die teilweise recht erheblichen Gageaufbesserungen irgendwie plausibel gemacht werden. Das ist gelungen, und der Kongreß hat sich da großzügig gezeigt. Die Mitglieder des gemeinsamen Generalstabes erhalten ausnahmslos eine Erhöhung von 7188 Dollar pro lahr, so daß sie einschließlich ihrer Personalzulage auf das einigermaßen standesgemäße Monatseinkommen von 2781 Dollar ohne Quartiergeld und Subsistenzzulage kommen. Generale und Admirale bekommen eine Aufbesserung von 5088 Dollar, während für alle Stabsoffiziere eine Gageerhöhung von 1776 Dollar herauskam. Subalternoffiziere und Hauptleute erhalten 552 Dollar mehr pro Jahr. Die Zulagen für Unteroffiziere belaufen sich auf 120 Dollar pro Jahr beim Korporal und steigen bis zu 372 Dollar beim Hauptfeldwebel, so daß der Korporal immerhin 250 Dollar Löhnung im Monat bei freier Verpflegung und Unterkunft erhält, während der Hauptfeldwebel 437 Dollar erhalten wird. Leer ausgingen nur die Gefreiten und Soldaten, die zumeist nur zwei Jahre dienen. Der Kongreß war hier der Ansicht, daß die Löhnung des Soldaten, die zwischen 78 und 8 5.80 Dollar pro Monat schwankt, hinreichend sei, um so mehr, als jeder bei einer Beförderung zum Unteroffizier ohnehin in den Genuß der neuen Bezüge trete.

Zusammenfassend gesehen, hat der Kongreß zweifellos die bedeutendste Gesetzgebung in der Geschichte der amerikanischen Wehrmacht vollzogen und den Grundstein für eine durchgreifende Modernisierung gelegt, die jetzt den Stabschefs und den beigeordneten Organen zur detaillierten Ausarbeitung überlassen bleibt. Soweit sich die diesbezüglichen Pläne heute schon überblicken lassen, denkt man an eine schrittweise zahlenmäßige Verminderung der Stände der Armee, die durch eine Reorganisierung der Kampfgruppen von etwa 4000 Mann bei wesentlicher Erhöhung der Feuerkraft durch modernste Waffen ermöglicht würde, an konzentrierteste Ausbildung dieser Gruppen für den Ernstfall und an eine gründliche Modernisierung der Ausbildung der Truppen der Nationalgarden der 49 Bundesstaaten, an eine weitere Schulung der Reserveformationen und an die Schaffung eines großen Unteroffizierskorps, das das Rückgrat bei allen drei Waffen bilden soll. Im Ganzen ist das also ein Programm, das auch bei möglichster Beschleunigung einige Jahre in Anspruch nehmen wird.

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