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Reformkonzil und Reformierte

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„Detesta lutheranorum secta“ — diese Inschrift auf einem römischen Epitaph ist etwa dreihundert Jahre alt. Welch ein weiter Weg von dieser Zeit bis zum heutigen Tag, da die Vertreter nichtkatholischer Bekenntnisse auf bevorzugten Plätzen der feierlichen Eröffnung der Versammlung der Weltkirche teilnahmen, da ihnen der Papst selbst versicherte, in ihrer Anwesenheit „einen Grund des Trostes“ zu sehen; da der Leiter des „Einheitssekretariats“, Kardinal Bea, in großer Bewegung erklären konnte: „Wir haben in der gegenseitigen Annäherung einiges erreicht, was wir uns vor Jahren noch nicht hätten vorstellen können“, und der Hoffnung Ausdruck verlieh, man möge einander durch vertiefte Studien auf beiden Seiten einmal in manchen Fragen treffen. Mit Recht konnte Kardinal König vor seiner Abreise nach Rom sagen: Würde das Konzil gänzlich ergebnislos bleiben, so wären schon vor seinem eigentlichen Beginn bedeutsame Resultate herangereift, als deren wichtigstes er das interkonfessionelle Gespräch nannte. Dieses Gespräch mit den „getrennten Brüdern“ - welches Unbehagen riefe heute die Verwendung von Ausdrücken wie „Häretiker“ oder „Schismatiker“ hervor, die vor wenigen Jahren noch als korrekt empfunden wurden! — wird in nächster Zeit im Rahmen und am Rande des Zweiten Vatikanischen Konzils mit besonderer Intensität geführt werden.

Daß diese interkonfessionellen Kontakte nun erstmals offiziellen Charakter erhielten, nennt der Vertreter der evangelischen Kirche in Deutschland beim' Konzil, Professor Dr. Edmund S c h 1 i n k, einen „großen Fortschritt“. Er anerkannte dankbar, daß der Papst „durch die Initiative seines Herzens eine neue Atmosphäre der Offenheit gegenüber den nichtrömischen Kirchen herbeigeführt hat“. „Trotz der großen und ticfverwurzelten Hindernisse, die uns trennen“, seien Anhaltspunkte vorhanden, die die Hoffnung auf das Zustandekommen eines „echten Dialoges“ stärken. Als solche nannte er die ausschließliche Orientierung an der geoffenbarten Wahrheit, die Katholiken und Evangelischen gemeinsam sei, den bedeutenden Aufschwung der katholischen Bibelwissenschaft, der teilweise in interkonfessioneller Zusammenarbeit erreicht wurde. Vieles, was heute noch als trennend empfunden würde, wäre bei genauerer Untersuchung gewiß in seiner Substanz beiden Seiten gemeinsam und nur verschieden formuliert.

„Foyer U n i t a s“ nannten die „Frauen von Bethanien“ ihr neues Gästehaus, das in einem der zahlreichen Stadtpaläste der Doria Pamphili an der Piazza Navona untergebracht ist. Es wurde wenige Tage vor der Eröffnung des Konzils durch Kardinal Bea persönlich feierlich eingeweiht. Mehrere nichtkatholische Konzilsbeobachter wohnen dort für die Dauer ihres Rom-Aufenthaltes. Dieses Haus ist eines der „ökumenischen Gesprächszentren“ Roms. Man möchte fast sagen, hier geschehe alles ökumenisch, hier sei die Einheit schon fast Wirklichkeit: Die Frühmesse wird meist von Priestern gelesen, die als „Pioniere“ des interkonfessionellen Gesprächs gelten; nicht selten nehmen die nichtkatholischen Gäste an diesen Gottesdiensten teil. Das gemeinsame Mahl, bei dein einer den anderen bedient, die Gespräche im Salon, von dessen Fenstern der Blick zu den herzlichen Brunnen Berhinis geht — hier ist Begegnung, Zusammensein in gegenseitiger Achtung und Offenheit.

„Ich persönlich bin davon überzeugt, daß uns zunächst die Eintracht aufgegeben ist, nicht eine Fusionierung aller Kirchen, die ich nicht für so vordringlich halte“, meinte einmal Professor van H o 1 k von der Universität Leyden, der die Internationale Vereinigung für „freies Christentum und religiöse Freiheit“ beim Konzil vertritt. Seine kraftvolle, Geist und Humor sprühende Persönlichkeit ist oft Mittelpunkt am Frühstückstisch im „Foyer“. Van Holk ist Angehöriger der Remonstranten, einer liberalen Abspaltung von der kalvinistischen holländischen Nationalkirche. Erst 1930 kam es zu einem internationalen Zusammenschluß liberaler protestantischer Gruppen aus aller Welt, denen ein gewisses „Grundsatzprogramm“ gemeinsam ist: Souveränität des Gewissens in allen Fragen der Sittlichkeit, Förderung der Toleranz und Ablehnung aller Bevormundung in Glaubenssachen durch konfessionelle Mehrheiten, freie kritische Bibelforschung und der Mangel an festen liturgischen Formen. Die Remonstranten, wie die meisten Gruppen dieser „freien Christen“, fühlen sich in ihrer stärkeren Betonung der menschlichen Erkenntnisfähigkeit und ihrer optimistischeren Einstellung zur menschlichen Natur der katholischen Theologie näher verwandt als der orthodox-protestantischen. „Trotz aller dogmatischen Verschiedenheiten sehe ich Wege, auf denen man sich verstehen könnte. Das Wichtigste scheint mir aber zunächst die gegenseitige Achtung, die Einsicht, daß der andere auf seine -Weise <das Evangelium liebt und sich bemüht, darnach zu leben. Ich lege die Worte des Papstes und seine Einladung an uns auch in dieser Richtung aus. So meine ich, daß man von diesem Konzil vieles erwarten darf, wenngleich ich es für unklug hielte, sich von vornherein auf Bestimmtes festzulegen.“

„Das Gespräch mit Andersgläubigen ist gewissermaßen eines unserer .Dogmen', und da wir den Eindruck haben, daß Johannes XXIII. einen wirklichen Dialog wünscht, sind wir dieser Einladung nach Rom auch gerne gefolgt.“ Prof. L. Adams von der Divinity School von Havard, Boston, USA, ist der zweite Delegierte der Internationalen Vereinigung für freies Christentum. Er ist unitarischer Christ und lehnt als solcher feste kirchliche Organisationen und den Anspruch irgendeiner Kirche, die volle Wahrheit allein zu besitzen, ab. Adams sieht hierin Haupthindernisse für eine Verständigung. Anderseits bemüht er sich aber, auf Gemeinsamkeiten, etwa in der Auffassung vom Naturrecht und der menschlichen Natur mit der katholischen Kirche, hinzuweisen. Wenn er auch meine, es sei verfrüht, jetzt schon an eine Einigung zu denken, so anerkennt er die aufgeschlossene Haltung des Papstes („Wir erwarteten, bei der Konzilseröffnung in irgendwelche Rücksitze verstaut zu werden. Statt dessen saßen wir in den vordersten Reihen.'“) und deutet auf die Möglichkeit, es könnte dieser Papst eine neue Epoche der Kirchengeschichte einleiten. „Jedenfalls aber halte ich die Zeit für gekommen, da man die gemeinsame christliche Berufung, die menschliche Gesellschaft in Gerechtigkeit und Liebe zu erneuern, verwirklichen muß.“

Der Eingang zur Dependance des „Foyer“ befindet sich neben einem Wäschegeschäft in der Via del Ple-biscito. Ein improvisiertes Pappschild hängt im Stiegenhaus, darauf ist ein Pfeil und das Wort „T a i z e“ gemalt. Hier wohnen die vier Delegierten des einzigen evangelischen Männerordens, der „Brüder von Taize“, der Prior und Gründer Roger Schütz, der Sub-prior und zwei Brüder. „In diesen Räumen werden wir uns für die Dauer des Konzils unser .Kloster' einrichten“, erklärt Prior Schütz, „und wir betrachten es als unsere vordringlichste Aufgabe, hier für die Einheit, insbesondere zuerst unter den Katholiken, zu beten, wie auch unsere Gemeinschaft in Taize glühend für dieses Konzil betet.“

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