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Regierungskrise aus dem Ather

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Als die niederländische Regierung im Dezember des vergangenen Jahres plötzlich energisch daranging, den unbotmäßigen „Ätherpiraten“ das Handwerk zu legen, indem die königliche Marine die TV-Insel Nordsee kurzerhand besetzte, sämtliche Apparaturen versiegelte und somit den REM-Sender außer Betrieb setzte, war der kurze Traum eines freien, unabhängigen holländischen Fernsehsenders zu Ende. Das Volk, das in überwiegender Mehrheit auf der Seite der wagemutigen Pioniere gestanden hatte, gab sich nicht zufrieden, bevor nicht die Regierung zweierlei zusagte: Das zweite Programm sollte unverzüglich auf legalem Wege eingeführt werden und das erstarrte Säulensystem in Rundfunk und Fernsehen eine gründliche Neugestaltung erfahren. Das erste Versprechen wurde glatt eingelöst, die Erledigung der zweiten Angelegenheit indessen war schwieriger.

Die Taten und Losungen der REM entfachten den Ruf nach Freiheit im Äther aufs neue. Die Geschehnisse haben den ganzen Komplex von Funkproblemen wieder einmal zur Debatte gestellt.

Die Funkvereine, die Großmächte des Äthers, fünf an der Zahl, diese vielgeschmähten Säulen, die für die

Veranstaltungen des Rundfunks und Fernsehens verantwortlich sind, wuchsen aus den politischen Parteien, mithin aus der freien Gesellschaft auf, wurden auf der Grundlage des ideologischen Partikularismus aufgebaut, zeigen weder ein staatsmonopolisches noch ein kommerzielles, sondern vielmehr ein gut demokratisches Gepräge. Die Sendungen werden im Rahmen christlicher, humanistischer und sozialistischer Grundprinzipien veranstaltet, sind somit durchaus weltanschaulich bedingt. Der Staat übt eine überwachende, kontrollierende Tätigkeit aus und hat aucn anderseits die Hand im Spiel, hält immer einen Finger im Brei, wie man im Lande sagt, ohne sich hemmend oder störend bemerkbar zu machen.

Soweit wäre alles in bester Ordnung. In der Praxis bewährt sich das Säulensystem indessen längst nicht mehr. Das hat mehrere Gründe. Nachdem sich die Parteien konsolidiert haben und in vierzig Jahren kaum noch politische Verschiebungen stattfanden, droht die Demokratie zu erstarren, und das Interesse an der Politik ging allmählich verloren. Statistiker stellten fest, daß sich 75 Prozent der Niederländer die Politik nicht angelegen sein lassen und, wenn es keine Wahlpflicht gäbe, längst nicht mehr an den Wahlen teilnähmen. Soviel steht fest: die Funkvereine vertreten nicht mehr den Großteil der Hörer und Seher. Andere Gruppen, wie u. a. die Freunde der REM und die Leser der Funkzeitschrift „Televisier“, die sich gegen den Widerstand der großen Fünf durchsetzte, fordern ihren Platz im Äther. Und das um so energischer, als die Programme nicht mehr nach dem Geschmack des Publikums sind. Es kämen somit noch etliche Säulen hinzu? Weit Höheres schwebt den neuen Bewerbern vor. Jeder hegt den Ehrgeiz, er könne, allein oder mit anderen im Verein, den alles überragenden zentralen Sender stellen, der das unabhängige, universale, das lang ersehnte nationale Programm ausstrahlen werde. Der Gedanke ist so alt wie der Funk selber, schon in den zwanziger Jahren wurde die Frage emsig diskutiert. Integration oder Partikularismus, das sind die Pole, heute erst recht. Das ideale Vorbild, immer unerreicht, ist die englische BBC: „Information, Education, Entertainment“, in der genauen, gewünschten Mischung. Für niederländische Verhältnisse vorläufig noch ein Wunschtraum, wie die perfekte Demokratie der Engländer übrigens auch.

Zu alledem hat die REM auch die Frage eines kommerziell gerichteten Funks wieder in den Vordergrund gestellt. Das ist nun eine heißumstrittene Frage geworden. Daß sie jedoch eine Regierungskrise auszulösen vermöchte, hat vor allem im Ausland Verwunderung hervorgerufen. Wenn aber, wie Duhamel wohl in einer Anwandlung von Pessimismus meinte, der Rundfunk für fähig gehalten werden muß, unsere Kultur gänzlich zu zerrütten, dann muß es ihm ein leichtes sein, eine nur scheinbar stabile Regierung aus dem Sattel zu heben.

Schon bei der Regierungsformation im Jahre 1963 mußten schroffe Gegensätze überwunden werden, um zu der gewünschten Koalition von Katholiken, Protestanten und Liberalen zu 'gelangen: Die Sozialisten'' um jeden Preis zugunsten der Liberalen auszuschalten war vorgefaßter Plan, obgleich die in Frage kommenden Parteiprogramme eine andere Lösung geboten erscheinen ließen. Die Meinungsverschiedenheiten bei der Funkreformation und die Frage der Funkwerbung waren nur zwei von vielen. Man schob sie auf eine Kommission ab und hoffte, daß sie sich eines Tages vielleicht von selbst lösten. Heute zeigt sich, wie brüchig und schwach die Regierungskoalition ist.

Man wird die Bruchstelle zu verkleistern suchen. Das dürfte leicht gelingen. Die Sozialisten werden auch diesmal noch keine Chance haben. Noch andere Schäden zeigten sich indessen, die nicht so schnell kuriert werden können. Eine Kluft tut sich auf zwischen der Regierung und einem Teil des Parlamentes einerseits und dem Wählervolk anderseits. Die Regierung hat auch im Parlament ein tiefes Stillschweigen über die Hintergründe der Kabinettskrise bewahrt. Die Parteien der Opposition wissen sowenig wie die Presse und das Volk, was eigentlich gespielt wird. Eine groteske Situation: Eine Regierungskrise, die sich hinter verschlossenen Türen abspielt, wo man im Verborgenen über Offenheit in öffentlichen Angelegenheit des Lebens verhandelt.

Die Regierungskrise wird noch einmal mit Ach und Krach überwunden werden. Ohne die Sozialisten als Partner in eine Koalition aufzunehmen, wird man indessen, wie die Dinge nun einmal liegen, schwerlich zu einer stabilen Regierung gelangen.

Das Säulensystem im Funk kann als Spiegelbild der erstarrten Demokratie überhaupt gelten. Eine befriedigende Lösung im Funkwesen, eine Neuordnung, die allen Wünschen Rechnung trägt und die Sendestunden über die vielen Anwärter gerecht verteilt, wird noch einige Zeit auf sich warten lassen. Ob Werbung in Rundfunk und Fernsehen und die daraus gewonnenen reicheren Mittel das Niveau der Veranstaltungen wirklich zu heben vermögen, das freilich steht auf einem anderen Blatt

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