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Regnorum fundamentum...

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Sieht man etwa ab von dem verhängnisvollen Kramar-Prozeß, der, während de ersten Weltkrieges vor dem Militärgericht gegen einen nationalgesinnten Tschechen, im Grunde tief österreichisch gesinnten Volksmann; geführt wurde und auf Grund bloßer Indizien sogar bis zu einem nur durch kaiserliche Amnestie noch gewendeten Todesurteil gelangte, so ist kaum noch ein Staatsanwalt auf Grund eines nebuloseren Tatbestandes mit einer schweren Anklage betraut worden, als in dem Prozesse Guido Schmidt. Heute ist es auf Grund einer vorbildlich bis in die letzten Winkel des Geschehens forschenden Prozeßführung allgemeine Erkenntnis, was Wissende vor dem Prozeß schon nachdrücklich erklärt hatten: diese Anklage wurde erhoben auf Grund eines bloßen Marktgeredes, weil diejenigen, die nicht die tieferen Zusammenhänge sehen konnten, nach einem Schuldigen suchten und us äußeren Umständen, da eben Guido Schmidf überraschend gleichzeitig mit dem Juliabkommen von 1936 aus seiner bisherigen Beamtenlaufbahn auf die politisch Tribüne getreten war, in ihm den Schuldigen zu erkennen glaubten. Und zum andern war die Anklage erhoben worden deshalb, weil sie manchem als eine Gelegenheit erschien — Parteipolitik heißt oft unbarmherziger Egoismus —, das politische Vorkriegssystem Österreichs, diese Notlösung einer in Wirklichkeit zusammengebrochenen Demokratie, in einem großen Schauprozesse mit der verbrecherischen Kriegsschuld eines seiner bedeutendsten Köpfe zu belasten. Nicsht nur ein einzelner sollte vor Gericht stehen — und dies wurde auch immer wieder gesagt —, sondern sie alle, die von den niederen österreichischen Basteien herab durch vier Jahre den verzweifelten Kampf gegen die infernalischen Mächte des hitlerischen 70-Millio-nen-Reiches allein hatten führen müssen. Denn es gibt Menschen, die immer noch nicht sehen wollen, wer vor den Toren ist, und daß es endlich £eit wäre, die Toten ihre Toten begraben zu lassen.

Schwer ist zu verstehen, wie eifrige Verfolger des Angeklagten nicht begriffen, daß sie mit ihren Bezichtigungen gegen den gewesenen Außenminister der Krisenperiode daran waren, jenen in die Hände zu arbeiten, die die österreichische Politik als eine hitlerische Trabantenpolitik und Österreich als einen Mitschuldigen Hitlerdeutschlands hinstellen möchten. Und es gehört noch mehr zu den Unbegreiflichkeiten, daß auch in der weiteren Umgebung dieses Prozesses diese Zusammenhänge nicht überall rechtzeitig erkannt wurden.

Ein Volksgericht war' es, das jenes vor allem für den Staat gefährliche Gewebe zerstört hat. Denjenigen, die an Stelle der Geschworenengerichte nach den Volksgerichten verlangt haben, war es um eine potenzierte demokratische Gerichtsbarkeit zu tun gewesen. Alles, was irgendwie politischer Parteilichkeit, bourgeoiser Einflüsse, einer Klassenjustiz verdächtig sein könnte, sollte ausgeschlossen sein von der richterlichen Verfolgung der Kriegsverbrecher, aufgerufen war dazu das österreichische Volk selbst. Hinter diesem Gericht stand hoch aufgerichtet die Autorität des österreichischen Volkes, gegen die es keinen Appell gibt. Diejenigen, die jetzt ihrem Mißvergnügen über diesen Richterspruch Ausdruck geben, verleugnen ihren Anspruch, Demokraten zu sein.

Aber in diesem Prozeß haben nicht nur die Schöffen durch den Mund des Richters Recht gesprochen. Schon Wochen vorher hatte sich auf Grund der umfassenden Zeugeneinvernahmen, trotz mancher tendenziöser Zeitungsberichterstattung und durch keine Parteischranken unterbrochen, eine vollständige Revision der öffentlichen Meinung zugunsten des Angeklagten vollzogen. Guido Schmidt ist zugleich mit dem Gerichtsurteil von der erdrückenden Masse des österreichischen Volkes freigesprochen worden. Was man jetzt, an gewisse Gestapoverfahren nach Freisprüchen erinnernd, diesem Manne noch anhängt, nachdem man ihn, den nun als schuldlos Erwiesenen, zwei Jahre lang durch die geistigen Torturen einer zweijährigen Haft und schimpflichen Bezk'hts herumgezogen hat, ist kein sehr würdiges Schauspiel. “ ..

Eine tiefe Genugtuung läßt dieser Prozeß zurück. Er ist ein Schauprozeß geworden in anderem Sinne, als er von manchen gemeint war: er ward ein Schauprozeß für die Ehre Österreichs, auf die aus der Krise von 1938 kein Flecken fällt, und für die Festigkeit eines Staatsfundaments, für die durch keine politischen Leidenschaften erschütterte Sicherheit seiner Rechtspflege.

Einige freimütige Randbemerkungen sind hier am Platze: Diesmal ist nach zwei Jahren eines hochnotpeinlichen Verfahrens der gebührende Freispruch erfolgt. Ist dies nicht eine Erinnerung daran, daß nicht deshalb, weil irgendwo, aus irgendwelchem, zumeist parteilichem Grunde ein Hussa! - Geschrei erhoben wird, ohne ausreichende Beweise Menschen sechzehn bis zwanzig Monate lang wegen politischer Bezichtigungen gefangeng'ehalten werden sollen, um dann, da sich nicht der geringste Tatbestand ergeben hat, überhaupt ohne Erhebung einer Anklage freigelassen zu werden? Wenn wir alle in der Zeit der Kerker und Konzentrationslager eines gelernt haben sollten, so ist es die Hochschätzung der menschlichen Freiheit. .

Es soll sich aber auch nicht mehr ereignen dürfen, daß die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Rechtsprechung, wie es während des Prozesses G. Schmidt geschah, unter einen Presseterror gebeugt werde, der die' öffentliche Meinung bewußt zu mißleiten, dem richterlichen Urteil vorzugreifen, Schöffen und Richter einzuschüchtern sucht. Es konnte geschehen, daß ein Blatt den Angeklagten schon mit dem Strick um den Hals vorführte. Und dennoch hat niemand von den Berufenen dabei mit der Wimper gezuckt, auch nur, um seine Mißbilligung zu bezeugen, obwohl das Gesetz die Justiz gegen solche Verletzungen der, Unabhängigkeit und Freiheit der Rechtsprechung mit ausreichenden Abwehren ausrüstet.

Deshalb aber auch Hut ab vor den Amtsträgern und Schöffen, die in dem abgeschlossenen Großprozeß für Recht und Gerechtigkeit, uneingeschüchtert gegen links und rechts, ihren Mann gestellt haben. Ein Westler von angesehener Stellung, der dieser Tage Wien verließ, sagte bei seiner Abreise: „Ich habe mir den Prozeß Guido Sdimidt angesehen. Ich freue mich: Österreich ist ein Kulturstaat gebliebe n.“

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