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Reich und Reichskleinodien

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In den letzten Tagen sind die Reichskleinodien wieder nach Wien zurückgekehrt und es ist zu hoffen, daß sie in absehbarer , Zeit auch wieder zur Besichtigung ausgestellt werden. Bei dieser Gelegenheit erinnern wir uns an das „Reich“, dessen Sinnbilder die Kleinodien durch viele Jahrhunderte waren. Dieser Begriff des „Reiches“ ist allerdings in den letzten Jahrzehnten so vielfach mißhandelt und mißdeutet worden, daß es notwendig erscheint, einige erklärende Worte dazu zu sagen. Wenn wir die Reichskleinodien zum erstenmal wieder sehen, sollen wir auch etwas davon wissen, was sie bedeuten, und was für ein „Reich“ es war, als dessen Symbole sie galten.

Das Reich, wie es das frühe und hohe Mittelalter gesehen haben, ist eine e i n-malige geschichtliche Größe Es zeugt daher von einem groben geschichtlichen Mißverständnis, von einem Ersten, Zweiten und Dritten Reich zu sprechen. Das eine Reich, wie das Mittelalter es sah, ist die Gemeinschaft der christlichen Völker, wie sie Augustinus in seinem Gottesstaate geschaut hat

Um diese Auffassung recht zu verstehen, muß man sich das Weltbild des frühen Mittelalters vor Augen halten Ahnlich wie im Altertum die Menschen in „Griechen“ (später „Römer“) und „Barbaren“ geschieden wurden, so schied das Mittelalter die Menschheit in Christen und Heiden. Wie im Altertum die Römer, im Gegensatz zu den Barbaren, im römischen Reich zusammengefaßt waren, so sollte nach mittelalterlicher Auffassung das Reich die gesamte Christenheit zusammenfassen, im Gegensatz zu den Heiden. Gegenüber diesen Heider hatte das Reich die Pflicht, sie für das Christentum zu gewinnen oder sie daran zu hindern, der Kirche zu schaden.

Es ist klar, daß dieser Reichsbegriff sich weitgehend mit dem Begriff der Kirche' deckt. „Reich“ ist nichts anderes als die Christenheit in ihrer politischen Erscheinungsform. Dieselben Menschen sind Bürger des Reiches und Glieder der Kirche. Reich und Kirche sind in gleicher Weise heilige Gemeinschaf ten, ihre beiden Oberhäupter in gleicher Weise unmittelbar von Gott berufen. Voraussetzung einer solchen Auffassung vom Reich ist, die selbstverständliche Tatsache der Zugehörigkeit zur großen christlichen •Gemeinde. Der christliche Glaube ist im Reich nicht belanglose Privatsache, sondern Reichsgrundgesetz.

Man kann daher in einer Gesellschaftsordnung, in welcher das Christentum offiziell (überhaupt) nichts gilt, sondern im besten Fall von einem sehr allgemeinen Humanitätsideal abgelöst erscheint, nicht mehr vom „Reich“ sprechen, sondern nur noch vom „Staat“. In diesem Sinne ist also das Reich, dessen Kleinodien noch bestehen, ein für allemal aus der geschichtlichen Wirklichkeit ausgeschieden. Die Versuche, in einem Zweiten und Dritten Reich jenes eine, fälschlich als „Erstes“ Reich bezeichnete Gebilde wieder zu erwecken oder gar zu vollenden, mußten notwendig scheitern, weil die ideellen Grundlagen des Reichsorganismus nicht nur fehlten, sondern geflissentlich abgelehnt, ja sogar bekämpft wurden.

Die tatsächliche Gleichsetzung von Reich und Kirche im Mittelalter brachte es mit sich, daß dieses Reich als heilig galt. Zwar begegnet uns die offizielle Benennung „heiliges“ römisches Reich- erst verhältnismäßig spät, jedenfalls zu einer Zeit, in welcher die Heiligkeit des Reiches nicht mehr so selbstverständlich war wie früher, als man sie noch nicht ausdrücklich betonte. Im Kampf gegen den Papst hat der Kanzler Barbarossas, Rainald v. Dassel, im Jahre 1157 zum erstenmal diesen Zusatz zur Benennung des Reiches gemacht. Die vorhergehenden Jahrhunderte, besonders von Karl dem Großen bis zu Heinrich IV., betrachteten die heilige Reichseinheit als ebenso hejjsnotwendig wie die heilige Einheit der Kirche. Dje beiden Oberhäupter der Kirche, Kaiser und Papst, waren einander gleichberechtigt, der eine den andern in der Ausübung seines heiligen Amtes unterstützend. Das war schon die Auffassung der Zeit Karls des Großen, und dieselbe Auffassung wurde in der Zeit der Ottonen voll ausgebildet Um die Jahrtausendwende war es auch, daß für ein paar kurze Jahre die Idee von der völligen Eintracht zwischen Papst und Kaiser verwirklicht schien: unter den beiden zwanzig Jahre Herrschenden der Welt, dem Papst Gregor V. und Kaiser Otto III.

Zahllos sind aus dieser Zeit die Belege für die Verehrung des heiligen Reiches; sie finden sich in der Geschichtsschreibung, im Texte der Kaiser- und Papsturkunden, besonders aber in der darstellenden Kunst und in der Liturgie. Neben den liturgischen Gebeten für Kaiser und Reich im Kanon der Messe und am Karfreitag ist es besonders die Kaiserkrönung, welche uns die Heiligkeit des Reiches und seines Herrsch ers am eindringlichsten zum Bewußtsein bringt. Galt doch die Kaiserkrönung um die Jahrtausendwende selber als Sakrament, durch das der Neugekrönte seine geistliche Weihe zum Oberhaupt der Welt erhielt. Diese Weihe war im Äußeren vielfach der Priester- und Bischofsweihe nachgebildet. Tatsächlich wurde der Kaiser vor seiner Krönung in das Domkapitel von St. Peter aufgenommen. In der Weihnachtsliturgie war es das Vorrecht des Kaisers, beim päpstlichen Gottesdienst in der Nacht das Evangelium und die Evangelienhomilie des feierlichen Chorgebetes zu singen. Der letzte Kaiser, der dieses Amt in Rom ausübte, war Friedrich II. im Jahre 1468.

Kaiser und Papst waren die beiden geheiligten Träger der Reichsgewalt in der sichtbaren civitas Dei auf Erden. Beide aber erhielten ihre Machtbefugnisse vom unsichtbaren himmlischen Kaiser der Cristenheit, von Christus selbst. Dieser Gedanke trat am machtvollsten zutage auf der „Curia Christi“, dem Christus Reichstag, den Barbarossa zur Vorbereitung des Kreuzzuges im Frühjahr 1188 in Mainz hielt Auf diesem Reichstage sollte Christas selbst den Vorsitz führen, deshalb war der Thron in der Mitte für ihn freigehalten, während der Kaiser und der päpstliche Legat zu den beiden Seiten des Thrones Platz nahmen.

Das eindrucksvollste Zeugnis für die Gleichsetzung von Kirche und Reich und damit für die Heiligkeit des Reiches bietet die Architektur der ottonischen und staufischen Zeit mit ihren doppelchörigen Kir-' chen. Die Kirche (als Bauwerk) galt schon seit der ältesten Zeit als Symbol der kirchlichen Gemeinschaft; nun wurde dieses Bauwerk gleichzeitg auch Symbol des Reiches. Wie dieses Reich (z= Kirche) zwei sichtbare Oberhäupter hatte, welche auf Erden die Stellvertreter des einen unsichtbaren Oberhauptes waren, so erhielten nun lie Dome zwei Chöre — einen Kaiser- und einen Papstchor; in der Mitte aber zwischen diesen Chören stand der Kreuzaltar, der Thron des Himmelskaisers*).

Die Reichskleinodien sind ein Teil jener sichtbaren Zeichen, welche das Sakrament der Kaiserkrönung bildeten Es würde zu weit führen, an dieser Stelle die Bedeutung der einzelnen Insignien zu erklären; es fehlt auch nicht an leicht zugänglicher Literatur dazu. Was in dieser Literatur aber gewöhnlich nicht so klar zum Ausdruck gebracht wird, das ist das Zeugnis für die Heiligkeit des Reiches, wie es von den Reichsinsignien abgelegt wird, und zwar sowohl von den eigentlichen Krönungsinsignien (Krone, Zepter, Reichsapfel Schwert und Krönungsgewänder), als auch von den Reichsheiligtümern (Reichskreuz, heilige Lanze, Evan-geliar). Diese Kleinodien sind Sinnbilder der göttlichen Weihe für den Träger der weltlichen Reichsgewalt im Gottesreiche und Sinnbilder des göttlichen Schutzes für die im Reich geeinte Christenheit.

Wer vor diesen Kleincdien steht, der hat nicht bloß geschichtlich und kunstgeschichtlich wertvolle Gegenstände vor sich, sondern den sichtbaren Ausdruck der Verwirklichung einer der gewaltigsten Ideen der Weltgeschichte, des ' Civitas-Dei-Gedan-kens des hl. Augustinus Es tut dabei wenig zur Sache, daß die Verwirklichung dieser Idee im Reich der Tatsachen nur für ganz kurze Zeit annähernd gelang und daß die Idee selbst in den Wirren einer rein diesseitigen Welt schließlich ganz unterging. Über alle Zeiten und über alle politischen Umwälzungen hinaus bleiben diese Kleinodien ein Denkmal christlicher Staatsweisheit, welche für unsere Zeit nicht weniger aktuell ist, als sie es für das Mittelalter war.

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