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Reiz des Ungewiss

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Am Wochenende begann für das Bundesheer der brisanteste Einsatz seit seinem Bestehen. Insgesamt 291 Soldaten sind in Bosnien stationiert.

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Am Wochenende begann für das Bundesheer der brisanteste Einsatz seit seinem Bestehen. Insgesamt 291 Soldaten sind in Bosnien stationiert.

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Die Österreicher bilden gemeinsam mit Belgiern, Luxemburgern und Griechen in Visoko, 25 Kilometer nordwestlich von Sarajewo, das Transportbataillon „BELUGA". Das Kontingent soll Nachschub für die insgesamt 60.000 Mann umfassende NATO-Friedenstruppe IFOR sowie humanitäre Güter transportieren.

Der Einsatz stellt eine mehrfache Bewährungsprobe dar. Denn erstmals sind unsere Soldaten bei einem Auslandsein-satz nicht der UNO unterstellt, wie es bei den „Blauhelmen" auf Zypern oder auf den Golan-Höhen der Fall ist, sondern direkt der NATO. Auch hätte es noch vor einem halben Jahr kaum einer gewagt, sich für einen Einsatz von Österreichs Soldaten auf dem Balkan einzusetzen. Unsere Männer in Uniform hätten in diesem Jahrhundert schon genug am Balkan angerichtet, wurde argumentiert. Doch inzwischen ist alles anders.

Nach einer mühsamen Fahrt, deren ersten Konvoi die Furche begleitete (siehe Reportage auf Seite 5), sind am Sonntagabend die letzten Soldaten in Visoko eingetroffen, wo sie sechs Monate ihren Dienst verrichten. Der BELU-GA-Truppe wurde von der NATO das schlammige Gelände der Textilfirma Vitex zugewiesen. Obwohl Teile des Firmenareals nicht genutzt werden, verlangen die Eigentümer monatlich 800.000 Schilling Miete.

Auf dem Areal steht eine riesige Lagerhalle aus Stahlbeton. Im zweiten Stock haben die Österreicher Quartier bezogen. Die Unterkunft ist spartanisch. Durch die zerschossenen Fenster pfeift der Wind, Vögel fliegen in das Gebäude. Geschlafen wird in Zehn-Mann-Zelten. Geheizt werden sie mit lauten Heizgeneratoren. Zum Einschlafen wird daher der Gebrauch von Ohrenstöpsel empfohlen. Nur sechs Quadratmeter stehen im Zelt für den einzelnen zur Verfügung. Der Weg zu den Sanitäranlagen ist lang^Vorsprglich warnt ein Schild in der Halle: „Urinieren (Pinkeln) bei Strafe verboten." An einer Auslegung des Bodens mit Plastik wird gearbeitet, damit es nicht staubt. „Der Dreck im Camp wird unser Hauptfeind", sagte ein 39jähriger Milizionär aus Kärnten bei der Ankunft.

Der Tagesablauf ist genau geregelt. Bereits um sechs Uhr morgens verkündet ein Trompetenstoß die „Tagwache". Um zehn Uhr abends sollen alle in den Betten sein. Wer nicht durch Befehl außerhalb eingesetzt ist, muß seine ganze Zeit im Lager verbringen. Ein Ausgang ist aus Sicherheitsgründen verboten. Auch ein Heimaturlaub wird nicht genehmigt. Der leitende Kommandant, Oberstleutnant Josef Kienberger, glaubt nicht, daß im Laufe von sechs Monaten Symptome von Lagerkoller auftreten können: „Solange der Soldat drei Tage in der Woche mit Transporten unterwegs ist, mache ich mir darüber keine Sorgen." Kienber-' ger glaubt an die heilsame Wirkung von Arbeit und Sport. Das Camp selbst bietet derzeit einige Abwechslungen an: einen Bierausschank, kleine Bars, Diskomusik und Fern-ehräume.

Die Motive, warum sich die Männer freiwillig für dieses Leben entscheiden, sind unterschiedlich. Das Kontingent besteht zur Hälfte aus Berufsund Milizsoldaten. 85 Prozent haben bereits UN-Auslandserfahrungen. Viele trieb die hohe Gefahrenzulage nach Visoko. Immerhin verdienen die Soldaten - je nach Dienstgrad - zumindest 32.379 Schilling monatlich. Einige Soldaten sind arbeitslos und können das Geld gut gebrauchen. Auch Abenteuerlust und der „Reiz des Ungewissen, Bedrohlichen" animierte viele zu diesem Dienst. Andere wiederum wollten als Pioniere zum ersten Mal bei einem von der NATO geleiteten Einsatz dabei sein. In Summe kostet Österreich der Einsatz 300 Millionen Schilling im Jahr.

Unter den Uniformierten befindet sich auch der 54jähri-ge Militärpfarrer Franz Auer. Auch er hat sich freiwillig gemeldet, jedoch aus pastoralen Gründen: „Für die Kirche ist es eine ungeheure Chance, die man nutzen muß." Sehr viele Soldaten kommen zu ihm, um

über persönliche Probleme zu sprechen. Zur FURCHE wies er darauf hin, daß nach solchen Auslandseinsätzen die Wahrscheinlichkeit von Ehescheidungen groß sei. Auer, der nach zwei Monaten von einem evangelischen Amtsbruder abgelöst wird, lädt jeden Sonntag zur Eucharistiefeier ein, auch eine Bibelrunde will er gründen. „Die Resonanz auf dieses Angebot ist außerordentlich positiv", freut er sich.

Das militärische Risiko des Einsatzes ist groß. Denn die IFOR wird nicht in dem Sinne neutral sein wie die bisher stationierte UNO. Hatte diese den Auftrag, zwischen den Kampf-linien zu wachen, wird die jetzige Streitmacht auf die Verwirklichung des Friedensabkommens bestehen müssen. Das ist ein wichtiger Unterschied. Zwar sind unsere Soldaten nicht an vorderster Front tätig, sondern sie werden als Nachschubhelfer in der zweiten Reihe eingesetzt. Das wird sie jedoch nicht völlig unverwundbar machen. Sie werden möglicherweise in Kampfsituationen kommen und ihr Leben verteidigen müssen. Die Republik schloß für jeden vorsorglich eine Lebensversicherung von einer Million Schilling ab. Grundsäzlich plant Oberstleutnant Kienberger, bei den Transporten immer sechs Fahrzeuge gemeinsam fahren zu lassen. Es liege außerdem in seinem Entscheidungsbereich, eine Überforderung der Truppe zu verhindern: „Ich habe das Recht, einen Auftrag abzulehnen." Ebenso könne er beim Einsatz in besonders gefährlichen Gebieten eine Eskorte aus Schützenpanzern anfordern.

Uberall in Bosnien, gerade um Sarajewo, lauert Sprengstoff. Niemand weiß, ob die auf ein Jahr befristete Stationierung ausreichen wird, die erhitzten Gemüter abzukühlen. Die Ausbrüche des Hasses sind unvergessen. Jahre werden darüber hingehen, in denen sich erst zeigen muß, ob die neue Ordnung Bestand hat und ob hier nicht ein gigantischer Selbstbetrug der Friedensstifter vorliegt.

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