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„Rektor“ mit 22 Jahren

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Am Dienstag, 10. April 1945, besetzten Rotarmisten die Wiener Innenstadt, am Sonntag, 15. April, wurde die Universität von den russischen Soldaten geräumt und von einem gemischten Komitee von Professoren und Studenten übernommen, Montag, 16. April, wurde die rotweiß-rote Fahne auf der Loggia der Universität gehißt, am Mittwoch, IS. April, wurde die Mensa im Studentenhaus, Kolingasse 19, eröffnet und dieses selbst vom „Beauftragten der österreichischen Widerstandsbewegung“ übernommen. Am 1. Mai 1945 endete ein zehnstündiger Pflichteinsatz für sämtliche Studenten, und der Siebenerausschuß der „Österreichischen demokratischen Studentenschaft“ wurde durch Akklamation anläßlich einer öffentlichen Studentenversammlung in der Aula der Universität gewählt. Am 2. Mai begannen die Inskriptionen zum Sommersemester 1945. Dieses Werk vollbrachte ein kleines Häuflein katholischer Studenten. Ihrer Arbeit soll anläßlich der Wiederkehr des 15. Jahrestages der Eröffnung der Universität Wien im folgenden aus der berufenen Feder von Univ.-Prof. Dr. Kurt Schubert, der als junger Akademiker wesentlichen Anteil am Neubeginn des akademischen Lebens hatte, gedacht werden.

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Am Dienstag, 10. April 1945, besetzten Rotarmisten die Wiener Innenstadt, am Sonntag, 15. April, wurde die Universität von den russischen Soldaten geräumt und von einem gemischten Komitee von Professoren und Studenten übernommen, Montag, 16. April, wurde die rotweiß-rote Fahne auf der Loggia der Universität gehißt, am Mittwoch, IS. April, wurde die Mensa im Studentenhaus, Kolingasse 19, eröffnet und dieses selbst vom „Beauftragten der österreichischen Widerstandsbewegung“ übernommen. Am 1. Mai 1945 endete ein zehnstündiger Pflichteinsatz für sämtliche Studenten, und der Siebenerausschuß der „Österreichischen demokratischen Studentenschaft“ wurde durch Akklamation anläßlich einer öffentlichen Studentenversammlung in der Aula der Universität gewählt. Am 2. Mai begannen die Inskriptionen zum Sommersemester 1945. Dieses Werk vollbrachte ein kleines Häuflein katholischer Studenten. Ihrer Arbeit soll anläßlich der Wiederkehr des 15. Jahrestages der Eröffnung der Universität Wien im folgenden aus der berufenen Feder von Univ.-Prof. Dr. Kurt Schubert, der als junger Akademiker wesentlichen Anteil am Neubeginn des akademischen Lebens hatte, gedacht werden.

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WENN UNS HEUTE JEMAND FRAGT, was wir uns damals gedacht und was wir gewollt haben, so ist die Antwort denkbar einfach und unkompliziert. Wir wollten gar nichts Besonderes, ließen uns vom Augenblick inspirieren und glaubten, daß wir all dies nunmehr tun und frei durchführen könnten, was wir uns seit Jahren nur zuzuflüstern getrauten. Die Machtmaschine des Dritten Reiches war gebrochen, die letzten Reste der SS waren vertrieben und wir alle waren der Meinung, dabei bescheiden mitgewirkt zu haben. Österreich, das für uns auch zwischen 1938 und 1945 nie zu existieren aufgehört hatte, unser Vaterland, war wieder frei. Dieses Gefühl gab uns selbst mitten im Brandschein und Rauch der Ruinen die Kraft, unverzüglich und unbekümmert noch mitten im Bomben- und Granatenregen, mit dem am 11. und 12. April die\SS vom nördlichen Donauufer aus die Wiener Altstadt bedachte, das Aufbauwerk zu beginnen.

In der Nacht vom 9. auf 10. April kamen die ersten Russen, und am 10. April vormittags war schon das ganze Universitätsviertel von Rotarmisten besetzt. Die ersten rotweißroten Armbinden und Fähnchen wurden gesehen.

Den ersten Schritt zur Eröffnung der Universität tat ich selbst am 10 April nachmittags.

Noch mitten durch die russischen Stellungen, hinter einem Panzer oder mich von Haustor zu Haustor vorarbeitend und dabei am Kohlmarkt über den Draht eines russischen Feldtelephons stolpernd, ging ich von der Ebendorferstraße 10, wo ich mit einer Gruppe von Kolleginnen und Kollegen die Kampftage verbracht hatte, nach St. Peter, in das „Hauptquartier“ der katholischen Studenten. Dort empfing ich aus dem Munde des Studentenseelsorgers meine erste Order. Es galt, die Universität wieder zu eröffnen. Der Rückweg wurde mir durch deutsches Feuer auf die Innenstadt erschwert.

Schon am Tag darauf, Mittwoch, den

11. April, trat ich mit einem' Büro der Widerstandsbewegung im Palais Auersperg in Angelegenheit der neu zu eröffnenden Universität in Verbindung. Als Reaktion auf diesen Wunsch erhielt ich einen Stempel auf meine rotweiß-rote Armbinde gedruckt, sonst geschah nichts. Erst am Donnerstag wurde ich in die russische Kommandantur im Hotel Imperial verwiesen. Dort stellte ich mich einfach mit den Worten vor, daß ich der Bevollmächtigte der antifaschistischen Studenten der Universität sei. Ich wurde sofort zu einem hohen Offizier vorgelassen, der mir einen Brief an den Ortskommandanten des ersten Bezirkes gab, in dessen Bereich die Universität gehörte. Noch am

12. April vormittags gab mir der in einem Haus am Graben amtierende Kommandant des ersten Bezirkes als Begleiter einen jungen russischen Offizier, einen Studenten der Kunstgeschichte, der die Verhältnisse in der Universität überprüfen und regeln sollte. Mit seiner Hilfe kam ich in den Besitz des allerwichtigsten Gerätes xur

Eröffnung der Universität, eines Rektoratsrundstempels, aus dem das deutsche Hoheitszeichen herausgeschnitten und ein Wappen des „Bundesstaates Österreich“ vor 1938 unter der fachkundigen Anleitung des Professors für Kriminalistik eingeklebt wurde. Den Doppeladler selbst gewannen wir aus einem alten Stempel des katholisch-theologischen Dekanats.

Nun waren am 12. April mittags alle Hauptschwierigkeiten gebannt, zumal mir besagter russischer Offizier die Räumung der Universität durch das russische Militär schon für Sonntag, den 15. April, in Aussicht gestellt hatte. Im Besitz des Rektoratsstempels brauchte ich nur noch als „Rektor“ zu amtieren. Meine erste Tat in dieser unverhofft schnell erreichten Würd“? war der Versuch, sie so schnell wie möglich wieder loszuwerden. Anderseits nahm ich meine Aufgabe trotzdem blutig ernst. Ich berief für Sonntag, den 15. April 1945, 11 Uhr (an diese Zeitangäbe erinnere ich mich noch genau), eine Professorenversammlung in das von Russen nicht besetzte Institut für Ägyptologie und Afrikanistik in der Frankgasse, dessen Vorstand. Prof. Czer-mak, mich in meiner Würde durch Händedruck bis zu diesem Termin legalisiert hatte. Der Beschluß, für einen so nahegelegenen Termin eine Professorenversammlung zustande zu bringen, war leichter gefaßt als ausgeführt. Mitten durch russische Sperren und teilweise auch durch deutsches Feuer, das noch immer von Zeit zu Zeit herüberdonnerte, trugen meine Freunde die Einladungen bis in die entlegensten Teile Wiens. Am Samstag mittags waren gegen 20 Einladungen zugestellt. Sonntag kamen sechs Professoren. Dieses Kollegium bevollmächtigte mich für weitere drei Tage und trug mir auf, die Eröffnung der Universität durchzuführen, sobald die Russen das Hauptgebäude endgültig geräumt hätten. *

ZWEI PROFESSOREN, EINE STUDENTIN der Orientalistik und ich begaben uns gegen 13 Uhr in die Universität, um offiziell von den letzten abziehenden Russen das Gebäude für den akademischen Gebrauch zu übernehmen. Die Studentin, die etwas Russisch konnte, war unser Dolmetsch. Nachdem wir mit ihrer Hilfe die letzten notwendigen Verhandlungen geführt hatten und gerade an die Arbeit der offiziellen Neueröffnung gehen wollten, traf in Begleitung seiner späteren Sekretärin Rudolf W e n g r a f ein und wies sich ebenfalls als Bevollmächtigter der österreichischen Widerstandsbewegung aus. Nun gab es zwei Bevollmächtigte, und wir beschlossen, unsere Befugnisse voneinander zu trennen. Wengraf sollte die Vorbereitung zu einet österreichischen demokratischen Studentenschaft führen und ich sollte mich vor allem um die bauliche Wiederherstellung und den studentischen Arbeitseinsatz kümmern Noch im Besitz des Rektoratsstempels erließ ich am Montag, den 16. April, eine für die weitere Zeit folgenschwere Verfügung. Von meinen Freunden, die inzwischen durch Zustrom anderer Studenten der katholischen Studentenseelsorge auf etwa dreißig angewachsen waren, ließ ich in allen Teilen Wiens, an den Bäckerläden und an den örtlichen „Bezirksbürgermeisterämtern“ eine Ankündigung in mehreren Dutzend Ausfertigungen anschlagen. Auf ihr war zu lesen:

„Alle Studentinnen und Studenten, die im Sommersemester 1945 inskribieren wollen, werden aufgefordert, unverzüglich in die Universität zu kommen und einen zehnstündigen Räumeinsatz zu leisten, beginn des Sommersemesters am 2. Mai.“

Für den Rektor unterzeichnete ich selbst, und mein Stempel gab dieser Ankündigung sogar ein amtliches Aussehen.

Der Erfolg dieser Aktion war überwältigend. Schon in der ersten Woche meldeten sich etwa 300 Studenten und mehrere Professoren. Am Mittwoch, den 18. April, trat der erste „provisorische akademische Senat“ für zwei Tage zusammen. Ich erinnere mich noch an heftige Meinungsverschiedenheiten, die damals auftraten. Um eine Ahnung vom Wefen dieser Abstimmung zu geben, die im Zimmer der heutigen Rektoratseinlaufstelle durchgeführt wurde, sei nur darauf hingewiesen, daß ich weiterhin mit Sitz und Stimme daran teilnahm, daß aber der Gebäudeverwalter, Oberbaurat Pausewang, und der Gebäudeaufseher, Herr Fessel, stimmberechtigt waren. Doch trotz dieser etwas ungewöhnlichen Zusammensetzung des „akademischen Senats“, wie wir diese Körperschaft euphemistisch nannten, war mein Beschluß zur Eröffnung der Universität sanktioniert, und gemeinsam mit den täglich immer zahlreicher zuströmenden Studenten konnte mein „Einsatzreferat“ an die Arbeit gehen. Jetzt galt es, das Erreichte zu erhalten. *

NIEMANDEN GAB ES, der unseren Entschluß, mit dem Sommersemester zu beginnen, amtlicherseits hätte legalisieren oder aufheben können, und als die provisorische Staatsregierung ihre Arbeit begann, war die Neueröffnung der Universität vollzogen, eine Realität, die man nunmehr zur Kenntnis nehmen konnte. Immer mehr Studenten stießen zu uns, und in der zweiten Woche nach der Eröffnung arbeiteten täglich etwa 500 Studenten an der provisorischen Instandsetzung der Hörsäle und Institute. Da etliche Studenten und Universitätsangestellte, die sich auf meinen Aufruf an die Studenten hin ebenfalls eingefunden hatten, oft weite Strecken zu Fuß zurücklegen mußten und etliche russische Kontrollposten zu passieren hatten, stellten wir ihnen Passierscheine aus, die auch meistens den gewünschten Erfolg hatten und von den Organen der Besatzungsmacht anerkannt wurden. Hier in diesem Zusammenhang sei auch der Arbeiter der Universität, der beiden Gebäudeaufseher, der Heizer usw. und der Bauarbeiter der Firma Rella & Co. gedacht, die den Einsatzstudenten fachliche Anleitungen gaben und unter allergrößten Schwierigkeiten an die Instandsetzung des durch 24 Bombentreffer arg. beschädigten Universitätshauptgebäudes schritten. Material war so gut wie gar keines vorhanden, schwere Holzbalken zum Abstützen mußten von jenseits des Gürtels mit bloßen Händen herbeigeschafft werden. Studenten und Arbeiter waren in dieser bitteren Stunde der Bewährung tatsächlich vereint, trennende politische Ansichten gab es, Gott sei Dank, noch keine.

Schon am Mittwoch, den 18. April, konnten wir die Mensa im Studentenhaus in der Kolingasse mit 50 täglichen Portionen eröffnen. Eine Woche darauf waren es bereits 300 Portionen. Studenten, Professoren und Arbeiter hatten alle den gleichen Zutritt zu dieser ersten Mensa. Bald ging uns das Heizmaterial für die Kessel aus, und so wurde ein eigener Studenteneinsatz-trupp beauftragt, das dafür notwendige Holz aus den Bombenruinen der Umgebung herbeizuschaffen.

Auf Ersuchen des Chefredakteurs schrieb ich diesen Aufsatz in der ersten Person mit schweren Bedenken. Ich selbst war nichts anderes als nur irgendein beliebiger Student dieser schweren Zeit, der die ganze Kraft seiner Person dem neuen Österreich zur Verfügung stellen wollte. Ich könnte Dutzende noch mit Namen nennen, die Namen vieler anderer sind mir wieder entfallen, aber ihrer aller soll an dieser Stelle gedacht sein.

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