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Religion im Sozialismus

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Die Agramer Zeitschrift „Izbor“ veröffentlicht in der Nummer 6/66 zwei Abhandlungen über die Religion in der sozialistischen Gesellschaft. In der einen erläutert diese Frage irgendein Leser Namens Župarič, in der anderen Roger Garaudy, Mitglied des Zentralkomitees und des Politbüros der KP Frankreichs und Direktor des Marxistischen Forschungszentrums in Paris. Es ist interessant, diese zwei grundverschiedenen kommunistischen Darstellungen desselben Problems zu vergleichen, die einen charakteristischen Gegensatz zwischen Plhrasieren und Denken klar an den Tag legen.

Freiheit der antireligiösen Propaganda

Der erwähnte Župarič behauptet, die Religionsgemeinschaften seien vom Staat getrennt, um den ideologischen Kampf zwischen Ungläubigen und Gläubigen zu ermöglichen, da die tatsächliche Freiheit auf dem Gebiet der Religion die Freiheit der antireligiösen Propaganda, des Kampfes gegen die religiösen Auffassungen und für die wissenschaftliche und wahrheitstreue Einstellung zur Welt und zum Leben darstellt. Demnach sei die antireligiöse Propaganda ein Bestandteil des Kampfes für die progressive Entwicklung der Gesellschaft und kein Zeichen des Hasses gegen die Religiösen, da eben die Kommunisten — und nicht die Religion — Achtung vor jedem Menschen haben und ihn deshalb von religiösen Verirrungen befreien wollen. Dieser Kampf wird nicht nur mittels Propaganda, sondern vor allem durch den Ausbau des Sozialismus und durch die Vervollkommnung der direkten gesellschaftlichen Selbstverwaltung geführt.

„Der Kampf der Widersprüche“ — sagt er — „muß unvermeidlich zu dessen, dialektisch gesetzlichen Ausgang, - nämlich -Zur Verneinung deri

Religion, als veralteter'und überholter Erscheinung, führen ... Die sozialistische Entwicklung stürzt die Religion als solche. Der Sozialismus übertrifft also die Religion und baut eine wissenschaftliche Weltanschauung aus. Mit der allmählich zunehmenden Zufriedenheit und der wachsenden Macht über das eigene Schicksal wird der Mensch stets fester zur Überzeugung gelangen, daß es nur diese Welt gibt, wo er für ein gutes und glückliches Leben tatsächlich kämpfen kann und muß, daß jedoch ein anderes, bloß durch die Religion erfundenes Leben überhaupt nicht existiert...“

Fragen, die der Sozialismus nicht beantwortet

Nun, dieser Gedanken ieer)lauf beweist einen Krampf der Widersprüche. Für Župarič ist der Ausbau des Sozialismus an und für sich mit dem Sturz der Religion gleichbedeutend. Dabei macht er sich gar keine Gedanken darüber, wie es dann für viele Millionen Gläubige überhaupt möglich sein sollte, am Ausbau des Sozialismus aktiv mitzuwirken, als gleichberechtigte Mitglieder einer den Sozialismus ausbauen wollenden Gesellschaft, die gegen sie gerichtet ist. Die Gläubigen müßten sich in der sozialistischen Gesellschaft wie Schwerkranke in einem Sanatorium benehmen, wo alles unternommen wird, um sie „auszuheilen“. Das aber dürfte von ihnen wohl kein vernünftiger Mensch erwarten.

Der Staat ist in etlichen Ländern von der Kirche getrennt, aber nicht um einen Kampf zu ermöglichen, doch um ihn zu vermeiden. Wo diese Trennung jedoch wegen der Freiheit des Kampfes durchgeführt wurde, da müßte — im Sinne der Freiheit selbst — für beide Seiten die Möglichkeit geboten werden, von dieser Freiheit Gebrauch machen zu können. Dehn Sin bloß einseitig geführter Kampf ist ein Schlag entweder ins Wasser oder gegen das Recht des — geachteten Menschen. Es sei dahingestellt, welche Weltanschauung dem Menschen — praktisch und nicht nur deklarativ — mehr Achtung, Zufriedenheit und Glück sichert. Allerdings wäre es aber von einer Weltanschauung wissenschaftlicher Ambitionen zu erwar-

ten, daß sie sich auch mit den ewigen Problemen des Menschen: mit dem Sinn und Zweck des Lebens, auseinandersetze. Dies jedoch ist nicht immer der Fall...

Überholte Anschauungen

Grundverschieden von diesem Župaric denkt der eingangs erwähnte Roger Garaudy. Vor einigen Jahren kritisierte er öffentlich den Sekretär des Zetralkomitees der KP der UdSSR, Iljičev, der die Intensivierung des antireligiösen Kampfes forderte. Laut Garaudy bedeutete

Iljičevs Bericht ein Wiedererwachen des idealistischen Atheismus, der die Religion als ein von der ersten bis zur letzten Silbe durch „Tyrannen und Pfaffen“ erfundenes Märchen betrachtete und behauptete, die Wissenschaft könne restlos alle Probleme lösen, welche der Mensch sich stellt. Dies jedoch ist Garaudys Erachtens falsch, da die Wissenschaft keine Antwort auf Fragen gibt, die uns aufs tiefste bewegen, wie — zum Beispiel — auf die Überlegungen über Leben und Tod, während die Religion sich eben mit diesen Problemen intensiv befaßt.

Demnach glaubt selbst Garaudy — einer der führenden marxistischen Denker — nicht, daß der Mensch allein durch die Wissenschaft beglückt werden könne und erklärt all diejenigen, die dies behaupten, für Anhänger längst überholter An-

schauungen. Bombastisch sinnlose Phrasen — wie zum Beispiel des sowjetischen Weltraumschiffspiloten Titov „Ich habe Gott im Weltraum nicht begegnet“ — machen der Wissenschaft sicherlich keine Ehre. Auch der marxistischen nicht.

Garaudy sagt: „Es gibt eine Menge

Fragen, die durch die Wissenschaft nicht beantwortet werden können. Das Christentum hat viele Gebiete erforscht und die Früchte seiner Erfahrungen könnten vielleicht den marxistischen Gedanken bereichern. Zum Beispiel das Problem des Todes. Die Dominikaner laden mich zur Diskussion über dieses Problem ein, ich komme jedoch mit leeren Händen zu dieser Diskussion... Vielleicht besteht die Rolle der Religion eben darin, daß sie ewig Fragen stellt. Durch diese Fragen gibt das Ohristentum den Marxisten keine Ruhe und das ist sehr nützlich.“

Im Gegensatz zu der Behauptung, wonach eine Zunahme des Wohlstandes die Menschen von der Religion abkehren werde, weiß Garaudy genau, daß die ewig offenen Probleme des Menschen der Religion unerschöpfliche Möglichkeiten bieten. Der Mensch gibt sich eben nicht damit zufrieden, daß sein Leben mit dem körperlichen Tode aufhöre.

Atheismus soll nicht Staatsreligion werden

Merkwürdig ist Garaudys Feststellung, daß die Kirche in einem Land, wo die Marxisten die Macht übernommen haben, das Recht der Ausübung ihres Apostolats auch durch Religionspropaganda in der gesamten Gesellschaft beihalte. Der Sieg des Sozialismus darf seiner Meinung nach nicht dazu führen, daß der Atheismus eine Staatsreligion werde. Bereits Engels hat ja in London gegen eine Erhebung des Atheismus zur Staatsreligion Einspruch erhoben, während Lenin sich der Eintragung des Atheismus in die Statuten der Kommunistischen Partei mit der Begründung widersetzte, dies seien anarchistische Vorschläge. Der Kampf gegen die Religionsideologie im Namen der marxistischen Philosophie könne in der kommunistischen Gesellschaft ausschließlich durch theoretische Kritik geführt werden, da Partei und Staat verschiedene Begriffe seien, deren Rollen und Aufgaben klar getrennt bleiben müssen.

Dieser gemäßigte Standpunkt eines führenden marxistischen Denkers und Funktionärs müßte eigentlich von vernünftigen Anhängern der sozialistischen Weltanschauung schon aus dem Grund geteilt werden, weil ein echter Marxist ja alles mit zweifelnder Kritik betrachtet. Möglicherweise trägt dieser materialistische Zweifel dazu bei, daß etliche deklarative Atheisten (zwar durch das Seitentüri) doch in die Kirche gehen, denn — vielleicht gibt es doch einen Gott...

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