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Renegat der Linken

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Paris, im Juni Während de Gaulies Triumphzug durch Algerien mischte sich in die Rufe „Vive de Gaulle!“ und „Algerie Francaise!“ ständig ein „Soustelle! Soustelle!“ In Oran unterbrach dieser Zwischenruf “sogar de Gaulies Rede, so daß der General ärgerlich ausrief: „Ich möchte schon bitten M schweigt endlich! Ich fordere euch alle auf, mir auf dem Weg zu folgen, auf den Frankreich zu führen ich die Aufgabe habe.“ Wer ist dieser Mann, der bis zu de Gaulles Fahrt nach Algerien als des Generals Sprachrohr galt und dessen Name nun dem Regierungschef mit drohendem Unterton als Forderung zugerufen wurde?

Jacques Soustelle ist in der Vierten Republik das aufschlußreichste Beispiel eines Renegaten der Linken. Er übertrifft darin noch seinen Nachfolger auf dem Stuhl des algerischen Prokonsuls, den Sozialisten Lacoste, der aus der Gewerkschaftsbewegung kommt. Der heute 46jährige Soustelle stammt aus dem Herzen der französischen Linken: aus ihrer „Intelligentzia“. Und auch hier gehörte er nicht einer beliebigen Fraktion an, sondern zählte in der Mitte der dreißiger Jahre als blutjunger Ethnologe zur Equipe des „Musee de l'Homme“. Dieses Museum am Trocadero-Platz in Paris war damals mehr als ein Museum: es war, darin dem Hork-heimer-Adornoschen Institut an der Universität Frankfurt Ter 1933 vergleichbar-,' €ki'Art von geistigem Generalstab der Linken, und sein Schöpfer, Paul R i v e t, war zusammen mit Viktor Bäsch (von der „Liga für Menschenrechte“) der eigentliche Initiator der „Volksfront“ von 1936. Kein Wunder, daß Soustelle von diesem Kreis auf einen Schlüsselposten geschoben wurde: 1938 wurde er Generalsekretär der „Union der französischen Intellektuellen gegen den Faschismus und den Krieg“. Es ist oft behauptet worden, daß Soustelle damals auch Kommunist gewesen sei. Offizielles Parteimitglied war er jedoch nie, aber es ist immerhin anzunehmen, daß die Kommunistische Partei, die in der Union stark vertreten war, nicht einen Mann auf dieser Schaltstelle geduldet hätte, der ihres Vertrauens nicht würdig gewesen wäre.

Wie konnte ein Mann mit einer solchen Vergangenheit 1958 für die Massen der französischen Linken zur Verkörperung des „Faschismus1“ werden? Auf den ersten Blick scheinen wir eine typische Karriere im Sinne des berühmten Wortes von Briand vor uns zu haben: „Wer in seiner Jugend kein Sozialist ist, hat kein Herz; wer in seinem Alter nicht rechts steht, hat keinen Verstand.“ In Montpellier als Sohn einer Familie aus der kargen Berggegend der Ceven-nen geboren, ist Soustelle in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen. Seine Lehrer erkämpften für den brillanten Schüler die Stipendien, die seinen blitzartigen Aufstieg ermöglichten: mit 17 Jahren tritt er als erster seiner 'Promotion in die Brutstätte der französischen Elite, die Ecole Normale in Paris, ein; mit 20 Jahren ist er „Agrege“ (entspricht unserem Doktor) der Philosophie; mit 25 Jahren ist er Vizedirektor am Musee de 1'Homme, nachdem er während eines dreijährigen Aufenthaltes in Mexiko seine „These“ (entspricht etwa unserer Habilitation) über altamerikanische Kultur vorbereitet hatte. Der Krieg jedoch entreißt ihn der wissenschaftlichen Laufbahn, die sich vor ihm aufgetan hatte.

Bei Kriegsausbruch befindet er sich in Südamerika. Im Juli 1940 schließt er sich als einer der ersten de Gaulle an und wird zu einer der wichtigsten Figuren im Stab des Generals. 1943 stellt ihn dieser an die Spitze des Geheimdienstes des „Freien Frankreich“, des BCRA (Bureau Central de Renseignements et d'Action). Bei der Liberation wird er erst Kommissär der Republik in Bordeaux, dann Informationsminister (als Vorgänger von Malraux) und Kolonialminister. Aber er verläßt mit de Gaulle die Macht und wird 1948 bei der Gründung des gaullistischen RPF (Ressemblement du Peuple Francais) dessen erster Generalsekretär und treibende Kraft. Daß Soustelle kein simpler Arrivist ist, zeigt ich jedoch, nachdem das RPF wie ein Strohfeuer in sich zusammengesunken ist. Im Gegensatz zu so vielen anderen Gaullisten läßt er sich nicht dazu verlocken, sich bequem in dem bisher bekämpften „System“ einzurichten und die revolutionären Ideen für den Sonntag aufzusparen.

Davon macht auch keine Ausnahme, als er sich im Jänner 1955, kurz nach Ausbruch des Algerienkrieges, vom damaligen Ministerpräsidenten Mendes-France als Generalgouverneur nach Algerien schicken läßt. Diesen Posten nämlich tritt er durchaus noch als „Linker“ an, der den Colons liberale Reformen zugunsten der Algerier aufzwingen will und dementsprechend drüben mit Mißtrauen, ja Feindseligkeit empfangen wird. Er ist dort der „schwarze Mann“, weil er, gestützt auf seine ethnologischen Kenntnisse, innerhalb der Vierten Republik das gescheiteste Projekt eines föderativen Umbaus des Kolonialreiches mit weitgehender Autonomie für alle Ueberseegebiete (inklusive Algerien) aufgestellt hatte. Als er ein Jahr später seinen Posten räumen muß, suchen ihn jedoch die Massen der weißen Bevölkerung mit Gewalt an der Abreise zu verhindern. Er war über Nacht zu ihrem Idol geworden.

Man hat nie völlige Klarheit über das „Damaskus“ gewinnen können, das Soustelle in Algerien durchgemacht hat. Daß er plötzlich alle föderativen Ideen über Bord warf und sich zur unbedingten „Integration“ (Eingliederung) Algeriens in das französische „Mutterland“ bekannte, darf wohl nicht einfach auf den Druck der einheimischen „Ultras“ zurückgeführt werden. Es heißt, daß der Anblick der Kadaver nach einem von Maquis durchgeführten Massaker in ihm den Umschlag bewirkt habe. Sich nun aber zu einem kolonialistischen Herrenstandpunkt zu bekennen — daran hinderte ihn seine linke Vergangenheit. So verleugnete er denn den Kenner fremder Völker in sich selbst und warf sich der Assimilationsidee in die Arme: die zehn Millionen Algerier sollen zu Franzosen mit den gleichen Rechten und Pflichten wie die Bevölkerung Frankreichs werden.

Das ist nicht einfach die Idee eines schrulligen Außenseiters. Der organisatorisch äußerst begabte Soustelle hat es verstanden, die Kommandohebel der von den Algerienfranzosen ausgehenden „nationalen Revolution“ in die Hand zu bekommen. Nach seiner Absetzung als Generalgouverneur hat er mit B i d a u 11, Morice, Duchet und sogar ausgesprochenen Rechtsextremisten die USRAF (Union pour le Salut et le Renouveau de r Algerie Francaise) gegründet, die zur Dachorganisation aller gegen eine liberale Nordafrikapolitik arbeitenden Gruppen geworden ist. Vor allem aber besteht ja das Netz seines BCRA aus der Kriegszeit unter anderen Namen (erst DGER, heute SDEC) als Spionageabwehrdienst weiter und ist ihm treu ergeben geblieben. Nach Meinung vieler ist hier der Schlüssel zum Putsch von Algijr zu suchen: Soustelle kontrolliert einen der vielen konkurrenzierenden Polizeidienste der Vierten Republik und konnte ihn zur Vorbereitung des Pronunciamentos verwenden. So ist es zu dem eigenartigen Gemisch des „Faschismus“ gekommen, der die Rebellion in Algerien trägt: ein vom Gaullismus herkommender „Linksfaschismus“ hat sich dort mit ehemaligen Anhängern Petains (Prototyp: Alain de S e r i g n y, Chefredakteur des „Echo d'Alger“) verbündet und außerdem mit ganz jungen Leuten (Prototyp: der Studentenführer und Fallichirmjägerleutnant L a g a i 11 a r d e), denen das Schisma vom „Freien Frankreich“ und Vichy nur noch eine Legende ist.

Ist es für dieses seltsame Gemisch eine bloße Finte zum Zeitgewinn, wenn es von Soustelle die Parole der „Integration“ übernommen hat und mit Hilfe der Armee Verbrüderungsszenen zwischen Weißen und Algeriern inszeniert? Die Integrationsidee ist nicht neu: sie ist von Frankreich in Notsituationen schon öfter als Leitidee seiner Algerienpolitik proklamiert worden. Aber Ernst hat man mit ihr nie gemacht. Aus einem einfachen Grunde: im Falle ihrer konsequenten Durchführung würde sie auf einen Schlag neben etwa 15 weißen Abgeordneten aus Algerien gut 140 Algerier in die Kammer bringen. Und beim sprunghaften Anwachsen der algerischen Bevölkerung ist leicht auszurechnen, daß in etwa drei bis vier Jahrzehnten diese Abgeordneten in der Djellaba zusammen mit den Kommunisten die Kammermehrheit innehätten. Aber die Massen der Europäer haben de Gaulle zugejubelt, als der General auf seiner Reise durch Algerien sich, obwohl im Herzen Föderalist, in verklausulierten Worten zur Integrationsidee und zu einem einheitlichen Wahlkollegium von europäischer und muselmanischer Bevölkerung bekannte. Ob sich damit die französische Politik nicht von neuem in eine Sackgasse verrannt hat?

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