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Rettungsversuch in letzter. Stunde

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Mit diesem „Brief an einen alten Freund“ über eine Episode aus den letzten Tagen der alten Monarchie, den uns der damalige Gesandte Oesterreich-Ungams in Sofia, Graf Otto Czernin-Chudenitz, zur Verfügung stellt, erfährt die Oeffentlichkeit zum ersten Male von einem bedeutenden Plane aus den ereignisreichen Tagen des Oktober 1918, der den Zerfall des alten Staates möglicherweise hätte verhindern können. Der Plan, mit dem Kaiser besprochen und von ihm gutgeheißen, kam in letzter Stunde durch den Einspruch ungarischer Staatsmänner zu Fall, und das Schicksal nahm seinen Lauf.

Diese Veröffentlichung stellt einen nicht unbedeutenden Beitrag zur Geschichte des Zusammenbruches dar.

Die „Furche“.

Lieber Freund!

Du hast Dich neulich über die kurze Rolle erkundigt, in die ich in den letzten Wochen vor dem Umsturz hineinkam. Ich fand dann keine Gelegenheit, Dich darüber aufzuklären. Da Du aber dafür Interesse hast, so will ich Dir die Sache mitteilen, die, wie ich glaube, noch einiges gerettet hätte. Ich habe im Gegensatz zu anderen Persönlichkeiten, die gegen Schluß eine größere oder kleinere Rolle spielten, es stets als unmöglich zurück gewiesen, irgend etwas zu publizieren, wozu ich nicht von Seiner Majestät autorisiert wurde, daher ist auch nur wenigen Menschen diese Episode bekannt.

Hier der Verlauf:

Ich war Gesandter in Sofia, als ich Anfang Oktober 1918 erfuhr, daß Präsident Wilson es nunmehr ablehne, mit den österreichisch-ungarischen Staatsmännern zu verhandeln, und sich nur mehr mit den Führern der Nationalitäten in einen Gedankenaustausch einlasse. Ich sah von diesem Moment an, da ja Wilson die Führung der Feinde innehatte, unsere Sache als nahezu verloren, und es kam mir ein Gedanke, der noch die letzte Möglichkeit einer Rettung, wenigstens der Dynastie, bringen konnte. Obgleich ich mir bewußt war, daß ich als Gesandter in Sofia in der großen allgemeinen Frage nicht mitzureden hätte, war ich der Ansicht, daß ungewöhnliche Zeiten auch ungewöhnliche Schritte rechtfertigten, und entschloß mich, meinen Plan, den ich im nachfolgenden wiedergebe, unbedingt Seiner Majestät zukommen zu lassen. Zu diesem Be- hufe telegraphierte ich den Plan an den Minister Burian und gleichzeitig auch durch unseren Militärbevollmächtigten an General Arz, mit der Bitte, ihn Seiner Majestät zu unterbreiten. Hiermit hatte ich mein Gewissen erleichtert. Wie ich später feststellte, hatten die beiden höchsten Funktionäre mein Telegramm anstatt an die Kabinettskanzlei dem Papierkorb zukommen lassen.

Meine Idee war folgende: Von der Ueberzeugung durchdrungen, daß die Entente, besonders Frankreich und England, die Zertrümmerung der Monarchie nicht wünschten, sondern nur mangels anderer realisierbarer Vorschläge immer mehr das Programm Masaryks und der serbischen Führer akzeptierten, suchte ich einen Ausweg, um der Entente eine Lösung mundgerecht zu machen, die bei Anerkennung ihres Sieges doch gleichzeitig die Rettung eines Teiles unseres Vaterlandes und vor allem der Dynastie ermöglichen würde.

Ich schlug vor, man möge der Entente sofort mitteilen, Oesterreich-Ungarn akzeptiere im vorhinein jede Lösung, welche die Entente betreffs Oesterreich-Ungarns treffen würde. (Dies war nur theoretisch eine Erniedrigung oder ein Opfer, da ja unser Schicksal besiegelt war.) Da aber das österreichisch-ungarische Problem mit Rücksicht auf die sich widersprechenden Wünsche der Nationalitäten nicht nach einseitigen Einflüsterungen dauernd geregelt werden könne, so möge die Entente nach Kenntnisnahme unserer vorherigen Akzeptierung ihrer Entscheidungen eine internationale Kommission nach Wien entsenden, welche an Ort und Stelle und nach Anhörung der verschiedenen nationalen Standpunkte über das Los des künftigen Oesterreich-Ungarn zu entscheiden hätte. Meiner Ansicht nach hätte die Entente diesen Vorschlag nicht ablehnen können, da er ja unserer Kapitulation gleichkam. Sie hätte damit auch alle

Widersprüche seitens der nationalen Führer abweisen können und sie hätte — mit vielen noch wichtigeren Fragen beschäftigt — Zeit gefunden, um in Muße und in ruhigeren späteren Zeiten doch noch einen Torso der Monarchie zu retten, was sie ja eigentlich immer wollte. Bis zur definitiven Beschlußfassung sollte, meinem Vorschläge gemäß, die Entente die österreichisch-ungarische Regierung und besonders die Dynastie in ihren Rollen belassen und durch Entsendung von Ententetruppen die innere Ordnung in Oesterreich-Ungarn aufrechterhalten helfen.

Meine Idee war, daß man diese Kommission in Wien leicht hätte beeinflussen können, daß sie die Notwendigkeit eines Donaureiches anerkannt hätte, daß man die schamlose Behandlung der Dynastie verhütet hätte, daß es nie zum ungarischen Bolschewismus und zum schleichenden österreichischen Bolschewismus gekommen wäre, kurz, daß man nichts zu verlieren, aber viel zu gewinnen hatte. Auf meine Telegramme erhielt ich nie eine Antwort, da sie, wie ich später feststellte, nie bis an die höchste Stelle gelangten.

Nach dem Einzug der Ententetruppen in Sofia und nach Abtransport unserer Kolonie, reiste ich mit der Gesandtschaft Ende Oktober nach Wien, wo ich mich bei Seiner Majestät meldete. Allerhöchst derselbe fragte mich, was man nach meiner Meinung in der verzweifelten Lage noch machen könne, worauf ich erwiderte, daß ich meinen Plan schon vor Wochen durch zwei hohe Stellen allerhöchst demselben habe unterbreiten lassen, obwohl ich dazu nicht berufen war. Seine Majestät sagte, er habe von den Telegrammen nie etwas erfahren, und befahl mir, nach kurzer mündlicher Rekapitulation derselben, meinen Plan im anstoßenden Flügeladjutantenzimmer schriftlich zu wiederholen. Diesem Befehl kam ich nach und hielt die Sache für abgeschlossen und meine Pflicht für erfüllt.

Tags darauf kam ich mit dem Botschafter Prinz Hans Schönburg auf die Sache zurück, und er war von der Richtigkeit meiner Auffassung so erfüllt, daß er mich aufforderte, mit ihm gemeinsam um eine neuerliche Audienz zu bitten, um Seine Majestät zu bewegen, der Sache näherzutreten. Ich wollte mich nicht nochmals vordrängen, bezeichnete mein Gewissen als durch den früheren Schritt als beruhigt und wollte Seine Majestät in diesen schweren Tagen nicht nochmals belästigen. Hans Schönburg gab jedoch nicht nach, und so willigte ich ein, mit ihm gemeinsam nochmals bei Seiner Majestät in Audienz zu erscheinen.

Nachdem hierauf auch Ihrer Majestät über den bereits etwas verspäteten Plan Vortrag erstattet worden war, ließ uns der Kaiser einige Zeit warten, berief uns nochmals und sagte folgendes: „Ich finde Ihren Vorschlag gut, halte ihn für die einzige mögliche Rettung in einer verzweifelten Lage. Da ich jetzt keinen Minister des Aeußeren ernennen will, ernenne ich den Grafen Otto Czernin zum Leiter des Ministeriums des Aeußeren und befehle ihm, den mir vor gelegten Plan sofort auszuführen.“

Ich hatte gedacht, Seine Majestät würde den noch im Amte befindlichen Minister der Aeußeren Graf Andrassy mit der Durchführung betrauen, und so war mir die beschlossene Lösung eigentlich sehr überraschend, da ich als jüngerer Gesandter mit der Opposition der Bürokratie am Ballhausplatz rechnen mußte und auch wußte, daß ungarischerseits gegen eine „Unterwerfung“ der stärkste Widerstand geleistet werden würde.

Ich beugte mich aber natürlich unter den Befehl des Kaisers und bat nur um einige Stunden Zeit, bis ich alle Details meines Planes im reinen hätte.

Der Kaiser befahl mir, ihn abends aus dem Ministerium des Aeußern telephonisch anzurufen und den Zeitpunkt zu melden, wann meine Ernennung offiziell erfolgen könne.

Als ich dies gegen 9 Uhr abends befolgte, sagte mir Seine Majestät in seiner rührend guten Einfachheit durchs Telephon: „Nehmen Sie es mir nicht übel, die Situation hat sich wieder geändert, Lajos Windischgrätz und Andrassy sind, gegen Ihren Plan, und ich muß es mir noch überlegen.“ Ich konnte nur erwidern: „Um Gottes Willen, Eure Majestät, ich habe ja nur meine Pflicht erfüllen wollen und unterwerfe mich natürlich bedingungslos den Entschlüssen Eurer Majestät.“

Ich hörte dann nichts mehr.

Andrassy blieb noch einige Tage im Amt und die Weltgeschichte nahm ihren Lauf.

Dies in Kürze die Episode, auf die Du ar gespielt hast.

Ich sah dann den Kaiser das letztemal im Dezember 1920 in der Schweiz. Er ist mir immer gnädig geblieben.

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