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REVUE IM AUSLAND

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„La Documentation Catho- 1 i q u e“ bringt den vollen Wortlaut der großen zur Eröffnung der UNESCO-Ver- sammlung in Mexiko von Jacques M a r i- tain gehaltenen Rede über „Die Voraussetzungen des Weltfriedens“. Nach einer umfassenden Analyse der geistigen und politischen Nachkriegssituation wies Mari- tain auf die Probleme einer übernationalen Weltorganisation hin, wie sie Emery Reves in seinem bekannten Buch über cfie „Anatomie des Friedens“ dargelegt hat. Trotz des „Babclismus“ des modernen Denkens, wo „die Stimme, die jeder erbebt, für seine Weggefährten nichts als ein Lärm ist“, gebe es eine weitgehende Übereinstimmung in der „praktischen Ideologie“ in grundlegenden Prinzipien des Verhaltens, wie sie bei der Londoner UNESCO-Kon- ferenz als eine gleichsam neue, internationale Erklärung der Menschenrechte niedergelegt worden sei.

„Wenn ein solider und dauerhafter Friedenszustand, der wirklich diesen Namen verdient, eines Tages unter den Völkern errichtet werden soll, so wird dies nicht allein von politischen, wirtschaftlichen und finanziellen, durch Diplomaten und Staatsmänner geschlossenen Abkommen abhängen, nicht allein von der rechtlichen Errichtung eines wahrhaft übernationalen, ordnenden, mit wirksamen Machtmitteln ausgestatteten Organismus, sondern auch von dem tiefen Zusammenhalt, der im Gewissen der Menschen durch die erwähnten praktischen Prinzipien erzielt wurde. Und das wird auch, um die Dinge beim rechten Namen zu nennen, von jener seelischen Ergänzung abliängen, von der Bergson erklärte, daß unsere durch die Technik vergrößerte Welt ihrer bedarf, und von einer siegreichen Ausbreitung jener obersten und freien Kraft, die von oben zu unskommt und von der wir — welcher Denkrichtung oder welchem religiösen Bekenntnis wir angehören mögen — wissen, daß ihr Name die brüderliche Liebe ist und daß sie in dieser Form durdi das Evangelium verkündet wurde, das für immer das menschliche Gewissen aufgerüttelt hat.“

In einem noch vor der Ermordung Gandhis geschriebenen Artikel „Indien — Pakistan“ im Londoner „Spectator" behandelt Horace Alexander, der im Auftrag der Quäker seit vielen Jahren in der Hilfs- und Versöhnungsaktion in Indien tätig ist, die ungeheuren Schwierigkeiten, mit denen die neuen, in der Verwaltung unerfahrenen indischen Regierungen zu kämpfen haben, da sie zudem nur über einen zerrissenen, seiner höheren englischen Beamten beraubten Behördenapparat verfügen. Über die Verantwortung an den Unruhen und Kämpfen schreibt er:

„Es ist zu früh, um eine endgültige Festlegung der Verantwortung für diese große Katastrophe zu versuchen. Die meisten einigermaßen unparteiischen Menschen scheinen darin übereinzustimmen, daß nach dem 15. August die Sikhs die ärgsten Sünder waren. Aber wenn man die Geschichte im vergangenen März oder noch früher beginnen läßt, kann man zu einem anderen Urteil kommen. Vielleicht wird die Geschichte die größte Schuld denen zuschrciben, die in den vergangenen Jahren in beiden großen Gemeinschaften, bei Muslims und Hindus, gegenseitiges Mißtrauen und Trennung gepredigt haben, wobei einige sogar so weit gingen, einen Bevölkerungsaustausch zu empfehlen. Gewiß muß jeder, der vor wenigen Monaten in dieser Weise sprach, heute mit Abscheu vor seinen eigenen Worten zurückschrecken."

In einem Artikel „Über das zukünftige Schicksal der italienischen Kolonien“ in der „C i v i 11 ä C a 11 o 1 i c a“ bezeichnet A. Messineo den Antrag der italienischen Regierung auf Übertragung der Treuhänderschaft über die früheren italienischen Kolonien als den einzig möglichen Weg zu einer gerechten und dauerhaften Lösung dieses Problems. Der italienische Bevölkerungsüberschuß, die bisherigen kolonisatorischen Külturleistungen der Italiener und das Interesse der Eingeborenenbevölkerung, für die ein Wechsel in der Kolonialverwaltung nur Nachteile bringen könne, wiesen entschieden in diese Richtung, die auch durch päpstliche Äußerungen über eine gerechte Verteilung der Rohstoffe gestützt wurde:

„Der Triumph der dargelegten Gründe wäre ein Akt der Gerechtigkeit nadi so vielen schweren Ungerechtigkeiten, die uns mit dem harten Friedensvertrag getroffen haben, und ein Ehrentitel für die großen Mächte, die endlich beweisen würden, daß sie sich bei der Errichtung des Friedens von höheren Prinzipien leiten lassen und die zugleich zu seiner längeren Dauer einen der ersten Grundsteine legen würden. Denn man verurteilt nie ungestraft ihrer Vergangenheit, ihrer Kultur und ihrer Fähigkeit bewußte Völker dazu, auf eine bessere Zukunft zu verzichten, zu der sie doch früher oder später streben werden, bereit, wenn es nötig ist, jedes Hindernis zu überwinden. Wenn man, entsprechend ka wah t,en päpstlichen Ermahnungen, nicht will, daß der Kampf von neuem beginne, so muß man die Bedürfnisse der weniger mit Gütern versehenen Völker befriedigen, und das erreicht man sicher nicht dadurch, daß man sie der wenigen Möglichkeiten beraubt, die sie erwerben konnten, und daß man die Bevölkerung mit Gewalt in die zu engen Grenzen eines unzureichenden und armen Territoriums zusammenpreßt,"

In der in London erscheinenden Zeitschrift der sudetendeutschen Sozialdemokratie „Der Sozialdemokrat“ nimmt der Chefredakteur Wenzel Jaksch unter dem Titel „Der G’wissens- wurm nagt am Hradschin! Ein Rechtfertigungsversuch Dr. Beneschs“ Stellung zu jenem Teil der Erinnerungen des tschechoslowakischen Präsidenten (vergleiche „Furche“ Nr. 6/1948), der sich mit den Verhandlungen zwischen Benesch und den emigrierten suJetendeutschen Sozialdemokraten in London 1942 befaßt. Benesch berichtet, daß die deutschen Sozialdemokraten von einer „Kombination der sozialen und der nationalen Revolution“ nichts wissen wollten und sich keineswegs nur als Vertreter der Arbeiterschaft, sondern als Repräsentanten der Sudetendeutschen als Ganzes betrachtet hätten. Jaksch schreibt dazu:

„Eigentlich wäre diese Haltung nur eine Nachahmung des tschechischen und slowakischen Beispiels gewesen, denn die exilierten Politiker dieser Völker sprachen stets im Namen des Volksganzen, ohne Rücksicht darauf, daß große Teile ihrer Landsleute mit den Nazis sympathisierten und Hitlers Krieg unterstützten. In Wahrheit aber haben wir jede derartige Aussprache mit de - Feststellung eingeleitet, daß wir im Namen unserer gemordeten und eingekerkerten Geno en die schärfste Bestrafung aller Nazis forderten, die mit individueller Schuld belastet waren. Mit gleicher Entschiedenheit lehnten wir aber ab, die einfachen Menschen des sudetendeutsehen Volkes schärfer bestrafen zu lassen als die tschechischen und slowakischen Bundesgenossen Henleins. Wir haben die Tragödie dieses kollektiven Heimatraubes nicht verhindern können, aber wir haben uns bei den polirischdiplomatischen Vorentscheidungen darüber auch nicht hineinlegen lassen. Die tschechische Taktik war nämlich zu durchsichtig. Man wollte von den legitimierten Mandataren der sudetendeutsehen Sozialdemokratie für irgend- welche vage Zusicherungen eine prinzipielle

Zustimmung zur Austreibung haben, um die letzten Anwälte der Opfer mundtot zu machen.“

Gegenüber der Erklärung von Benesch, daß er „ordentliche Deutsche, welche brüderlich mit uns und für die Demokratie gekämpft haben und der Demokratie treu geblieben sind“, nie in eine tragische Situation habe treiben wollen, sei die Wahrheit, daß Dr. Benesch jene Million deutscher Wähler verleugnte habe, „die bei seiner Erstwahl im Jahre 1935 den Ausschlag gegen die tschechische Rechtsopposition gaben“. ,

In den „Frankfurter Heften“ unternimmt Hans Peter Berglar-Sdiröer unter dem Titel „Kleines deutsches Lyrikum 1947“ einen Rundblick auf die deutsche Lyrik der Gegenwart, deren Situation er mit dem Bild einer bombenzerstörten Stadt vergleicht, die von einer Anhöhe aus „gar nicht so schlimm“ zerstört erscheine, aus der Nähe dann das ganze Ausmaß der Vernichtung erkennen lasse, bis man bei engster „Tuchfühlung" mit Schutthalde und Steinchaos doch noch viel Unversehrtes, ja auch die Zeichen eines neuen Aufbaues erkennen könne.

„Nicht anders als mit der Stadt steht es mit der deutschen Lyrik unserer Tage; auf majestätischer Rezensentenwolke schwebend, gewahren wir nur die nichtgestürzten Türme und Brücken: Hermann Hesse, Werner

Bergengruen. Friedrich Georg Jünger, Rudolf Alexander Schröder. Eingemauert fast zwischen dep Stößen der Lyrikbände und der Manuskripte, fühlen wir uns von der Fülle des Epigonalen, des Unbekannten, des Hohlen und einfach Talentlosen niedergedrückt. Geduldig, aber Buch für Buch, Zeitschrift für Zeitschrift durchblätternd, lesend, spürend, entdecken wir tröstende, verheißende Klänge: Friedrich Podszus, Wilhelm Lehmann, Dagmar Nick und Elisabeth Langgässer, Holthusen und Wolfgang Lohmeier. Und sie sind, glücklicherweise, nicht die einzigen. Noch hat sich nichts geklärt. Wie bei unseren Städten, so auch im Bereich des Gedichtes: viel Provisorisches, viel Tasten, kein fester Plan, hier klammert sich der an das Alte und bereits Dahingeschwundene, da beginnt einer tapfer, wenn auch verworren, von vorne, und dort ein einfacher, aber schöner und wahrer Neubau. Dies alles inmitten einer Kärrnerei sondergleichen — mit Schutt, Abfall, Bruch und Haufen wertlosen Zeugs. Noch sind alle Möglichkeiten gegeben: wie bei unseren Städten, so bei unseren Gedichten. Gänzliche Vertilgung durch Atombombenkatastrophen von außen und Unbußfertigkeit von innen, langsame Verrottung durch fortschreitende Entseelung oder langsame Wiederherstellung in neuer Vielfalt, in reinerer Luft. Wir können verzweifeln und den endgültigen Untergang zum Axiom erheben; es ist nicht schwer und liegt oft beängstigend nahe. Wir können aber auch in die Nacht hinaushorchend hoffen und unseren Pfad im Dunkeln weitergehen; es ist schwerer, aber menschlicher; und darum auch besser.“

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