6554313-1948_13_05.jpg
Digital In Arbeit

REVUE IM AUSLAND

Werbung
Werbung
Werbung

Das Deutschland-Problem nimmt in den ausländischen Zeitschriften nach wie vor einen sehr breiten Raum ein. So schildert in der sozialistischen Wochenzeitschrift „The New Statesman and Nation“ vom 13. März der Labourabgeord- nete R. H. S. C r o s s m a n seine Eindrücke aus „Düsseldorf 1 94 8“. Neben gewissen Anzeichen einer übermäßigen Nervenbelastung, die gefährlich nahe an Massenhysterie heran führen können, stellt der Verfasser vor allem einen immer wieder bewundernswerten Lebens- und Aufbauwillen fest.

„Nach vier Tagen und Nächten endloser Unterhaltungen nach London zurückgekehrt, fühlte ich mich erschöpft und doch erfrischt, und ich konnte die Bemerkung eines höheren britischen Offiziers verstehen: ,Seit ich vor drei Jahren hierher kam, bat sidi meine Meinung von den Deutschen geändert. Ich kann mir nicht helfen, aber ich bin stolz auf meine Düsseldorfer. Von Düsseldorf gesehen, scheint die englische Politik verrüdet. Es sieht fast aus, als ob wir absichtlich versucht hätten,

jedes Mittel gegen einen Wiederaufbau anzuwenden. Die meisten Löhne und Preise sind noch auf dem Niveau von 1938 unter dem Nazilohnstopp fixiert. Wenn der Bauer seine Kartoffeln zum festgesetzten Preis auf den Markt bringt, kann er nicht den Kunstdünger dafür kaufen. Wenn der Arbeiter versucht von seinem Geldjohn zu leben, verhungert er. Jeder muß daher eine ,Kompensation er. langen.“

In der so entscheidenden Frage der deutschen Zentralregierung schildert Crossman dann die Bedenken der deutschen Sozialisten geg;n eine westdeutsche Zentralregierung.

„Angesichts einer dauernden CDU-Mehr- heit in Westdeutschland und in genauer Kenntnis der amerikanischen Vorliebe für Föderalismus und freies Unternehmertum sehen sie ihre einzige Hoffnung, in einer britischen Kontrolle, die stark genug ist, ihre Schwäche im Wahlkampf auszugleichen. Sie gaben mir zu, daß Männer wie Arnold, der MinisterprSsi- dent, in England Sozialisten wären, aber äe fürchten, daß jit ohne einem starken und dauerhaften britischen Einfluß hinter der Szene nicht stark genug sein könnten, um mit ihren reaktionären Kollegen in einer Frankfurter Regierung fertig zu werden.

Dennoch sei die Einrichtung einer zentralen Autorität mit wirklicher Gewalt in Frankfurt unumgänglich notwendig.

„Doch ich kehrte mit der Überzeugung zurück, daß sie scheitern wird, wenn wir und die Amerikaner uns nicht klar darüber werden, was wir wollen. Besonders müssen wir entscheiden, ob die deutsche Schwerindustrie eine gefährliche Konkurrenz für unsere eigene ist oder eine wesentliche Ergänzung dazu ... Der Besucher in Düsseldorf hat den Eindruck, als ob unsere Deutschlandpolitik noch ein Überbleibsel von Vor-Marshall- und Vor- Westuniontagen ist. Auf weite Sicht können wir das Sicherheitsproblem nur lösen, wenn wir Westdeutschland in unsere gemeinsame Planwirtschaft einbauen und es denselben Kontrollen und Eingriffen in die nationale Souveränität unterwerfen, die wir auch uns selbst amten besetzt. Dies diente für die Japaner einem doppelten Zweck. De. japanischen Übervölkerung kam die Ansteüungsmöglich- keit von tausenden Japanern in Korea zugute. Zugleich konnten sich nur wenige Koreaner zu der Stellung heraufarbeiten, in der sie gefährliche Re volutions führer werden konnten. Dann kam der Zusammenbruch Japans, und die Koreaner hielten sich endlich für frei. Monate wurden zu Jahren, und die Koreaner haben noch immer russische Herren nördlich des 38. Breitegrades und amerikanische in der südlichen Landeshälfte."

In der Märznummer der „Ė t u d e s“ unternimmt Jean Daničlou einen Rundblick auf dL Haltung der französischen Publizistik nach Gandhis Tod unter dem Titel „Gandhis Tod oder das schlechte Gewissen des christlichen Abendlandes“ und kommt schließlich zu dem Ergebnis, daß Gandhis Leben und Sterben ein stummer Vorwurf für die zeitgenössische Christenheit sei, die sidi ihrer eigenen ererbten geistigen Reichtümer nicht bewußt sei.

„Warum ist das Christentum nicht bis zu Indiens Herz vorgedrungen, warum hat es das Herz Gandhis nicht berührt? Nun, auf diese Frage hat Gandhi in einem von Romain Rolland überlieferten Satz geantwortet, dem auferlegen. Auf kurze Sicht können wir die Deutschen vor dem Verhungern retten und uns selbst vor dem Bankrott, wenn wir Ruhrstahl als Ersatz für den Stahl heranziehen, den Amerika uns unter dem Europawiederaufbauprogramm nicht geben kann. Warum zögern wir? Vielleicht, weil Ernest Bevin keine Zeit für ein Week-End in Düsseldorf oder in irgendeiner anderen deutschen Stadt gefunden hat.“

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auf an deren Wegen N. B a y b r o o k e in der Februarnummer der katholischen englischen Monatsschrift „The M o n t b“ in einem Artikel, „Die russische Zone in H e i d e 1 b e r g'‘, der von einem Treffen deutscher Studenten aus allen Zonen in Heidelberg ausgeht.

„Die Deutschen neigen oft dazu, die Kontrollkommission als eine Gruppe puritanischer Pilgerviter anzusehen- Und einer der großen Fehler der alliierten Politik war der der Idee von der Kollektivschuld. Die Vorstellung von einer Verwendung der Kollektivschuldtheorie als einem Mittel zur Wegberreitung für die Demokratie ist vollständig g e s c h e i t e r t. Sie 1st mehr ein Stachel im Fleisch als ein Heilmittel. Und nun muß, bevor es zu spät ist, ein Gegenmittel gegen Verzweiflung und Zusammenbruch gefunden werden, und zwar schnell. Schon- sind zwei Jahre Tertan worden. Wenn kein neues Reich gebildet wird, ist eine Sache sicher: daß Europa selbst wanken wird. Es mag einige Jahr dauern, aber ohne Herz kann ein Körper nicht leben. Es ist für Deutschland möglich, das Herzland Europas zu werden."

Die in New York erscheinende Vierteljahresschrift „The International House Quarterly“ bringt in Nr. 4, Band XI, von Ende 1947 einen Bericht von Herrick B. Young über „Demokratie inOstasie n“, in dem die Bemerkungen über Korea wegen der inzwischen dort eingetretenen Ereignisse von besonderem Interesse sind. Auf Grund seines Aufenthalts in Korea, Japan, China und der Philippinen vertritt der Verfasser die Ansicht, daß Ostasien sich gegenwärtig um die Frage der Anwendbarkeit der Demokratie unter den dort gegebenen Lebensbe di ngüngen bemühe.

„Dia Wahl ist nicht zwischen dem Alten und dem Neuen. Das Volk ven Ostasien steht vielmehr vor der Wahl zwischen dem, was die Russen .Demokratie nennen, und dem, was die Amerikaner .Demokratie' nennen. Die amerikanische Militärregierung befand sich in einem seltsamen Dilemma. Die Beamten führen logisch unsere Tradition der Rede- und Pressefreiheit durch. Das bedeutet, daß die Kommunisten reichlich Gelegenheit haben, ihre Philosophie darzulegen. Nördlich des 38 Breitegrades jedoch erwidern die Russen diese Freundlichkeit keineswegs. Südlich des 38. Breitegrades singen die Koreaner in ihrer Nationalhymne: .Möge der Allmächtige uns beschützen1, aber nördlich des 38. Breitegrades muß man singen: .Möge das Volk uns beschützen . Der Koreaner ist in einem noch größeren Dilemma. Durch 30 Jahre hat er gegen seine japanischen Herren um Freiheit und Unabhängigkeit gekämpft. Während dieser Zeit waren alle wichtigen Stellungen im Lande bis ganz hinunter von japanischen Be einzigen Satz von ihm, der mir tatsächlich einen Vorwurf und ein Leid zu enthalten scheint; .Ich liebe Christus, aber ich liebe die Christen nicht." Ich höre aus diesem Satz die ganze enttäuschte Erwartung Indiens hinsichtlich des Christentums, den stummen Vorwurf, daß die Christen Christus nicht genug ähnlich gewesen sind.“

In der vom „Institut Teleki d’Etudes Danubiennes“ in französischer Spradie her- ausg:gebenen wissenschaftlichen Zeitschrift „Revue d’Historie comparde“ (Band VI, Nr. 2. 1947) behandelt der Literar. historiker Gustac Makay „Ein Kapitel der modernen ungarischen Literatur 1908 — 191 9". Die moderne ungarische Literatur beginnt seiner Meinung nach mit der Revue „Nyugat“ („Westen“), welche die Strömungen der westeuropäichen Literatur, vor allem des französischen Symbolismus, nach Ungarn brachte und zugleich trotz ihres offiziellen „l'art-pour-Fart“- Programms den bürgerlichen „Radikalismus" westeuropäischer Prägung förderte.

„Das ganze literarischs Leben Ungarns wurde mit dem Geist der westlichen Kultur erfüllt, und die ästhetisdie Lebensauffassung, die die Literatur von ,Nyugat' charakterisierte, war auf weite Strecken westlicher Herkunft. Gerade in diesem .Okzidentalismus bestand der Modernismus der Revue, im Gegensatz zur konservativen Epigonenliteratur, welche die populäre nationale Schule Petöfis und Aranyis, der großen Dichter des vergangenen Jahrhunderts, uninteressant machte.“

Die Seele der Revue war der Dichter und Politiker Andreas A d y, der selbst mehrere

Jahre in Paris lebte, der Verfasser von „Blut und Gold“.

„Aber die Berufung des Propheten, die revolutionäre Rolle, nahm bei ihm eine besondere und komplizierte Form an und rief in seinem Geist einen Kampf großer Widersprüche hervor. Nach seiner Herkunft aus dem alten Adel ist er stolz auf seine Rasse: in seiner Lebensform ist er ein kultivierter Bourgeois und .Westler'; in seinem politischen Wollen ist er bald ein Kampfgefährte des bürgerlichen Radikalismus, bald fühlt er sich in Gemeinschaft mit den Märtyrern des .ungarischen Sommers', mit den Bauern; bald wieder verbündet er sich mit den .Kindern des träumerischen Elends , dem Proletariat; und zu alldem ist er unwiderruflich ldivi- dualistisch, als ein Genie, das maßlose individuelle Ansprüche stellt.“

Die große illustrierte amerikanische Wochenschrift „L i f e“ nimmt in ihrer Nummer vom 23. Februar die Berufung des englischen Historikers Arnold J. Toynbee nach Princeton zum Anlaß einer eingehenden Darstellung von dessen Lebenswerk „A Study of H i s t o r y“, das bereits durch die bis jetzt erschienenen sechs Bände sowie durch die im Vorjahr erschienene verkürzte Ausgabe (die sogar ein „best-seller“ wurde) das geschichtliche Denken der angelsächsischen Welt stärkstens beeinflußt.

„Toynbee, dessen vollendete Studie neun Bände erreichen wird, steckte sich das ungeheure Ziel, die ganze Menschheitsgeschichte zu meistern und einen Sinn oder Plan darin zu finden. Andere Historiker haben schon einen Plan in die Geschichte hineingelesen, aber Toynbees ist wahrsdieinhch das bis jetzt größte, feinste und reichste Schema. Oswald Spenglers düsterer .Untergang des Abendlandes zum Beispiel verhält sich zu Toynbees Studie etwa ähnlich wie Marlowe zu Shakespeare. Wie Spengler, der sein Werk vor 30 Jahren beendete, teilt Toynbee die Geschichte in .Kulturen und vergleicht die Phasen ihres Aufstiegs und Untergangs. Er zählt 21 große Kulturen. Fünf sind noch am Leben, und von diesen fünf ist nur eine, unsere eigene westliche Kultur, noch relativ gesund. Die anderen vier — die fernöstliche (China- Japan-Korea). die hinduistische, die islamitische, die orthodox-christliche (vorwiegend russische) — werden schwächer und weichen der Konkurrenz der westlichen Kultur. Sie werden jetzt, sagt Toynbee, in eine .große Gesellschaft westlicher Färbung eingegliedert. Die meisten dieser 21 Kulturen durchliefen ein mehr oder weniger gleiches Schema von Geburt, Wachstum, Zusammenbruch und Auflösung. Warum und zu welchem Zweck? Das ist Toynbees Hauptproblem-“

Nach einer kurzen Darstellung der Hauptthesen Toynbees und der von ihm auf- gestellten historischen „Gesetze“ und Grundprinzipien, die alle in einen dualistischen Rhythmus von Ruf und Antwort, Rückzug und Wiederkehr, Männlich-Weiblich, Statik. Dynamik usw. gedacht sind, deutet der Artikel auch die Wandlungen in Toynbees Denken, seit dem Beginn seiner gigantischen Arbeit im Jahre 1922 an, Wandlungen, welche die Bedeutung der Religionen als Hauptinhalt der Kulturen stärker in den Mittelpunkt rücken und die ihn zu der Überzeugung führten, daß „das Ziel der Kulturen die Verbreitung von Möglichkeiten unter den Menschen zu einer vollständigeren Kenntnis Gottes sein mag“.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung