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REVUE IM AUSLAND

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‘ Die unter Mitarbeit von Albert Camus, fitienne Gilson, Julien Green, Gabriel Marcel, Jaques Maritain, Andre Malraux, Denis de Romgement usw. erscheinende französische Monatsschrift „Le cheval de Troie, Revue litteraire mensuelle de doctrine et de c ul ture” veröffentlicht in Nr. 6/1948 einen Artikel von Georges Bernanos „Die Stunde der Heiligen”. Aus dem für diesen bekannten französischen Schriftsteller kennzeichnenden glitzernd-sprunghaften reichen Gedankengeflecht, das unter anderem tiefe Einsichten über das Verhältnis von Gläubigen, Konvertiten und Ungläubigen enthält, sei hier nur der Gedanke herausgegriffen, daß Heilige allein in einer Welt der Freiheit und Liebe denkbar seien, nicht aber in einer materialistisch erklärten Welt und auch nicht in einer, an deren Spitze und Anfang „ein Höchstes Wesen, eine Oberste Intelligenz, ein Gott-Ingenieur”, wie der Uhrmachergott V o 1 t a i r e s und der Deisten stehe.

„Das materialistische Universum kann mit dem moralischen Menschen nichts anfangen. Das Universum der Deisten, nach der Art des Verfassers der Henriade hat abet auch keinen Platt für die Heiligen — sie wären in dieser Welt ebenso deplaciert wie ein lyrischer Dichter in einer Schule für Brüdcen- und Straßenbau… Die Moralisten betrachten die Heiligkeit gerne als einen Luxus. Sie ist eine Notwendigkeit. Solange sich Liebe und Güte in der Welt nicht zu sehr abgekühlt haben, solange hat die Welt ihre Schar von Heiligen, die jenes innere Leben aufrechterhalten, ohne welches sich die Menschheit bis zum Untergang erniedrigen würde. Denn der Mensch findet tatsächlich in seinem eigenen Innenleben allein den nötigen Rückhalt, um der Barbarei oder einer Gefahr, die ärger als die Barbarei ist, der bestialischen Knechtschaft des totalitären Ameisenhaufens, zu entgehen. Oh, gewiß, man könnte meinen, daß dies heute nicht mehr die Stunde der Heiligen sei, daß die Stunde der Heiligen vorüber sei. Aber, wie gesagt, die Stunde der Heiligen kommt immer wieder.”

Dieselbe Nummer enthält einen Artikel von Thomas Pugey über die Berufung der Nationen, die Novelle von Kafka „Eine kleine Frau” sowie, entsprechend dem Grundsatz der Zeitschrift, in jeder Nummer halbvergessene Dokumente zur religiösen und geistigen Geschichte zu bringen, das Urteil von Papst Pius X. über den „Si 11 on”.

Tn der Aprilnummer der französischen sozialistischen Monatsschrift „La Revue Socialiste” — die unter anderem einen Beitrag von Leon Blum über die Februarrevolution, eine Untersuchung von Roger Quilliot über „Albert Camus und das sozialistische Problem” einen Artikel über den „Klassenkampf in Deutschland” sowie eine Auseinandersetzung von Pierre Rimbert mit dem jetzt auch ins Französische übersetzten Buch des Amerikaners James Burn- ham „The Managerial Revolution” („Die Revolution der Direktoren”) enthält — nimmt Henry Levy-Bruhl unter dem Titel „Zurückweisung einer Alternative” Stellung gegenüber den Thesen des Philosophen Julien Ben da, der in einem Artikel „Die Republik und die Arbeiterklasse” im Märzheft der „Europe” die Ansicht vertreten hat, daß die französische Arbeiterklasse zwischen dem kapitalistischen Amerika und dem sozialistischen Rußland wählen müsse. L6vy-Bruhl bemüht sich demgegenüber, die Licht- und Schattenseiten in beiden Systemen auf zu- zeigen und die Stellung der französischen Sozialisten im Sinne der „Dritten Kraft” klarzustellen:

„Deshalb wehren wir uns mit allen unseren Kräften, uns in diese Alternative einschließen zu lassen. Es ist nicht wal\r, daß wir gezwungen sind, die eine der beiden Devisan, welche die französische Revolution von 1/89 auf ihre Fahnen geschrieben hat, der anderen zu opfern, da beide die Voraussetzung sind für die dritte, jene Brüderlichkeit der Menschen, nach der wir streben. Als Sozialisten von Westeuropa und besonders als französische Sozialisten, Erben einer langen und glorreichen Tradition, wollen wir vor allem eine gerechtere Gesellschaft verwirklichen, indem wir die absurde und ungerechte Klassenherrschaft beseitigen und einem Kapitalismus, der seine historische Rolle ausgespiek hat, den Gnadenstoß geben. Das wird gewiß nicht ohne Kampf abgehen, und wir werden diesen Kampf mit der nötigen Energie führen, aber wir werden nie bereit sein, uns selbst aufzugeben, indem wir Wege einschlagen, die nur eine Erbschaft von Faschismus und N a t i onalsozialismus sind. Wir wollen nicht die Reihen des einen oder anderen der beiden Gegner vermehren und so das Risiko eines Krieges verstärken, dessen bloßer Gedanke uns mit Abscheu erfüllt. Wir wollen die Rolle der Versöhner spielen, indem wir unermüdlich versudien, die Standpunkte einander anzunähern, die Mißverständnisse Zu beseitigen, Amerika zu sozialisieren und Rußland zu demokratisieren.”‘

„Der Irrtum des Marschalls Petain, daß er Frankreich aus dem britisch-deutschen Konflikt heraushalten könne, erscheint wieder in einer anderen Form unter einigen seiner Landsleuten. Bei einigen Delegierten konnte man einen plötzlichen Enthusiasmus für die europäische Union entdecken, als einen Weg, sich aus einem amerikanischrussischen Krieg herauszuhalten” — schreibt Douglas Woodruff im „T a b 1 e t” vom 15. Mai in einem Artikel „Die Haager Konferenz, ein großer Erfolg und die tieferen Schwierigkei- t ė n”. Diese tieferen Schwierigkeiten zeigt der Verfasser vor allem an dem Beispiel der Beratungen des Kulturkomitees, bei denen es um die Klärung der ideellen Grundlagen des Vorhabens ging.

„Gleich zu Beginn in der ersten Sitzung des Kulturkomitees griff Bertrand Rus se 11 das zur Diskussion und Annahme aufgestellte Memorandum an, ein Dokument des liberalen Humanismus, das das entscheidende Kennzeichen Europas in dem Geist der Toleranz und freien Forschung zu finden bekannte. Bertrand Russell unterstrich als historische Tatsache, daß viele andere Völker — er zitierte die Chinesen und einige mohammedanische Völker — die Lehre der Toleranz viel rascher und gründlicher gelernt hätten und zu einer Zeit, da sie stark waren, während die Europäer sie langsam und widerwillig lernten, als sie fanden, daß sie keine Übereinstimmung in ihren eigenen Ideen erzielen konnten.- Es gab genug Intoleranz in China und dem Islam, aber es war sehr nützlich für die Liberalen, diese Wahrheit über Europa zu hören. Ich glaube, Russell hätte es sogar noch stärker unterstreichen können, denn die geschichtliche Wahrheit ist, daß die Note Europas intoleranter und energetischer Idealismus war. Europäer sind militante Missionäre, weil sie von einem missionierenden apostolischen und militanten Glauben geformt worden sind. Es würde für uns heute kein Europa geben, das wir zu retten uns bemühen, ohne die langen Jahrhunderte katholischer Formung und katholischer Prägung. Die Prinzipien des Liberalismus im Frühmittelalter würden ein Schutzdach für Stammesrechte und Aberglauben gebildet haben und niemals das gemeinsame, klassische und christliche Erbe, über das wir alle heute so leicht und dankbar schreiben und sprechen’

Dieselbe Nummer des „Tablet” enthält einen Artikel „Christen in der Labour Party”, der von der Programmschrift „In diesem Glauben leben wir” („In This Faith We Live”) ausgeht, die von über achtzig christlichen Parlamentsmitgliedern der Labour Party eben herausgegeben wurde und dabei feststellt, daß in England nur deshalb die Regierung in der Hand einei einzigen Partei und nicht wie im kontinentalen Westeuropa in der einer Koalition zwischen Sozialisten und christlichen Demokraten liege, weil England eben eine andere Gruppierung kenne.

„Wenn unsere Gruppierung nach kontinentalen Begriffen analysiert wird, 60 ist auch dieses Land tatsächlich von einer Koalition regiert, denn die Labour Party ist in tidi selbst eine Koalition, in der Menschen von sehr verschiedener geistiger Herkunft seltsame Weggenossen sind, weil Politik in diesem Lande nicht intellektuell behandelt wird, sondern empirisch, wie es die englische Art ist.”

Die urigarische „Revüed’Histoire comparie”, welche den größten Teil von Nr. 1/1948 der Erinnerung an die Revolution von 1848 widmet, enthält daneben einen sehr ausführlichen, von großer Sachkenntnis zeugenden Artikel „Di e Geschiehts- Wissenschaft in Österreich nach dem zweiten Weltkrieg” von Stephan Barta. Der Verfasser spricht zunächst vom Fehlen eines „österreichischen Nationalbewußtseins” in der Habsburgermonarchie und in der ersten Republik und betrachtet die Situation nach dem zweiten Weltkrieg als günstig wie nie zuvor für die Ausbildung eines solchen Nationalbewußtseins, wobei er die populären Schriften und Zeitschriftenartikel zu diesem Thema ebenso heranzieht, wie die Diskussion, die sich an „Die Geschichte Österreichs” von Hugo Hantsch knüpfte. Aber auch die Schwierigkeiten, mit denen die österreichischeGeschichtswissenschaft im Lehrbetrieb wie im.Archivwesen zu kämpfen hat, erfahren eine eingehende und sachliche Darstellung. Als wichtigste „W e r k s t ä 1t e” der österreichischen Geschichtswissenschaft führt der Artikel das berühmte „Institut für österreichische Geschichtsforschung” an der Wiener Universität an, dessen Arbeiten und Persönlichkeiten er ausführlich würdigt. Nach einer Besprechung der mehr’ populären Literatur hebt der Verfasser schließlich „zwei wesentliche Züge der Erneuerung der Geschichte in Österreich” hervor: „Die erste Tatsache ist die Treue, welche die heutigen Historiker mit den großen wissenschaftlichen Traditionen der Wiener Sczhule verbindet. An zweiter Stelle läßt es sich nicht leugnen, daß die Historiker Österreichs das geschichtliche und ethnische Bewußtsein der ös t e rreicher zu stärken suchen.” Die tschechische Zeitschrift „Praha- Moskva” vom 15. April bringt einen Artikel über „Die älteste Universität der Sowjetunion”, die 1755 ge- gründete Moskauer Universität. Nach einem Rückblick auf die erste Zeit, da die Univer-: sität drei Fakultäten, die juridische, medizinische und philosophische batte, wobei, wie ja auch in Österreich bis ins 19. Jahrhundert sämtliche Studenten zuerst an der philosophischen Fakultät eine theoretische Allgemeinbildung erwerben mußten, schildert der Artikel die gegenwärtigen Verhältnisse und die Pläne für die Zukunft:

„Das gewaltige Kollektiv der Universität, das über 400 Professoren zählt, unter denen sich 33 wirkliche und 55 korrespondierende Mitglieder der Akademie der Wissenschaften befinden, ist entschlossen, alle Kräfte aufzubieten, um die neuen bevorstehenden Aufgaben zu erfüllen. Die gewaltige Menge von 7000 Hörern und 500 Aspiranten ist schon an und für sich ein unerschöpfliches Reservoir künftiger Wissenschaftler. Beabsichtigt ist die Gründung neuer Lehrstühle für Geographie der slawischen Länder und des Orients, für Radiochemie, Gesteinskunde, radioaktive Forschungsmethoden und anderes mehr. Auch neue Abteilungen werden organisiert. Geplant ist ferner die Gründung von wissenschaftlichen Forschungsinstituten an allen humanistischen Fakultäten.”

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